# taz.de -- Jahresbericht der Welthungerhilfe: Immer mehr müssen hungern | |
> Die Zahl der Hungernden steigt. Grund dafür sind Pandemie, Kriege und | |
> Klimawandel. Mehr politisches Engagement ist gefragt. | |
Bild: Mogadischu Ende Juni 2022, eine Familie flieht vor der Dürre auf der Suc… | |
BERLIN taz/rtr/afp | Klimakrise, Pandemie und kriegerische Konflikte. Immer | |
mehr Menschen weltweit müssen aufgrund der vielen anhaltenden Krisen | |
hungern. 2021 waren es etwa 811 Millionen Menschen. 46 Millionen mehr als | |
im Jahr zuvor. Das geht aus dem [1][Jahresbericht der Welthungerhilfe] | |
hervor, der am Dienstag im dbb Forum Berlin vorgestellt wurde. Bis 2014 | |
nahm die Zahl der weltweit Hungernden noch ab, dann gab es eine Trendwende. | |
Multiple Krisen verstärken extreme Armut, Kindersterblichkeit, sowie | |
Mangelernährung und Hunger. Eigentlich wollen die Vereinten Nationen den | |
Hunger in der Welt bis 2030 besiegt haben. Angesichts der aktuellen Zahlen | |
scheint das Ziel allerdings unerreichbar. | |
Im Südsudan unterstützt die Welthungerhilfe die meisten Projekte. 2021 sind | |
46,9 Millionen Euro in Projekte im Südsudan geflossen. Die seit 2021 | |
steigenden Lebensmittelpreise haben auch Auswirkungen auf die Projekte der | |
Organisation. 1,7 Millionen Menschen musste man aus den | |
Lebensmittelverteilungen im Südsudan herausnehmen, „weil das Geld nicht | |
mehr für alle reicht“, berichtet Mathias Mogge. | |
Ein Projekt ist die Finanzierung von Mahlzeiten an Schulen. Für viele | |
Kinder dort ist das Schulessen die einzige Mahlzeit des Tages. Wenn Schulen | |
aus dem Programm herausfallen, müssen sich die Kinder anderweitig Nahrung | |
besorgen. Sie kommen nicht mehr zur Schule, sondern suchen im Müll nach | |
Essbarem, sammeln Plastikpfand oder verrichten Kinderarbeit. Insgesamt sind | |
7,7 Millionen Menschen im Südsudan von einer akuten Hungerkrise betroffen – | |
1,3 Millionen Kinder sind unterernährt. | |
## Krieg bedeutet Hunger | |
Im Februar kam ein weiterer Hungertreiber hinzu: der Ukrainekrieg. Die | |
Aufgrund des Krieges steigenden Gaspreise und Inflationsraten eskalieren | |
die angespannte Lebensmittelpreislage weiter. Brotpreise haben sich in | |
manchen Regionen der Welt seit Kriegsbeginn verdoppelt. Eine weitere Folge | |
des Kriegs sind ausfallende Ernten. Gerade beginnt die Erntesaison in der | |
Ukraine. Aufgrund der Kämpfe werden jedoch voraussichtlich höchstens zwei | |
Drittel der Anbauflächen abgeerntet werden können, so Marlehn Thieme, | |
Präsidentin der Welthungerhilfe. Hinzukommt, dass Weizenexporte aus der | |
Ukraine eingebrochen sind. Länder des globalen Südens, wie zum Beispiel | |
Benin, Laos und Ägypten sind von dem Lieferungsstopp besonders betroffen. | |
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sieht in der gezielten | |
Bombardierung ukrainischer Häfen eine perverse Kriegsstrategie der | |
russischen Aggressoren: „Man sieht, dass Putin Hunger als Kriegswaffe | |
benutzt“, [2][so die Ministerin]. | |
Am Mittwoch wollen Russland, die Ukraine, die Türkei und die Vereinten | |
Nationen zu einem Treffen in Istanbul zusammenfinden, um Getreideexporte zu | |
ermöglichen. Sollten die Gespräche erfolgreich sein und Getreide wieder die | |
Ukraine verlassen können, würde das eine kleine Entlastung des | |
Weizenmarktes bedeuten. Mogge macht jedoch deutlich, dass selbst ein | |
zeitiges Ende des Kriegs in der Ukraine noch lange nicht das Ende der | |
globalen Hungerkrise bedeuten würde. | |
Und dann wäre da noch der Klimawandel, dessen Folgen ein Hauptgrund für die | |
eskalierende Hungerskrise ist, so die eindeutige Analyse der | |
Welthungerhilfe. In Ostafrika und Madagaskar ist die Lage besonders | |
verheerend. In Äthiopien und Somalia werden Dürreperioden aufgrund | |
klimatischer Veränderungen immer länger. „Mensch und Vieh finden keine | |
Erholung mehr zwischen den regenarmen Zeiten“, erläutert die Präsidentin | |
der Organisation, Marlehn Thieme. | |
Besonders die Viehzucht leidet unter der anhaltenden Dürre. Es fehlt an | |
Wasser und Futter. Zwei Millionen Tiere sind bereits aufgrund der Folgen | |
der Trockenheit in der Region verendet, 10 Millionen weitere Tiere sind | |
stark geschwächt. Für die abgemagerten Tiere können die | |
Viehzüchter:innen nur einen geringeren Verkaufspreis auf dem Markt | |
verlangen. Auf der anderen Seite steigen die Einkaufspreise für | |
Lebensmittel. So geraten viele Viehzüchter:innen und ihre Familien in | |
Versorgungsnöte. | |
## Niemand gibt genug Geld | |
Eigentlich sind sich alle einig, der Hunger soll verschwinden. „Auf | |
Initiative von Entwicklungsministerin Schulze haben sich Regierungen, | |
internationale Organisationen und eine Vielzahl weiterer Akteure zum | |
Bündnis für globale Ernährungssicherheit zusammengeschlossen“ erklärt ein | |
Sprecher des Bundesministeriums für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) | |
gegenüber der taz. Bei dem Gipfeltreffen der G7 in Elmau Ende Juni einigten | |
sich die Regierungschefs darauf, der Welthungerhilfe 4,5 Milliarden Dollar | |
zukommen zu lassen. „Das reicht bei weitem nicht aus.“ kommentierte der | |
Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. | |
Sorgen bereite auch die geplante Kürzung des Budgets des Bundesministeriums | |
für Entwicklung im Haushalt für 2023. Mit 56,7 Millionen Euro war das BMZ | |
2021 der zweitgrößte Geldgeber der Welthungerhilfe. Noch ist zwar unklar, | |
ob oder in welchem Maße sich die Kürzungen des Budgets des Ministeriums auf | |
die Finanzierung der Welthungerhilfe auswirken wird, die Budgetkürzung sei | |
aber ein erschreckendes Signal, so Mogge. | |
Trotz der trostlosen Aussichten bleibt die Welthungerhilfe optimistisch. | |
„Hunger ist eines der größten lösbaren Probleme der Welt. Deshalb muss es | |
auf allen Ebenen priorisiert werden“, so Bettina Iseli, Programmdirektorin | |
der Welthungerhilfe. Der Kampf gegen den Hunger erfordere viele Ressourcen, | |
aber vor allem den politischen Willen, die Klimakrise bestmöglich | |
einzudämmen und kriegerische Konflikte zu beenden. | |
12 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/pictures/publications/de/organizat… | |
[2] https://www.inforadio.de/rubriken/interviews/2022/07/12/welthungerhilfe-jah… | |
## AUTOREN | |
Marita Fischer | |
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