# taz.de -- Jamaikanischer Reggae-Sänger Buju Banton: Noch nicht bereit | |
> Nach verbüßter Haft veröffentlicht Banton ein neues Album. Doch weil er | |
> sich nicht von einem homophoben Song distanziert, üben jüngere | |
> KünstlerInnen Kritik. | |
Bild: Orange is the new Black: Buju Banton | |
Buju, we love you!“ – mit frenetischem Jubel wird Buju Banton am Abend des | |
8. Dezember 2018 am internationalen Flughafen in Kingston von Fans begrüßt. | |
Erstmals nach zehn Jahren betritt der Künstler wieder heimischen Boden. In | |
Jamaika ist Buju Banton Volksheld, ein Star, der sogar mehr Nummer-1-Hits | |
vorzuweisen hat als Bob Marley. Auch dem TV-Journalisten Winford Williams | |
gilt Banton als Inbegriff der jamaikanischen Popgeschichte. | |
Kein anderer Künstler verkörpere die rebellische Art eines Peter Tosh, | |
mische sie mit der künstlerischen Ader eines Bob Marley und wirke dabei so | |
glaubwürdig wie Banton, sagt Williams. Bujus durchdringende Stimme, sei | |
Symbol schwarzen Selbstbewusstseins, wie sie sich durch Melodien hangelt | |
und mühelos alle Genres von Roots-Reggae bis [1][Dancehall] abruft. | |
Williams muss es wissen, er arbeitet seit langem für den Sender „On Stage | |
TV“, interviewt alle Stars der Karibikinsel. | |
Williams hat Banton, der eigentlich Mark Anthony Myrie heißt, als letzter | |
Reporter gesprochen, bevor dieser 2008 verhaftet worden war, und als | |
erster, als Banton 2018 wieder freikam. Der Prozess gegen den Popstar | |
begann in Florida, am Tag nachdem dem Banton im Februar 2011 der Grammy für | |
das Beste Reggae Album, „Before the Dawn“, verliehen wurde. Wichtigstes | |
Beweisstück war ein Video, in dem Buju Banton in einem Lagerhaus von einer | |
weißen Substanz probiert, bei der es sich um Kokain handelte. Er wurde dann | |
zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, die er im US-Bundesstaat | |
Georgia verbüßt hat. | |
## Heißer Draht zum Mainstream | |
Am 29. Februar 2020 schlendert Buju Banton erhobenen Hauptes durch die | |
Lobby des Marriott-Hotels in Kingston und begrüßt Journalisten aus aller | |
Welt. Auch VertreterInnen von Streaming-Firmen wie Youtube sind angereist. | |
Bujus US-Label Roc Nation hat mächtig aufgefahren. Banton ist dankbar für | |
den heißen Draht zum Mainstream, jetzt, wo er wegen seiner Vorstrafe nicht | |
mehr in die USA einreisen darf. | |
An jenem Nachmittag wird Banton in den Tuff-Gong-Studios der Marley-Familie | |
durch die Songs seines Albums führen. Der Ort, wo einst Klassiker von | |
Lauryn Hill und [2][Bob Marley] himself entstanden. Bujus Label Roc Nation | |
hat vorsorglich sein riesiges Logo an die Wand geklebt. Der Star nimmt auf | |
einem Barhocker Platz. Andächtige Stille, bis er das Schweigen bricht und | |
von seiner langersehnten Rückkehr aus einem „Urlaub mit Überlänge“ fasel… | |
Was er in der Zeit hinter Gittern erlebt hat, wird er in den Interviews | |
nicht preisgeben. Er sagt nur, man würde ihn wieder einsperren, wenn er | |
darauf antworten müsste. Eigenes Fehlverhalten spart er dagegen aus. Obwohl | |
gerade hiermit der Jugend in Kingston am meisten gedient wäre. Auch wenn | |
die Mittel der jamaikanischen Hauptstadt zuletzt gestiegen sind, Armut und | |
die mit ihr einhergehenden strukturellen Herausforderungen sind geblieben. | |
Zu wenig, um effektiv gegen Gangkultur, brutale Gewalt und hohe Mordraten | |
zu erreichen. | |
## Cornflakes hinter Gittern | |
Auf seine gute physische Verfassung angesprochen, lässt Banton | |
durchschimmern, wie er sich hinter Gittern in Form gehalten hat: mit | |
Cornflakes und einer ausgewogenen Ernährung. Und, er hatte das Glück, eine | |
Gitarre in der Zelle spielen zu dürfen. | |
Nicht verschwiegen sei eine weitere große Kontroverse in der Karriere | |
Bantons: [3][ein homophober Song], komponiert 1992. Den Text dazu schrieb | |
er als 15-Jähriger, aber er führte ihn auch mit 34 noch auf. Darin hetzt | |
Banton gegen Homosexuelle, macht mit Schwulen kurzen Prozess: „Boom bye bye | |
to a batty boy head“, singt er im Refrain. | |
Seit 2007 unterschreibt Banton deshalb Unterlassungserklärungen, in denen | |
er sich verpflichtet, von homophoben Äußerungen Abstand zu nehmen. Zuletzt | |
geschehen beim Kölner Summerjam 2019. Den Song ließ er gleichen Jahres aus | |
seinem Katalog streichen. Darauf angesprochen, gibt er sofort zu verstehen, | |
dass er sich mit dieser Vergangenheit, nicht kritisch auseinandersetzen | |
wird. | |
## Treffen mit der LGBTQ-Community | |
TV-Moderator Winford Williams erinnert sich im Gespräch, dass Buju Banton | |
bereits 2009 mit Vertreter*innen der LGBTQ-Community in Los Angeles | |
zusammengekommen war, weil sie – wie auch anderswo geschehen – zu Protesten | |
gegen seine Konzerte aufgerufen hatten. Beim Treffen habe Buju | |
klargestellt, dass er kein Problem mit Homosexuellen habe, und sich auch | |
von den hetzerischen Parolen seines Songs distanziert. Sie forderten ihn | |
auf, dass er dies öffentlich in Kingston bekunde. | |
Dazu war Buju Banton jedoch nicht bereit. Auch Williams meint, dafür sei | |
die Gesellschaft noch nicht bereit. In Jamaika steht bis heute auf Sex | |
zwischen Männern zehn Jahre Gefängnis. Banton hätte sich verdient gemacht, | |
denn niemand sonst aus Jamaika wäre in den Nullern ungeschoren | |
davongekommen, wenn er sich mit LGBTQ-AktivistInnen aussöhnen wollte. Wo | |
doch gerade das Genre Dancehall von Homophobie durchzogen gewesen sei. | |
Und nun? Musikalisch wirken die 20 Songs auf Bantons neuem Album „Upside | |
Down 2020“ wie eine Neukalibrierung altbewährter Kapitel seines Schaffens: | |
aufgeblasen, aufpoliert und in all ihrer Diversität strahlend, ohne dass | |
die Musik dabei wirklich neue Impulse setzt. Nach zehnjähriger Zwangspause | |
ist es dennoch ein respektables Resultat. Jeder Mensch hat eine zweite | |
Chance verdient, auch ein Buju Banton. | |
## Androgyner Look | |
Die Innovation im Reggae passiert inzwischen woanders: KünstlerInnen wie | |
Chronixx und die 20-jährige Sängerin Koffee, die – im androgynen Look – u… | |
mit ihrer unverwechselbaren Stimme Anfang des Jahres den Grammy für das | |
beste Reggae-Album abräumte. Für Experimentierfreude steht auch der Name | |
[4][Equiknoxx]. Das fünfköpfige Team von Produzenten und Sänger*innen aus | |
Kingston verarbeitet unorthodox und spielerisch Geräusche und Samples aus | |
unterschiedlichsten Soundquellen, ohne dass dabei der ausschlaggebende | |
Groove von Dancehall verloren geht. | |
Somit sind sie an europäische Clubs anschlussfähig. Zuletzt haben Equiknoxx | |
ihre Alben beim Portal Bandcamp hochgeladen. Aktuell sind dort EPs zu | |
hören, die während einer Reise nach Westafrika entstanden sind und absolut | |
zeitgemäßen Broken-Beatsound verzeichnen. | |
Equiknoxx-Produzent Gavin „Gavsborg“ Blair, ist zwischen Spanish Town, | |
Portmore und Kingston aufgewachsen. Er erzählt, wie er sein erstes Geld | |
damit verdient hat, Schimpfwörter in Dancehall-Songs mit Soundeffekten zu | |
überblenden: Für Mixtapes, die Eltern aus gutsituierten Familien bei | |
Geburtstagsfeiern ihrer Kinder in Auftrag geben. | |
## Slackness ist tabu | |
Das war eine gute Schule für sein späteres Schaffen, schmunzelt Blair. Von | |
der Vorstellung, mit großen Stars an Hits zu arbeiten, hat er dennoch | |
Abstand genommen. Lieber entwickelt er Songs in organischer Interaktion, | |
statt sich am Macho-Gehabe von Megastars aufzureiben. Und Slackness, also | |
sexbezogene Vulgärausdrücke, oder gar Homophobie waren für ihn schon immer | |
tabu. | |
Das und sein Engagement für unbekanntere Künstler*innen haben ihm den | |
Beinamen „Dancehall Jesus“ beschert. Blair findet, die Debatte über | |
Homophobie im Dancehall werde von allen Seiten scheinheilig geführt. | |
Einmal, weil die Kritik aus dem Ausland nicht berücksichtigt, dass es | |
Großbritannien war, das Jamaika, einst als Kolonie, sein Rechtssystem | |
übergestülpt hatte und selber viel Zeit beanspruchte, um sich von dieser | |
Vergangenheit zu emanzipieren, ein Prozess, der noch längst nicht | |
abgeschlossen ist. | |
Auch Dancehall-Stars seien für Blair bigott, weil sie ihre homophoben | |
Botschaften teils auf Labels vertrieben hätten, deren Inhaber | |
bekanntermaßen selber queer gewesen sind. In Jamaika, sagt Blair, wisse bis | |
heute niemand über die Motivation eines jungen Buju Banton Bescheid, wieso | |
er den Song „Boom bye bye“ zu veröffentlichte. Und genau darin würde der | |
Kern des Problems liegen. Künstler sprechen nicht offen und ehrlich über | |
ihre Entwicklung oder gestehen sich Fehler ein. In gewisser Weise würde das | |
dem Erfolgskonzept widersprechen, sich mit übersteigerter Männlichkeit, | |
über die Musik selbst ermächtigt zu haben. | |
## Doppelte Standards | |
Wenn damals Songs wie „Boom bye bye“ auf Partys liefen, so Blair, hätte | |
zumindest er selbst keine aggressive Stimmung gegenüber Queers bemerkt. | |
Trotz aller Unkenrufe, sie seien in die Gesellschaft integriert. In erster | |
Linie würde es laut Blair aber nicht darum gehen, ob sich Leute von weither | |
durch Dancehall-Songs verletzt sähen, sondern, dass immer Menschen im | |
engsten Umfeld betroffen seien. Er kenne Künstler, die homophobe Songs | |
veröffentlicht hätten und irgendwann selbst Vater eines Kindes wurden, das | |
sich als queer outete. „Wie willst du deinem Kind gegenübertreten?“ | |
Gavsborg schüttelt den Kopf. | |
Hat Buju Banton alles verspielt, weil er sich zu den Schattenseiten seiner | |
Karriere, außer in einem dürren offiziellen Statement, nicht äußert? In | |
Jamaika und Afrika, wo er bis heute umjubelte Konzerte vor vollen Häusern | |
spielt, wird die Frage jedenfalls nicht laut gestellt. Dort steht die | |
Erfolgsgeschichte eines Künstlers im Rampenlicht, der für Black Empowerment | |
eintritt. | |
2 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Georg Milz | |
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