# taz.de -- Investigativer Podcast „Wind of Change“: Scorpions – oder CIA? | |
> Mit „Wind of Change“ schrieben die Scorpions 1990 den Soundtrack zum Fall | |
> des Eisernen Vorhang. Steckte in Wahrheit die CIA hinter der | |
> Powerballade? | |
Bild: Immer wieder „Wind of Change“: Die Scorpions bei der Fernsehshow „5… | |
HAMBURG taz | Im Dezember 1991 bekam Michail Gorbatschow [1][Besuch aus | |
Hannover]: die Scorpions. Erstmals erklang dabei im Kreml jenes Lied, von | |
dem die Rockband gerne sagt, es sei vom Ende des Ost-West-Konflikts, von | |
Glasnost und Perestroika inspiriert gewesen: [2][„Wind of Change“.] 1990 | |
veröffentlicht, ist der Song bis heute [3][das Wende- und | |
Wiedervereinigungsstück schlechthin] und wohl das bekannteste der Band; die | |
Rede ist, nur als Indiz, etwa von mehr als 800 Millionen Klicks auf | |
Youtube. Dem Abwickler der sozialistischen Sowjetunion brachten die | |
Hannoveraner damals, 1991, neben Geld für örtliche Kliniken denn auch eine | |
Goldene Schallplatte mit. | |
Fast 30 Jahre später, im Frühling 2019, besuchte in Manhattan Patrick | |
Radden Keefe einen Freund. Dieser Michael telefonierte mit einem Dritten, | |
einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA. Thema des Gesprächs: | |
eine Geschichte, die der Geheimdienstler zehn Jahre zuvor angedeutet hatte: | |
Hinter „Wind of Change“ stecke – die CIA. Damit beginnt der achtteilige, | |
englischsprachige Podcast, folgerichtig „Wind of Change“ betitelt, der seit | |
Montag komplett [4][bei Spotify] angehört werden kann; [5][auf anderen | |
Plattformen] erscheint jeweils montags eine neue Folge. | |
Keefe, Jahrgang 1976, ist [6][vielfach ausgezeichneter investigativer | |
Journalist], hat für die New York Times und Slate.com gearbeitet, aber vor | |
allem [7][beim New Yorker]. Mit „Say Nothing“ legte er im vergangenen Jahr | |
das Lieblingsbuch nicht nur von Ex-Präsident Barack Obama vor: eine „wahre | |
Geschichte über Mord und Erinnerung in Nordirland“, so der Untertitel – und | |
ein später Versuch, Licht zu bringen in einen Jahrzehnte zurückliegenden | |
Mord. | |
Er habe schon über ganz verschiedene Dinge gearbeitet, sagt er zu Beginn | |
des Podcasts. Aber wenn sich ein Faden durch all das ziehen lasse, dann | |
seien es „Geheimnisse“ – Dinge, „die ich nicht wissen sollte“. Was er… | |
gelernt habe: Auf den Grund von so etwas führe nie eine gerade Linie. Auch | |
der Spur mit den Scorpions folge er schon seit 2011. Es sei eine Geschichte | |
gewesen, unglaubwürdig, dass er ihr normalerweise nicht nachgegangen wäre: | |
Auch das sagt Keefe ziemlich früh in Folge 1, „My Friend Michael“. Aber | |
weil der den Anstoß gab, tat Keefe es doch – gut für uns. | |
Die Sache sei „verrückt genug, um wahr zu sein“: Das hat Tommy Vietor | |
gesagt, einer der drei Gründer der liberalen Polit-Podcast-Plattform | |
[8][Crooked Media], die „Wind of Change“ koproduziert hat. In einer | |
Pressemitteilung verweist der Außenpolitikkenner, der unter Barack Obama | |
auch für den Nationalen Sicherheitsrat arbeitete, auf verwandtes – und | |
belegtes – Engagement der USA während des Kalten Krieges: „Wir wissen, dass | |
die CIA in den 50er- und 60er-Jahren heimlich kulturelle Events gesponsert | |
hat. Sie haben die Verfilmungen von George Orwells ‚1984‘ und ‚Farm der | |
Tiere‘ finanziert und eine Europa-Tournee des Boston Symphony Orchestra. | |
Warum also nicht auch einer deutschen Rockband dabei behilflich sein, eine | |
Powerballade zu schreiben, um den Eisernen Vorhang niederzureißen?“ | |
Auch [9][um den Abstrakten Expressionismus] der „New York School“ ranken | |
sich solche Geschichten: Einerseits wäre manchen Historiker*innen und | |
Journalist*innen zufolge diese Nachkriegsmoderne [10][als Gegenteil des | |
Sozialistischen Realismus] und also Aushängeschild (nicht nur) kultureller | |
Überlegenheit des Westens [11][herumgereicht worden]. Andererseits wurden | |
ihre Vertreter, also Leute wie Jackson Pollock und Mark Rothko, persönlich | |
angefeindet: ironischerweise als „Kommunisten“. Ein Konflikt zwischen CIA | |
und den Außenpolitikern des State Department auf der einen Seite und dem | |
Weißen Haus auf der anderen? Das klingt, als könnte er sich jetzt gerade | |
zutragen. | |
Eine andere Variante von Zusammenarbeit von CIA und der | |
Entertainmentbranche, nämlich Hollywood, kommt im Podcast besonders | |
prominent vor: 1979 flüchteten sechs Angestellte der besetzten US-Botschaft | |
in Teheran ins Haus des kanadischen Konsuls. Um sie zu befreien, | |
inszenierte man gemeinsam Dreharbeiten für einen „Krieg der | |
Sterne“-Abklatsch, der angeblich im Iran gedreht werden sollte: Beteiligt | |
waren echte Filmleute, es gab ein Drehbuch, alles Pipapo. | |
Diesen Fall zu freizugeben, also nicht länger geheim zu halten, war 1997 | |
unter Präsident Bill Clinton eine Idee der CIA-Spitze selbst: Man wollte | |
endlich auch mal eine gute Geschichte über sich in der Welt haben, die | |
einer gelungenen Operation, nicht immer nur solche von Pleiten und Pannen. | |
Die Rechnung ging auf: Die Iran-Sache wurde 2012 zum später oscarprämierten | |
[12][Spielfilm „Argo“]. ([13][Eine andere Lesart]: 1979 habe die | |
Unterwanderung Hollywoods durch die Dienste begonnen.) | |
Es hat in den vergangenen Jahren einige sehr erfolgreiche | |
True-Crime-Podcasts gegeben, also Dramatisierungen wirklicher Ermittlungen | |
in authentischen Fällen. Eine Verästelung waren dann Ich-bezogene | |
Rechercheformate auch ohne Verbrechen: [14][„Missing Richard Simmons“] etwa | |
handelte von der Suche des Autors/Ich-Erzählers Dan Taberski nach seinem | |
früheren Fitnesstrainer. Dass es sich dabei weniger um Aufklärung handeln | |
könnte als ums [15][Stalking eines Menschen], der schlicht nicht mehr in | |
der Öffentlichkeit stehen wollte: [16][Das fanden manche Kritiker*innen | |
problematisch]. Beteiligt waren damals unter anderem die [17][Pineapple | |
Street Studios], die auch bei „Wind of Change“ Produktionspartner sind. | |
Zur Frage der Relevanz von Keefes Recherche nun mag man unterschiedlicher | |
Meinung sein. Egal aber, wie man steht zur Frage der Urheberschaft des | |
pathetischen Ohrwurms mit dem Pfeifen; egal auch, ob man sich die Rocker | |
aus Hannover nun als Agenten gezielter Destabilisierung vorstellen möchte | |
oder nicht: Am Ende des Podcasts weiß man viel über Geheimdienste und ihre | |
Methoden, auch darüber, wie sie Öffentlichkeit (oder gerade keine) nutzen. | |
Und das alles ist nun höchst relevant. | |
Der namenlose Informant am anderen Ende des Telefons übrigens, jener | |
Insider, dessen Erzählung alles ins Rollen brachte: Er wollte keinesfalls | |
auftauchen, auch nicht mit verfremdeter Stimme und unter anderem Namen: Er | |
könnte dafür hinter Gitter wandern, sagte er, wegen Geheimnisverrats. Das | |
klingt ernst – oder werden wir hier einfach nur sehr gut an der Nase | |
herumgeführt? Die Herausgeber selbst sprechen immerhin von einer Mischung | |
aus dem Watergate-Thriller [18][„Die Unbestechlichen“] – und der | |
Metal-Mockumentary [19][„This is Spinal Tap“]. | |
11 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!1689923/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=XjFsZj1aHow | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=RXcHiANw3wc | |
[4] https://open.spotify.com/show/3vikAuFxKVNe2GBZC61IYD | |
[5] https://crooked.com/podcast-series/wind-of-change/ | |
[6] https://www.patrickraddenkeefe.com/ | |
[7] https://www.newyorker.com/contributors/patrick-radden-keefe | |
[8] https://crooked.com/ | |
[9] https://medium.com/@MichaelMcBride/how-jackson-pollock-and-the-cia-teamed-u… | |
[10] http://www.bbc.com/culture/story/20161004-was-modern-art-a-weapon-of-the-c… | |
[11] https://www.independent.co.uk/news/world/modern-art-was-cia-weapon-1578808… | |
[12] /!t5072555/ | |
[13] /Ben-Afflecks-Film-Argo/!5080033 | |
[14] https://www.topic.com/missing-richard-simmons | |
[15] https://www.theguardian.com/tv-and-radio/2017/mar/17/missing-richard-simmo… | |
[16] https://www.nytimes.com/2017/03/14/arts/missing-richard-simmons-podcast.ht… | |
[17] http://pineapple.fm/about | |
[18] /!828849/ | |
[19] /!845010/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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