| # taz.de -- Immunsystem erforschen: Hirn zu Bauch, Bauch zu Hirn | |
| > Unser Immunsystem schützt uns vor Krankheiten, indem es Eindringlinge | |
| > erkennt und bekämpft. Wie es funktioniert, verstehen Forschende immer | |
| > besser. | |
| Bild: Die Darm-Immunsystem-Hirn-Achse: Offenbar bedingen sich alle drei Systeme… | |
| Viren, Bakterien, Wunden, Schmutz oder kranke Zellen – der Körper ist meist | |
| gut darin, Angriffe auf die Gesundheit abzuwehren. Dazu nutzt er das | |
| Immunsystem, das grob gesagt auf zwei Prozesse zurückgreift: Die angeborene | |
| Immunität, die auf alle Eindringlinge gleichermaßen reagiert und dadurch | |
| sehr schnell die erste Abwehr liefern kann, und die erworbene Immunabwehr, | |
| die gezielt gegen bestimmte Krankheitserreger oder veränderte Körperzellen | |
| vorgeht. | |
| Was geschieht, wenn die Kontrolle der Immunantwort nicht richtig | |
| funktioniert, sieht man beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen: Das | |
| überaktive System greift dann den eigenen Körper an. Umgekehrt kann es zu | |
| häufigen und schweren Infektionen kommen, wenn die Zellen nicht stark genug | |
| gegen Gefahren vorgehen. Deshalb wurde während der Pandemie immer wieder | |
| betont, wie wichtig das Maskentragen aller Menschen zum Schutz von | |
| Immungeschwächten ist. | |
| Ein gut arbeitendes Immunsystem ist also essentiell für die Gesundheit – | |
| trotzdem verstehen wir nicht annähernd, wie genau es reguliert wird. | |
| Sicher, die grundsätzlichen Mechanismen lernen Schülerinnen und Schüler | |
| schon im Biologieunterricht. Aber auf die Details kommt es an, und da hat | |
| die Forschung noch viel zu tun. | |
| Ein wichtiger Aspekt, der immer stärker in den Fokus der Wissenschaft | |
| rückt, ist dabei die Interaktion mit dem restlichen Körper, sagt Claudia | |
| Günther. Die Professorin für Experimentelle Medizin leitet am Uniklinikum | |
| Erlangen eine Forschungsgruppe, die sich mit der Kommunikation von Hirn, | |
| Darm und Immunsystem beschäftigt. „Man hat erst in letzter Zeit damit | |
| begonnen, nicht mehr nur auf einzelne Organe zu schauen, sondern | |
| interdisziplinär zu arbeiten.„Tatsächlich scheint das Gehirn zu regulieren, | |
| ob und wie stark die Immunantwort aktiviert oder beruhigt wird. | |
| ## Die Kommunikation | |
| [1][Eine Gruppe US-amerikanischer Wissenschaftler:innen] um den | |
| Biochemiker, Biophysiker und Neurowissenschaftler Charles Zuker beschrieb | |
| erst kürzlich, wie Botenstoffe des Immunsystems – die sogenannten Zytokine | |
| – bestimmte Nervenzellen im Stammhirn über eine aufkommende Entzündung | |
| informieren. Umgekehrt kann das Gehirn offenbar auch dafür sorgen, dass die | |
| Immunantwort dann in genau der richtigen Stärke durchgeführt wird. | |
| Die Forschenden nutzten genetisch veränderte Mäuse, um die Kommunikation | |
| zwischen Hirn und Immunsystem zu unterbrechen. Das Ergebnis: Ohne den | |
| wechselseitigen Dialog reagierten die Versuchstiere mit einer | |
| unkontrollierten Entzündungsreaktion. Aktivierte die Forschungsgruppe | |
| hingegen die entsprechenden Nervenzellen gezielt, fanden sie weniger | |
| Entzündungsstoffe im Blut der Tiere. Aus ihren Resultaten schließen die | |
| Wissenschaftler:innen, dass sie in diesen Zellen eine Art Immunregulator | |
| gefunden haben. Das könne neue Therapiemöglichkeiten für | |
| Autoimmunerkrankungen oder andere Fehlregulierungen des Immunsystems | |
| eröffnen. | |
| Wenn allerdings die Wissenschaft eins gelernt hat, dann das: So einfach ist | |
| es selten. Mäuse sind zwar gute Modellorganismen, aber die Ergebnisse | |
| lassen sich nicht unbedingt auf den Menschen übertragen. Nicht nur wegen | |
| Unterschieden in der Anatomie, sagt Claudia Günther: „Umwelteinflüsse | |
| spielen bei solchen Prozessen eine große Rolle und können in Labormäusen | |
| nicht realitätsnah simuliert werden.“ Tatsächlich kämen in der Wildnis | |
| gefangene Mäuse den Menschen näher als die im Labor gezüchteten. „Trotzdem | |
| hilft ein sehr vereinfachtes Modellsystem wie die genetisch veränderten | |
| Mäuse dabei, neue Forschungsrichtungen zu finden und Therapieziele zu | |
| identifizieren.“ | |
| Zuker und sein Team sind nicht die Einzigen, die sich die Zusammenarbeit | |
| von Gehirn und Immunsystem genauer anschauen. [2][So fand eine Studie | |
| bereits 2021 heraus], dass Nervenzellen in einer Hirnregion namens | |
| Inselkortex, wo unter anderem Emotionen und Körperempfindungen verarbeitet | |
| werden, die Immunantwort bei einem entzündeten Dickdarm aktivieren können. | |
| Zellen des Immunsystems scheinen zudem mit Erkrankungen wie der | |
| [3][Alzheimer-Demenz] oder der [4][Parkinson-Krankheit] verbunden zu sein. | |
| „Dazu gibt es schon seit mehreren Jahren Untersuchungen“, so Claudia | |
| Günter. „Sie sind nur größtenteils nicht in so hochrangigen | |
| Wissenschaftszeitschriften publiziert worden und haben dadurch vermutlich | |
| weniger Aufmerksamkeit bekommen.“ | |
| ## Einfluss des Mikrobioms | |
| Noch ist allerdings nicht klar, ob die Immunzellen bei diesen Erkrankungen | |
| eher helfen oder schaden: Manche Studien deuten darauf hin, dass dabei | |
| Moleküle freigesetzt werden, die Entzündungen fördern und Nervenzellen | |
| zerstören. Andere sehen eine schützende Rolle für die Immunzellen, etwa, | |
| indem sie die „Plaques“ aufräumen, die sich bei der Erkrankung Alzheimer im | |
| Gehirn ansammeln. | |
| Zusätzlich wird auch verstärkt der Einfluss des Mikrobioms untersucht. Das | |
| sind winzige Lebewesen wie Bakterien, Viren und Pilze, die bei jedem | |
| Menschen in unterschiedlichen Zusammensetzungen im Darm leben und dort | |
| wichtige Funktionen übernehmen. Man spricht dann von der | |
| [5][Darm-Immunsystem-Hirn-Achse]: Offenbar bedingen sich alle drei Systeme | |
| gegenseitig. Deutlich wird das etwa bei [6][psychischen Erkrankungen wie | |
| Depressionen]. Bisher wurde der Einfluss der einzelnen Bereiche oft separat | |
| untersucht. So zeigte sich etwa, dass Zytokine beeinflussen, wie | |
| Botenstoffe im Gehirn hergestellt und verteilt werden, und dass | |
| Entzündungsreaktionen die Behandlung von depressiven Patientinnen und | |
| Patienten behindern können. Mittlerweile gibt es aber mehr und mehr | |
| Studien, die bei psychischen Erkrankungen auf die Kommunikation zwischen | |
| Hirn, Darm und Immunsystem und auf den Menschen als Ganzes schauen. | |
| Das versuchen auch Claudia Günther und ihre Kolleg:innen. In ihrer | |
| Forschung arbeiten sie beispielsweise mit menschlichen Zellen oder kleinen | |
| Zellansammlungen, welche Organe wie das Gehirn oder den Darm simulieren – | |
| sogenannte Organoide. „So können wir die Genetik unserer Patienten | |
| widerspiegeln und patientenspezifische Unterschiede sehen“, erklärt die | |
| Wissenschaftlerin. Das allerdings sei ein sehr aufwendiges Verfahren, das | |
| bisher nur in Studien und nicht frei in der Klinik verfügbar sei. | |
| Trotzdem ist neben der wichtigen Grundlagenforschung auch die Entwicklung | |
| von neuen Therapien ein Ziel. Vorerst gibt es keine konkreten Ansätze, die | |
| schon in klinischen Untersuchungen getestet werden könnten. „Dazu ist die | |
| interdisziplinäre Herangehensweise noch zu neu“, sagt Claudia Günther. Sie | |
| geht dennoch davon aus, dass es in absehbarer Zeit neue Erkenntnisse geben | |
| kann, die ihren Weg in die Klinik finden. | |
| 25 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nature.com/articles/s41586-024-07469-y | |
| [2] https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(21)01223-X | |
| [3] https://www.nature.com/articles/d41586-022-01502-8 | |
| [4] https://link.springer.com/article/10.1007/s10571-021-01066-7 | |
| [5] https://www.nature.com/articles/nrgastro.2016.191 | |
| [6] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8508781/ | |
| ## AUTOREN | |
| Stefanie Uhrig | |
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