| # taz.de -- Internationale Buchläden in Berlin: Das Buch kommt per Luftpost | |
| > Internationale Buchläden bieten mehr als Literatur: türkische Filme, | |
| > russische Teigwaren, große Vielfalt und ein kleines Stück Heimat | |
| Bild: Seit 36 Jahren arbeitet Akira Yamashina in seiner Buchhandlung. Er ist se… | |
| Berlin taz | „Ostpost“ steht in schnörkellosen Lettern auf dem Schild über | |
| der Eingangstür, darüber sind zwei Brieftauben abgebildet. Die [1][kleine | |
| Buchhandlung für osteuropäische Literatur] in Prenzlauer Berg hat seit | |
| einer halben Stunde geöffnet. Das Geschäft, in dem Inhaberin Luba Kemenova | |
| auch ein Café betreibt, ist vom Summen der Espressomaschine erfüllt. Sie | |
| hat schon Croissants aufgebacken und Sandwiches belegt. Nun wartet sie auf | |
| die ersten Gäste, die sich aus dem nasskalten Novemberwetter in ihren Laden | |
| retten, einen Kaffee zum Mitnehmen bestellen oder es sich zwischen Büchern, | |
| Schwarzweißfotos und Omalampen gemütlich machen. | |
| Kemenovas Buchhandlung ist eine von mehreren internationalen Buchhandlungen | |
| in Berlin. Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels zufolge sind es 26 | |
| Läden, die sich auf osteuropäische, afrikanische, arabische, asiatische | |
| oder romanische Literatur spezialisiert haben. | |
| Nicht überraschend in einer Hauptstadt, die von jeher als | |
| Einwanderungsmetropole gilt – und doch besetzen die kleinen und | |
| unabhängigen Läden oft winzige Nischen. Sie versorgen Menschen | |
| verschiedenster Herkunft mit Literatur, Comics und Zeitschriften aus | |
| anderen Ländern, organisieren Lesungen mit ausländischen AutorInnen und | |
| bieten manchmal besondere Delikatessen an. Dank ihrer Spezialisierung haben | |
| diese Läden einen festen Kundenstamm – das hilft beim Überleben. | |
| In Kemenovas Regalen findet man Bücher aus Polen, Ungarn, Tschechien, | |
| Bulgarien und der Slowakei. Der Schwerpunkt aber liegt auf russischer | |
| Literatur. Im Original, zweisprachig und als deutsche oder englische | |
| Übersetzung. Die russischsprachige Community ist nach der türkischen und | |
| polnischen die drittgrößte in der Stadt, weiß Kemenova, die selbst aus | |
| Russland stammt. | |
| ## Das Zuhause einer Babuschka | |
| Seit anderthalb Jahren befindet sich die „Ostpost“ in der Choriner Straße, | |
| es gibt auch Teigwaren wie Blini und Pelmeni, viel Holz, Ornamentkacheln | |
| und eine Leseecke, in der es sich bestimmt super in Geschichten versinken | |
| lässt. „Ich wollte einen Ort schaffen, der an das Zuhause einer Babuschka | |
| erinnert“, sagt Kemenova. | |
| Die Buchhändlerin legt zwei Veröffentlichungen der weißrussischen | |
| Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch auf den Tisch, die oft bei ihr | |
| gekauft werden. Alexijewitsch hat über russische Frauen in der Roten Armee | |
| geschrieben, die im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland gekämpft | |
| haben, auch über den sowjetischen Afghanistankrieg und die Auswirkungen der | |
| Atomkatastrophe von Tschernobyl. | |
| Es sind kritische Bücher, die bis heute in Weißrussland verboten sind. In | |
| den Achtzigern verlor die Autorin dafür ihren Job als Journalistin, in den | |
| Neunzigern stand sie mehrfach vor Gericht und zwischenzeitlich musste sie | |
| ins Exil gehen. Russlandkritische SchriftstellerInnen leben nach wie vor | |
| gefährlich – daran erinnerte erst kürzlich wieder der | |
| „Writers-in-Prison“-Day des AutorInnenverbands Pen International. | |
| Auch andere unbequeme Bücher findet man in Kemenovas Regalen mit den | |
| russischen und russischsprachigen Publikationen: „Ein Punk-Gebet für | |
| Freiheit“ von Pussy Riot zum Beispiel, in dem die Mitglieder des Moskauer | |
| Performance-Kollektivs vom Gerichtsprozess und dem Gefängnisalltag | |
| berichten. Eine russische Ausgabe gebe es ihres Wissens nicht, sagt | |
| Kemenova. | |
| Masha Gessens Enthüllungsbericht „Der Mann ohne Gesicht“ über Wladimir | |
| Putin hat Kemenova ebenfalls prominent platziert. Sollen diese Bücher | |
| politische Statements sein? Kemenova, die in Wladiwostok Linguistik und | |
| interkulturelle Kommunikation studierte und vor 14 Jahren zum Studium nach | |
| Deutschland kam, verneint das. „Ich selbst bin gegen Putin, aber viele | |
| meiner Kunden mögen ihn.“ | |
| ## Politische Diskussionen? Lieber nicht | |
| Im Buchladen „Ostpost“ gibt es darum Regierungskritisches und Unkritisches | |
| zu kaufen, darunter Bestseller, populäre Sachbücher wie die russische | |
| Ausgabe von „Darm mit Charme“ und Ratgeber, die einem erklären wollen, wie | |
| man reich und glücklich wird. Die Events, die in Kemenovas Laden | |
| stattfinden, sollen für alle OsteuropäerInnen und an Osteuropa | |
| Interessierte sein, sagt sie. Politische Diskussionen lehne sie bei ihren | |
| Veranstaltungen aber ab. Ihr Ziel, sagt die 37-Jährige, sei nicht die | |
| Spaltung, sondern die Vereinigung. Eine Aufgabe, die manchmal eine | |
| Gratwanderung ist. | |
| Viereinhalb Kilometer entfernt, nahe dem Kottbusser Tor, liegt etwas | |
| versteckt in einem Innenhof die türkische „Regenbogen Buchhandlung“. | |
| Draußen nieselt es, drinnen, im Erdgeschoss des größten Hochhauses am | |
| Platz, nimmt Buchhändlerin Gülhan Ballikaya einen Schluck von ihrem Tee. Im | |
| Hintergrund läuft palästinensische Oud-Musik. Die 39-Jährige, die ein wenig | |
| an Audrey Hepburn erinnert, arbeitet seit Oktober hier. Zuvor hat sie in | |
| Ankara Philosophie studiert und Soziale Arbeit in Berlin. Bis sie einen Job | |
| als Sozialarbeiterin findet, will sie Bücher verkaufen. | |
| In dem winzigen Laden ist jeder Zentimeter sinnvoll genutzt. Hier gibt es | |
| vom politischen Essay bis hin zu Unterhaltungsliteratur fast alles, was | |
| einen Bücherfan glücklich macht. Daneben türkischsprachige Filme, CDs, | |
| Zeitschriften, kurdische Literatur und deutsche Übersetzungen. Wenn sich | |
| mehr als zwei KundInnen gleichzeitig in dem hellen und freundlich | |
| eingerichteten Geschäft aufhalten, kann es bei so vielen Büchern schon mal | |
| eng werden. | |
| Besonders gut verkaufe sich momentan die neueste Biografie des | |
| Staatsgründers Kemal Atatürk, sagt Ballikaya und reicht ein Buch, dessen | |
| weißes Cover nur von der Unterschrift des Politikers geziert wird. Verfasst | |
| wurde es von Erdoğan-Kritiker und Kolumnist Yılmaz Özdil. Einer der | |
| meistgelesenen Autoren in der Türkei, von dem es in deutscher Sprache | |
| jedoch noch nichts zu kaufen gibt. Dann legt Ballikaya ein Buch namens „12 | |
| Eylül Bir Alman Pastası“ auf den Tisch, auf dessen Cover Willy Brandt und | |
| Helmut Schmidt abgebildet sind. In dieser Neuerscheinung untersuche Osman | |
| Çutsay die Rolle der SPD während des Militärputsches in der Türkei von | |
| 1980, sagt die Buchhändlerin. | |
| ## Reich wird man davon nicht | |
| [2][Die „Regenbogen Buchhandlung“] gibt es bereits seit 25 Jahren, wenn | |
| auch erst an einem anderen Ort. Das habe aber nicht so gut funktioniert, | |
| sagt Ballikaya. Seit 2010 findet man den Laden in verkleinerter Form unweit | |
| der trubeligen Adalbertstraße. Samt Café und Veranstaltungsraum ist er | |
| mittlerweile eine Kreuzberger Institution. „Reich wird man davon allerdings | |
| nicht“, sagt die Buchverkäuferin. | |
| Das Geschäft sei für Inhaber Metin Ağaçgözgü ein Herzensprojekt. Wer davon | |
| auch noch leben will, muss erfinderisch sein. So bietet er zusätzlich einen | |
| Onlineversand an und nimmt seit Kurzem auch DHL-Pakete entgegen. Außerdem | |
| beliefert er Turkologiestudiengänge mit Literatur und stellt bei | |
| politischen Debatten häufig einen Büchertisch. | |
| Das Motto ihres Chefs sei „Kultur kennt keine Grenzen“, sagt Ballikaya. | |
| Hier kaufen Jugendliche Liebesromane und Frauen mit Kopftuch den | |
| kommunistischen Lyriker Nâzım Hikmet. Hier bestellt der Nachbar von nebenan | |
| einen deutschsprachigen Autor und der nächste eine türkische Abhandlung | |
| über den Islam. Nur einmal wurde jemand weggeschickt, sagt Ballikaya: Ein | |
| Mann, der Hitlers „Mein Kampf“ auf Türkisch haben wollte. | |
| Die Situation in der Türkei mit den vielen inhaftierten SchriftstellerInnen | |
| und JournalistInnen nennt Ballikaya „schrecklich“. Aber auch in Berlin | |
| könnten nicht alle Menschen mit türkischem Hintergrund mit liberalen | |
| Meinungen umgehen, sagt sie. Ab und zu stünden KundInnen im Geschäft, die | |
| über das aufgestellte Porträt von Atatürk die Nase rümpften oder darüber | |
| schimpften, dass es so wenige Bücher über Religion zu kaufen gibt. | |
| Wie jede internationalen Community in der Stadt ist auch die türkische | |
| heterogen: Bei der letzten türkischen Präsidentschaftswahl in Berlin haben | |
| rund 50 Prozent der wahlberechtigten TürkenInnen Erdoğan gewählt. Auf der | |
| anderen Seite leben etliche RegimekritikerInnen in der Stadt. Für alle | |
| offen zu sein, wie es die „Regenbogen Buchhandlung“ versucht, ist auch hier | |
| ein Balanceakt. | |
| ## Die Magie entsteht durch den Inhaber | |
| Weiter geht es durch den kalten Winterregen nach Wilmersdorf. Genauer | |
| gesagt: in die Pestalozzistraße, in der seit 1982 die [3][Buchhandlung von | |
| Akira Yamashina] liegt. Ein kleines Geschäft, das leicht zu übersehen wäre, | |
| gäbe es die sonnengelbe Markise nicht, auf der mit großen Buchstaben | |
| „Japanische Buchhandlung“ steht. | |
| Beim Betreten des Ladens ein zartes Klingeln. Drinnen ist man sofort hin | |
| und weg, ohne direkt zu verstehen, warum. Klar, dieser kleine Laden hat | |
| seinen eigenen Charme: schmale Holzregale, die mit winzigen japanischen | |
| Taschenbüchern bestückt sind, Papierbögen mit japanischer Kalligrafie – | |
| Shodō genannt –, Postkarten mit luftigen Tuschezeichnungen, Architektur- | |
| und Kunstbände, Kochbücher, blutrünstige Mangahefte und Plakate mit | |
| großäugigen HeldInnen. Hinzu kommt ein in die Jahre gekommener Teppich und | |
| viele, viele Pappkartons, in denen zahlreiche weitere Bücher auf neue | |
| Besitzer warten. | |
| Doch die Magie entsteht vor allem durch den Inhaber Akira Yamashina | |
| höchstpersönlich, der sich seit 36 Jahren sechs Tage die Woche sieben | |
| Stunden lang in den zwei Räumen aufhält. Er ist sein einziger Mitarbeiter. | |
| Yamashina ist ein zurückhaltender, höflicher Mann, der sich Sorgen macht, | |
| wenn sich eine seiner Stammkundinnen mal länger nicht blicken lässt. „Ich | |
| hoffe, es geht ihr gut“, sagt er, als er von einer Dame spricht, die früher | |
| öfter zu ihm kam. Yamashina trägt Trainingsjacke, Sneaker und eine schwarze | |
| Brille, er wirkt zugleich sportlich und intellektuell. Seine verschmitzt | |
| dreinblickenden Augen verleihen dem 69-Jährigen etwas Jugendliches. | |
| Yamashina ist studierter Fischer und Umwelttechniker. Weil er nach seinem | |
| Abschluss an der Technischen Universität Berlin keine Anstellung fand, | |
| eröffnete er das Buchgeschäft. Aus einem pragmatischen Grund: „Ich wollte | |
| Geld verdienen“, sagt er. In den Achtzigern bis in die späten Neunziger | |
| hinein habe er noch davon leben können. Mit japanischen Baufirmen, die zu | |
| DDR-Zeiten in Ostberlin bauten, kam japanische Kundschaft in Yamashinas | |
| Westberliner Buchhandlung. Nach dem Mauerfall kamen die japanischen | |
| Korrespondenten. | |
| ## Arbeit als Hobby | |
| Heute gibt es in Berlin bloß noch rund 3.000 JapanerInnen, schätzt der | |
| Buchhändler. „Davon macht die Hälfte Work and Travel“, vermutet er, „und | |
| hat kein Geld.“ Seine Kundschaft besteht zu 70 Prozent aus Deutschen. Doch | |
| auch von diesen kämen zu wenige vorbei. Yamashina lebt von seiner Rente. | |
| „Die Arbeit hier ist ein Hobby für mich.“ | |
| Wer ein Buch in der „Japanischen Buchhandlung“ bestellt, muss zwei bis drei | |
| Wochen auf die Lieferung warten: Die Bücher werden per Luftpost nach Berlin | |
| geflogen. Aber auch ohne weitere Bestellungen ist das Sortiment groß. Gut | |
| verkaufen sich zum Beispiel die Bücher der Schriftstellerin Banana | |
| Yoshimoto, die als Tochter des Lyrikers und Philosophen Takaaki Yoshimoto | |
| bekannt wurde und jetzt berühmter ist als ihr Vater, erzählt der | |
| Buchhändler. | |
| Und dann fällt ihm natürlich der Großmeister der japanischen Literatur, | |
| Haruki Murakami, ein. Yamashina weist auf die großen optischen Unterschiede | |
| zwischen der deutschen und der japanischen Taschenbuchausgabe von „Sputnik | |
| Sweetheart“ hin. Die deutsche wirkt im Vergleich zur japanischen geradezu | |
| klobig. Yamashina nimmt das japanische Buch in die Hand. „Fühlen Sie mal“, | |
| sagt er, „wie fein das Papier ist. Da müssen die Deutschen noch viel | |
| lernen.“ | |
| Wenn Yamashina seinen Lieblingsschriftsteller nennen soll, fällt ihm der | |
| verstorbene Bestsellerautor Ryōtarō Shiba ein, der als Journalist | |
| angefangen und später zahlreiche historische Romane verfasst hat. Auf | |
| Deutsch ist nur sein Roman „Der letzte Shôgun“ erschienen. Yashima deutet | |
| auf ein Regal neben dem Fenster, in dem viele Bücher über japanischen | |
| Zen-Buddhismus stehen. Die seien früher gut gegangen, so nach der | |
| Hippiezeit. „Jetzt ist es darum ruhiger geworden.“ Anders als um die | |
| berühmten japanischen Gedichte in der traditionellen Haiku-Form, die in | |
| Deutschland beliebt sind, aber in Japan kaum verkauft werden. | |
| Zum Ende seiner kleinen Führung setzt sich Yamashina wieder hinter seinen | |
| Verkaufstisch und schlitzt ein paar Briefe auf. Wie von Zauberhand stehen | |
| plötzlich drei Kunden auf einmal in seinem Laden. | |
| Was passiert, wenn Yamashina eines Tages nicht mehr arbeiten kann oder | |
| möchte? Einen Nachfolger für seine Buchhandlung hat er bislang nicht | |
| gefunden. | |
| 17 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.ostpost-berlin.de/de/ | |
| [2] https://www.regenbogen-buch.net/de/ | |
| [3] https://japanliteratur.net/japanische-buchlaeden-2-yamashina-berlin/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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