# taz.de -- Israels Palästinenser-Politik: Human Rights Watch wagt das A-Wort | |
> Die Menschenrechtsorganisation hat die Lage in den palästinensischen | |
> Gebieten „Apartheid“ genannt. Israel spricht von „Fiktion“. | |
Bild: Der Kalandia-Checkpoint zwischen dem Westjordanland und Ostjerusalem, Mit… | |
Tel Aviv taz | Mit der Veröffentlichung eines 213 Seiten starken | |
[1][Berichts] hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) | |
am Dienstag für Aufruhr gesorgt. Als erste große NGO bezeichnet sie darin | |
die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen als | |
Apartheid. Nach jahrzehntelangen Warnungen, dass die Kontrolle über das | |
Leben der Palästinenser*innen zu Apartheid führen könnte, sei die | |
„Schwelle“ nun überschritten. | |
HRW legt in dem Bericht die Definition des Begriffs „Apartheid“ zugrunde, | |
wie sie 1973 von der UN-Vollversammlung in der „Internationalen Konvention | |
über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“ | |
beschlossen wurde. Mit dem Römischen Statut 1998, dem Gründungsdokument des | |
Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, wurde das | |
Apartheidsverbrechen der Zuständigkeit dieses Gerichts unterworfen. | |
Ursprünglich war der Begriff für die Rassentrennung in Südafrika verwendet | |
worden. | |
Im Römischem Statut werden alle jene inhumanen Akte als Apartheid | |
definiert, die mit dem Ziel ausgeführt werden, die Herrschaft einer | |
rassischen Personengruppe über irgendeine andere rassische Personengruppe | |
herzustellen und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken. | |
Entsprechend dieser Definition schlüsselt der Bericht die israelische | |
Politik gegenüber den Palästinenser*innen auf – sowohl innerhalb | |
Israels als auch im Westjordanland. | |
Auf Basis jahrelanger Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, | |
Analysen israelischer Gesetze, Planungsdokumenten und Aussagen von | |
Beamt*innen legt der Bericht etwa eine Fragmentierung der | |
palästinensischen Bevölkerung dar und eine systematische Diskriminierung | |
durch die Wohnungsbaupolitik oder die unterschiedliche Bereitstellung von | |
Infrastruktur im Westjordanland für Palästinenser*innen und jüdische | |
Israelis. | |
„Mit dem Bericht möchten wir vor allem eine Rechtsdiskussion eröffnen“, | |
sagt Wolfgang Büttner, Pressereferent von Human Rights Watch, gegenüber der | |
taz, „und einen Beitrag dazu leisten, dass nicht nur der stockende | |
Friedensprozess, sondern auch die Menschenrechtssituation in Israel und den | |
besetzten Gebieten stärker in die internationale Arena kommt.“ | |
Gleichzeitig sieht Büttner auch, dass der Begriff „Apartheid“ im | |
öffentlichen Diskurs stark mit Südafrika verbunden wird und auch von | |
Gruppen verwendet werde, mit denen Human Rights Watch nichts zu tun haben | |
wolle: „Wir distanzieren uns eindeutig von denjenigen, die sich gegen das | |
Existenzrecht Israels ausdrücken, die deutsche Vergangenheit leugnen oder | |
antisemitische Ziele verfolgen.“ | |
HRW ruft die internationale Gemeinschaft auf, ihre Haltung gegenüber Israel | |
und Palästina neu zu bewerten. „Nach 54 Jahren“, heißt es im Bericht, | |
„sollten die Staaten aufhören, die Situation durch das Prisma zu | |
beurteilen, was passieren könnte, wenn der schwächelnde Friedensprozess | |
eines Tages wiederbelebt wird, und sich stattdessen auf die seit Langem | |
bestehende Realität vor Ort konzentrieren.“ | |
Den [2][Internationalen Strafgerichtshof, der im März Ermittlungen zu | |
Israel und Palästina eingeleitet hat], fordert HRW auf, auch Personen | |
strafrechtlich zu verfolgen, die glaubhaft in Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit verwickelt sind. | |
## „Anti-israelische Agenda“ | |
Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums nannte den Bericht | |
„Fiktion“ und bezeichnete die Behauptungen als absurd und falsch: „Human | |
Rights Watch ist dafür bekannt, eine langjährige antiisraelische Agenda zu | |
haben, und versucht seit Jahren aktiv, Boykotte gegen Israel zu fördern.“ | |
Die palästinensische Autonomiebehörde begrüßte den Bericht und bezeichnete | |
ihn als „bemerkenswerte Ergänzung zu früheren internationalen Berichten und | |
Gerichtsurteilen“. | |
Im Januar hatte die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem die | |
israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen [3][erstmals | |
als Apartheidsregime bezeichnet]. Sie begrüßte den HRW-Bericht als | |
„dringenden Weckruf“. | |
Israel ist nicht das einzige Land, dessen Politik HRW als Apartheid | |
bezeichnet. Auch die Verfolgung der ethnischen Minderheit der Rohingya in | |
Myanmar definiert die NGO als Apartheid. | |
27 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities… | |
[2] /Israel-Ermittlungen-in-Den-Haag/!5756057 | |
[3] https://www.btselem.org/apartheid | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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