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# taz.de -- Maler Bart van der Leck in Hombroich: Ein Ideal, das brüchig wird
> In der Raketenstation Hombroich in Nordrhein-Westfalen lagerten bis 1985
> Atomsprengköpfe. Nun erinnert dort eine Schau an die Klassische Moderne.
Bild: Eisenskulptur von Anatol Herzfeld in Hombroich
Ein Tag auf der Museumsinsel Hombroich bei Neuss in Nordrhein-Westfalen
wird leicht zu einer Fotosafari. Bilder von Baumriesen, schattigen Teichen
und Blumen am Wiesenrand wechseln sich ab in der Erinnerungsmaschine
Smartphone mit Aufnahmen von ungewöhnlichen Architekturen.
Pavillons, die den Ausblick in die Parklandschaft rahmen; Betonkuppeln, die
mal ein kleines Theater überdachen, mal umgedreht sich zum Himmel öffnen.
Kunst und Natur durchdringen sich in dem 1987 vom Sammler Karl-Heinrich
Müller angelegten Museumspark in einer wohlinszenierten Harmonie.
Einerseits ist die Formsprache der Pavillons, die von dem Bildhauer Erwin
Heerich als begehbare Skulpturen entworfen wurden, auf geometrische
Grundformen reduziert; andererseits ist die Steigerung des ästhetischen
Erlebens ihr vornehmster Zweck. 1994 erwarb Karl-Heinrich Müller ein nahe
gelegenes Gelände dazu, eine ehemalige Nato-Raketenstation, vor der [1][es
in den 1980er Jahren noch Sitzblockaden der Friedensbewegung gegeben
hatte]. Denn bis 1985 lagerten hier Raketen mit nuklearen Sprengköpfen,
1990 wurde der Standort geschlossen.
Erdwälle, in die Hallen eingelassen sind, und ein Wachturm, der mit Efeu
überwachsen ist, zeugen noch von der militärischen Nutzung. Hier ist ein
weiteres Experimentierfeld zwischen Kunst und Architektur entstanden. Wie
ein gelandetes Ufo mit einer schräg über der zylindrischen Form schwebenden
Betonscheibe etwa mutet das 2014 fertiggestellte Haus für Musiker an,
[2][nach Plänen des US-amerikanischen Architekten Raimund Abraham], mit
Übungsräumen, Wohnungen und Studios für Künstler*innen und
Wissenschaftler*innen.
## Gestalter Bart van der Leck
Man verläuft sich, unweigerlich, auf den verschlungenen Wegen der
Museumsinsel und der Raketenstation. Aber das macht wenig, denn die
Entdeckerfreude ist jedes Mal groß, wenn man wieder zu einer der
versteckten Stationen gefunden hat. Wie dem Siza-Pavillon, benannt nach dem
[3][portugiesischen Architekten Álvaro Siza], den man nur über einen
schmalen Pfad erreicht. Wieder ist der Blickwechsel zwischen innen und
außen ein für das ästhetische Vergnügen inszeniertes Spiel.
An den Schnittstellen von Architektur und freier Kunst arbeitete auch der
niederländische Gestalter Bart van der Leck (1876–1958), von dem sich über
80 Werke in der Sammlung von Karl-Heinrich Müller befinden.
Mit den Grundfarben Blau, Gelb und Rot setze er farbliche Markierungen in
funktionale Architekturen, die das Kühle und Sachliche mit freundlichen
Gesten auflockerten. Als Maler arbeitete er mit dem Wegnehmen, übermalte
Figurenbilder großflächig mit Weiß und ließ wieder nur einzelne Elemente
geometrisch reduziert in den Grundfarben stehen. Ihm gilt nun die aktuelle
Ausstellung im Siza-Pavillon.
## Grundfarben diffundieren ineinander
Aber nicht ihm allein, acht zeitgenössische Künstler:innen sind in den
Dialog mit ihm gegangen. So greift die Kölner Künstlerin Joana Tuzharova in
Lichtobjekten die Grundfarben auf, aber lässt sie an den Rändern auch
ineinander diffundieren. Sie und der Berliner Künstler Andreas Schmid, der
mit farbigen Klebebändern direkt auf Wände und Böden zeichnet, reagieren
auch auf die Architektur des Siza-Pavillons.
Die Suche nach Transparenz, fließenden Übergängen zwischen innen und außen,
die zu den Tugenden der klassischen Moderne gehört, verbindet so nicht nur
Bart van der Leck mit der Architektur des Pavillons, sondern auch mit den
zeitgenössischen Künstlern. Bei Andreas Schmid ziehen sich die Linien um
Ecken oder weichen schräg von den rechten Winkeln des gebauten Raums ab und
schlagen so kleine Perspektivverschiebungen vor.
Bart van der Leck hatte seine Ausbildung in einem Bleiglasatelier begonnen
und war von 1914 bis 1918 Designer im Familienunternehmen von Helene
Kröller-Müller, auch eine Sammlerin und Museumsgründerin in den
Niederlanden. Zu ihrem Konzern gehörten Schifffahrt und Bergbau, van der
Leck konnte damals nach Nordafrika reisen und zeichnete dort Minenarbeiter.
Er begeisterte sich für Kunst mit gesellschaftlichen Funktionen. Im Katalog
ist ein Bild von ihm zu sehen, „Hafenarbeiter“ von 1916: Die Körper sind
flächig gemalt und im Profil. Sie wirken fast wie eingelassene Intarsien in
die Schiffe hinter ihnen.
## Reduktion in der Moderne
Vom Realismus zur Reduktion, davon zeugen auch einige Bilder in der
Ausstellung: Zum Beispiel eine „Frau mit Flugzeug“ von 1956, vor der man
einige Zeit braucht, bis man das Flugzeug und ihre ausschreitende Bewegung
aus den stehengebliebenen Formschnipseln identifiziert hat. Dazu passt gut
die davor stehende Skulptur des niederländischen Bildhauers Boris Tellegen
aus Stahl und Autolack, deren rechtwinklige Formen sowohl an Elemente der
Architektur als auch an den menschlichen Körper erinnern.
Eine andere Position nimmt Erik van Lieshout in seinem Beitrag ein,
Collagen, in denen er Zeitungsseiten zur niederländischen Geschichte, wie
etwa zu einem Amokfahrer am Königinnentag 2009, mit [4][Zitaten der
klassischen Moderne, etwa von Piet Mondrian], übermalt hat. Die Reduktion
in der Moderne, wie sie Mondrian und Bart van der Leck teilten, war auch
Teil der Hoffnung, einen Klassengrenzen überwindenden Universalismus in der
Kunst neu begründen zu können.
Diesem Ideal folgt die Anlage der Museumsinsel Hombroich in vielen
Einzelheiten ihres Konzepts. Aber dieses Ideal ist brüchig geworden, das
Vertrauen gibt es nicht mehr. Etwas von dieser Brüchigkeit, von den
Beunruhigungen der Gegenwart pulst in den Collagen von Erik van Lieshout.
22 Aug 2023
## LINKS
[1] /Atomkraftwerke-als-Denkmaeler/!5901660
[2] /Jonas-Mekas-im-Wiener-Filmmuseum/!5069716
[3] /Kolumne-Berliner-Oekonomie/!5188916
[4] /Mondrian-Ausstellung-in-Wolfsburg/!5927846
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Moderne Kunst
Kunst
Museum
Klasse
AKW-Rückbau
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