# taz.de -- Indie-Kunstmesse Paris Internationale: Das geprügelte Schwein glä… | |
> Die Kunstmesse Art Basel findet gerade in Paris statt. Unterdessen zeigt | |
> die Paris Internationale, wie viel Punk und Politik im Kunstmarkt steckt. | |
Bild: Angestrengte Popos und ihr Abhilfe beim Messeauftritt der Galerie von Deb… | |
Als die Paris Internationale 2015 erstmals ihre Türen öffnete, wollte sie | |
eine Alternative sein: Ohne horrende Standgebühren und viel Proporz, als | |
Treffen befreundeter Galerien. 2022 ist sie plötzlich in aller Munde, und | |
die Art Basel gastiert mit der „Paris+“ gerade ebenfalls in der | |
französischen Hauptstadt. Die einen ärgern sich, weil dadurch die beliebte | |
Kunstmesse FIAC von ihrem angestammten Platz verdrängt wurde. | |
Die anderen hoffen auf Synergieeffekte. Hier das Großevent, dort der | |
Indie-Club unter den Kunstmessen, der eine andere Art von Exklusivität | |
verspricht. Mit 60 Teilnehmern ist Paris Internationale inzwischen zwar | |
größer, aber immer noch überschaubar und zudem weiter vagabundierend: 2022 | |
hat man sich den Sitz der ersten Impressionisten-Schau 1874 zur | |
Zwischennutzung auserkoren. Bevor das Gebäude saniert wird, ist dort Kunst | |
zwischen rohen Betonböden, freigelegten Wänden mit diversen | |
Materialschichten und Lichthof mit etagenhohen Palmen zu sehen. | |
Junggalerien sind dabei ebenso wie etablierte Off-Spaces. Die norwegische | |
Galerie Entrée möchte eventuell gar nicht mehr zurück: Kürzere Wege, | |
überhaupt hätten sich die Zeiten geändert. Daheim in Oslo lade man öfter zu | |
Workshops statt Ausstellungen. In Paris präsentiert man allerdings doch | |
Kunst in Objektform – hängende Skulpturen von Cato Løland, der Materialien | |
wie Polyester und Narzissen leichtfüßig zusammenbringt. | |
Seit Langem nach Paris kommt Deborah Schamoni, die mit ihrer Münchener | |
Galerie nun Shannon Finnegan vertritt und diese zwischen Malerei von Aileen | |
Murphy präsentiert. Finnegans royalblaue Arbeiten waren bereits 2021 im | |
Frankfurter MMK zu sehen, wo sie wie hier ihr Publikum über körperliche | |
Einschränkungen nachdenken ließen. „Es war anstrengend, herzukommen“ oder | |
„Diese Ausstellung hat mich zu lange zum Stehen aufgefordert“, verlautbaren | |
ihre Bänke, Liegen und Sitze, um sogleich Abhilfe anzubieten. | |
## Verwertung von Arbeitsumständen | |
Auch aus Berlin kommen Galerien mit eigensinnigem Programm: Schiefe Zähne | |
zum Beispiel oder KOW, mit aquarellierten Papierfiguren [1][der | |
geschichtssinnigen Anna Boghiguian]. Die Wienerin Sophie Tappeiner zeigt | |
die schlicht-aufregende Fotokunst von Sophie Thun, deren Verwertung von | |
Arbeitsumständen bedeutet, die eigene Wohnung, Krempel, die eigene Person | |
und dann auch noch Bilder hiervon ins analoge Licht zu bringen. | |
Motive, auf denen sie mit festem Blick, bis auf ihre markante Brille | |
unbekleidet und mehrfach in urkomischen, pornoesken Verrenkungen posiert, | |
sind laut der Künstlerin „keine Einladung“ zum Glotzen. Es wird | |
zurückgestarrt. | |
Aus Mexiko-Stadt angereist ist die Galerie Lodos, wo Sofia Berakha und | |
Berenice Olmedo einen näheren Blick lohnen. Berakha hat bei Jutta Koether | |
in Hamburg studiert und schafft erweiterte Malerei mit Haarclips- und | |
Glitzer-Konvoluten, Olmedo verarbeitet verunglückte | |
Prothesengussvorlagen. Und Richard Galling bringt mit seinen fabelhaft | |
albernen Malereien bei The Green Gallery aus Milwaukee Gobblins und | |
Positive-Thinking-Slogans kühn zusammen. | |
Überhaupt glüht die 90er-Nostalgie samt ihren konsumkulturellen Versprechen | |
noch immer heiß. Sie entfaltet sich zwischen Cyber-Goth und zuckersüßen | |
Pastellfarben. In diesem Gewand taucht auch Romantik in einer Neuauflage | |
auf, die kürzlich ja das Kunstkollektiv „Frankfurter Hauptschule“ beklagt | |
hatte – Regenbögen, Esoterisches und finstere Schilflandschaften scheinen | |
ihre Mahnung zu bestätigen. | |
## Wild-amouröse Szenerien zwischen Tier und Mensch | |
Mit der Figuration sind auch Körper endgültig zurück. Beziehungsweise | |
Teile, als ultimativer Fetisch inszeniert oder schon wieder in Auflösung | |
begriffen. Heraus stechen Arbeiten von Shafei Xia, gesehen bei P420 aus | |
Bologna: In ihren zarten Boudoir-Ansichten entfalten sich wild-amouröse | |
Szenerien zwischen Tieren hier und Menschen dort. Mit Schweine- und | |
Popobäckchen, zartrosa oder knallrot geprügelt. | |
Ausgesprochen zeitgenössisch wirken die feinsinnig zusammengestellten | |
Assemblagen bei Amanda Wilkinson aus London. Tatsächlich stammen sie aus | |
dem Jahr 1982 – geschaffen [2][von Derek Jarman, dem Filmemacher und | |
Künstler, der 1994 an Aids verstarb]. Seinen pastosen Bildern in | |
Assemblagen aus beschrifteten Glasscherben, verrostetem Eisen und Holz | |
werden hier Papierarbeiten von Joan Jonas an die Seite gestellt. | |
Und dann wird man unverhofft in Nichtkunst katapultiert: Die Wände von | |
Understructures bleiben leer. Man könne ob der massiven Raketen- und | |
Drohnenbeschüsse nicht mit einer russischen Galerie zusammen auftreten, | |
erklären die Kiewer via Instagram. Schon ist sie dahin, die Erzählung vom | |
neutralen, über allen Dingen stehenden Kunstbetrieb. | |
Keine politischen Statements findet man aus naheliegenden Gründen bei der | |
Teheraner Galerie Delgosha. Sie zeigt Arbeiten der deutsch-iranischen | |
Filmemacherin Yalda Afsah und seltsame, farbenfrohe Malereien von Soheil | |
Mokhtar, dessen geschlechtslos abstrahierte Fabelwesen auf persische Mythen | |
und das Buch der Könige rekurrieren. | |
## Zensur durchzieht den Kunstbetrieb in Hong Kong | |
Unerschrocken und mit bewundernswertem Galgenhumor berichtet eine junge | |
Hongkongerin von den Zuständen in ihrer Stadt: Zensur durchziehe inzwischen | |
den gesamten Kunst- und Kulturbetrieb, Werke in Museen würden ersetzt, | |
Galerien stünden unter Beobachtung. Dafür blühten selbstverwaltete | |
Kunsträume auf. „Negative Space“, schon länger dabei, zeigt eine Video- u… | |
Soundarbeit von Chan Ting, die mit Found-Footage-Materialien von | |
intragenerationellen Traumata, Protest und sozialer Klasse erzählt. | |
Nicht nur in diesen Momenten sticht die Zusammenstellung von Paris | |
Internationale heraus: Wenn man von einem Verkaufsstand direkt in ein | |
Gespräch über die politische Lage Hongkongs stolpert und das nur | |
folgerichtig erscheint, wo sich beide Verheißungen der Kunst, die monetärer | |
Art und die der in anderen Sphären verordneten Freiheiten, gegenseitig | |
bedingen. | |
21 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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