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# taz.de -- Nach Unglück in Israel: Solidarität für kurze Zeit
> Nach dem Tod von 45 Menschen am Berg Meron erhalten Ultraorthodoxe
> Beileidsbekundungen von ungewohnter Seite. Die Suche nach Schuldigen
> läuft.
Bild: Spuren einer Katastrophe: Auf diesen Stufen wurden 45 Menschen zu Tode ge…
Tel Aviv taz | „Es gibt erstaunliche Momente der Solidarität, und ich würde
mir wünschen, dass sie auch ohne Katastrophen existieren würden“, erzählt
der ultraorthodoxe Journalist Yakov Plevinsky, der seinen Cousin [1][in der
Massenpanik am Berg Meron] bei Feierlichkeiten ultraorthodoxer Jüdinnen und
Juden im Norden Israels am vergangenen Donnerstag verloren hat.
Er ist beeindruckt von der Menge an Beileidsbekundungen, die er von
säkularen Personen, in erster Linie Berufskolleg*innen, erhalten hat; von
den Hunderten, ebenfalls überwiegend säkularen, die schon am Freitag früh,
am Morgen nach dem Desaster, zur Blutspende am Rabinplatz in Tel Aviv
Schlange standen.
Auch von den arabischen Israelis, die normalerweise nicht viel mit
Ultraorthodoxen zu tun haben, kam Hilfe: Umliegende arabische Dörfer
richteten am Freitagmorgen Stationen ein, um den Evakuierten aus dem
Katastrophengebiet in Meron Essen und Trinken anzubieten; viele der
arabischen Bewohner*innen nahmen laut Medienberichten religiöse
Jüdinnen und Juden auf, die nach der Evakuierung im Norden gestrandet
waren.
Der Vorsitzende der hauptsächlich arabisch geprägten Vereinigten Liste,
Ayman Odeh, sprach ebenfalls sein Beileid aus und nannte die Zusammenarbeit
von Jüd*innen und Araber*innen in der Reaktion auf die Katastrophe
„einen kleinen Lichtstrahl in der großen Tragödie“.
## Angehörige im Ungewissen
Am Sonntag wurde ein Trauertag abgehalten, um der 45 Toten zu gedenken.
Flaggen an öffentlichen Gebäuden, Militärbasen und diplomatischen
Vertretungen waren auf halbmast gesetzt.
Die Massenpanik am Berg Meron ist eine der größten Katastrophen, die sich
zu Friedenszeiten in Israel ereignet haben. Dabei sollte dieser Tag
eigentlich ein Freudentag werden. Zehntausende ultraorthodoxer Jüdinnen und
Juden versammeln sich jedes Jahr am jüdischen Feiertag Lag BaOmer am Berg
Meron, gedenken dort des jüdischen Aufstands gegen die römischen Besatzer
im zweiten Jahrhundert, drängen zum Grab des Rabbis Schimon Bar Jochai, der
an diesem Aufstand beteiligt war.
Einige Feiernde glitten, dicht aneinander gedrängt, auf einer rutschigen
Rampe mit Metallboden aus, die zum Grab Bar Jochais führte. Sie rissen
andere mit. 45 Menschen wurden zu Tode gequetscht, unter ihnen auch ein
Dutzend Kinder. Über 150 wurden verletzt. Berichte von Augenzeugen und die
Bilder im Fernsehen waren erschütternd. Wo normalerweise getanzt und
gesungen wird, lagen Leichen in Plastiksäcke gehüllt auf dem Boden.
## Nachlässigkeiten im Management
Plevinsky selbst war, anders als in vergangenen Jahren, in diesem Jahr
nicht dort, jedoch viele seiner Familienmitglieder und Freunde. Lange hatte
er keine Sicherheit, ob sein Cousin wirklich in der Massenpanik gestorben
war. Viele der Toten waren durch die Quetschungen nur schwer zu
identifizieren. Zahlreiche Familienangehörige waren bis Sonntag noch nicht
über den Tod von Angehörigen informiert.
Während die betroffenen Familien Solidaritäts- und Beileidsbekundungen
erreichen, sind die Schuldzuweisungen bereits im vollen Gange. Nur wenige
Stunden nach der Katastrophe veröffentlichten Medien den Bericht des
staatlichen Rechnungsprüfers von 2008 und den drei Jahre später
veröffentlichten Folgebericht, in dem die Probleme des Geländes,
Nachlässigkeiten im Management und die daraus resultierenden Gefahren
detailliert beschrieben wurden.
Nach den üblichen polizeilichen Sicherheitsvorschriften für öffentliche
Versammlungen hätten demzufolge nicht mehr als 15.000 Menschen zugelassen
werden dürfen. Tatsächlich waren es über 100.000. Die Polizei sagt, ihr
fehle die Autorität, religiöse Veranstaltungen einzuschränken.
## Die Gräben der Gesellschaft sind zu tief
Die Kontrolle über die Stätte selbst ist laut Ha’aretz aufgeteilt zwischen
den verschiedenen religiösen Gruppierungen und dem Ministerium für
religiöse Dienste, das seit Jahren von der ultraorthodoxen Partei Schas
kontrolliert wird. Ihre Politiker sind Mitorganisatoren der Veranstaltung
und haben wenig Interesse an Beschränkungen.
Verkompliziert wird die Suche nach den Schuldigen außerdem [2][durch die
Coronasituation]. Im Vorfeld hatte sich die Regierung nicht darüber einigen
können, ob die Feierlichkeiten eingeschränkt werden sollten.
Kritiker*innen warfen Netanjahu vor, seine ultraorthodoxen
Bündnispartner nicht mit Beschränkungen verärgern zu wollen. Beamte des
Gesundheitsministeriums hatten jedoch die Israelis aufgefordert, nicht zum
Berg Meron zu reisen, da sie befürchteten, es könnte durch die Ansammlung
zu massenhafter Ansteckung mit dem Coronavirus führen.
Trotz der Solidaritätsbekundungen wird sich der Graben zwischen Säkularen
und Ultraorthodoxen wohl nicht so schnell schließen lassen: „Im Laufe der
Jahre gab es einige Katastrophen, die zur kurzzeitigen Vereinigung geführt
haben“, erklärt Plevinsky: „Aber die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf
Kernthemen des Staates Israel sind einfach zu tief. Ein einzelnes Ereignis,
selbst eines in solch tragischem Ausmaß, wird die Karte nicht für immer
verändern.“
2 May 2021
## LINKS
[1] /Unglueck-bei-religioesem-Fest/!5769222
[2] /Israel-nach-dem-Lockdown/!5754807
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Israel
Massenpanik
Ultraorthodoxe
Israel
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Westjordanland
Israel
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