# taz.de -- Epidemiologe über Pandemie-Politik: „Zustand wie vor der Pandemi… | |
> Trotz steigender Covid-Zahlen empfiehlt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb | |
> keine Masken und Tests für alle, jedoch die Aufarbeitung der | |
> Pandemie-Politik. | |
Bild: Weg damit: Nur wenige tragen noch Maske | |
taz: Herr Zeeb, tragen Sie momentan Maske? | |
Hajo Zeeb: Nein, gar nicht. | |
Hatten Sie erwartet, dass das in diesem Winter mehr Leute tun würden? | |
Es sind etwas weniger, [1][als ich gedacht hatte.] Als ich das letzte Mal | |
Bahn gefahren bin, waren es vielleicht 10 Prozent. In anderen Situationen | |
wundere ich mich hingegen, wenn jemand etwa draußen eine Maske nutzt. Aber | |
es kann jetzt halt jeder selbst entscheiden. | |
Aber ohne klare Kriterien. Damit sind wir an demselben Punkt wie vor der | |
Pandemie, oder? | |
Das würde ich nicht ganz so sagen. Wir haben den klaren Anhaltspunkt, dass | |
wir jetzt eine [2][typische jahreszeitliche Infektionslage] haben, | |
vermutlich aufgrund der Jahre des intensiven Schutzes stärker als sonst, | |
aber trotzdem ein normales Geschehen. Etwa ein Viertel der | |
Atemwegserkrankungen gehen auf Covid zurück, aber selbst wenn man das jetzt | |
bekommt, sagen viele richtigerweise, „okay, [3][es ist nicht mehr so | |
schlimm], aufgrund von Impfungen und durchgemachten Infektionen bin ich vor | |
schwerer Erkrankung geschützt“. Und da ist es eben dem oder der Einzelnen | |
überlassen, sich oder andere aktiv zu schützen. | |
Manche setzen sich hustend mit einem positiven Test ohne Maske in die Bahn. | |
Ich frage mich, ob sie anders entscheiden würden, wenn es in der Pandemie | |
eine klarere Kommunikation gegeben hätte, nicht so ein Hin und Her, von dem | |
alle verwirrt und genervt waren am Ende. | |
Wir haben jetzt den Zustand wie vor der Pandemie, da gab es ja auch schon | |
hoch infektiöse Atemwegserkrankungen wie die Grippe und niemand hat hier in | |
Deutschland eine Maske getragen. Aber ja, darüber müssen wir jetzt | |
nachdenken, ob man klarere Botschaften aussenden sollte, ganz unabhängig | |
von Corona. | |
Ich weiß nicht, welche Botschaft ausgesendet werden müsste, damit ich | |
begreife, dass es eine wirklich wieder gefährliche Mutation gibt oder gar | |
ein neues bedrohliches Virus – oder dass besorgniserregend viele Menschen | |
krank sind. | |
Das ist tatsächlich eine unglückliche Situation. Wir waren die ganze Zeit | |
hypernervös, wenn es Meldungen gab über die ersten 30 Fälle einer neuen | |
Mutation aus Asien, aber die erreichen jetzt nicht mehr den Mainstream der | |
Medien-Kommunikation. Wir haben ja die ganze Zeit versucht zu vermitteln, | |
dass Viren dauernd mutieren, diese Erkenntnis scheint sich durchgesetzt zu | |
haben. | |
Aber wie würden Sie da noch klarmachen können, wenn es kein business as | |
usual wäre? | |
Dann müssten wir wohl wieder konzertiert mit allen Möglichkeiten der | |
Kommunikation klarmachen, dass es eine andere, bedrohlichere Situation ist. | |
Konzertiert? Haben Sie Vertrauen, das wir in dieser Hinsicht besser | |
aufgestellt sind als vor der Pandemie? | |
Besser bestimmt … | |
Aber? Sie antworten sehr zögerlich. | |
Das liegt daran, dass ich viel gelernt habe über die Heterogenität des | |
ganzen Kommunikationssektors. Mein Vertrauen war vor der Pandemie größer, | |
dass das System bei einer besonderen Notlage reibungslos funktioniert, also | |
nicht nur bezogen auf die Kommunikation, sondern grundsätzlich. Und es hat | |
im großen Stil funktioniert, aber nicht reibungslos. Derzeit wüsste ich | |
nicht, woran ich festmachen sollte, dass es beim nächsten Mal besser wird. | |
Es gibt immer wieder Politiker wie [4][zuletzt den thüringischen | |
Ministerpräsidenten Bodo Ramelow], aber auch Medien, die Lehren aus der | |
Pandemie ziehen wollen. Aber ich sehe nicht, dass das tatsächlich passiert. | |
Sie? | |
Wir wollen das in Bremen jetzt machen, uns zusammensetzen mit | |
Wissenschaftler:innen, Gesundheitsamt, Politik und uns dabei auch | |
anschauen, wie wir kommuniziert haben, um eben beim nächsten Mal besser | |
reagieren zu können. Wir leben im pandemischen Zeitalter, solche und andere | |
Krisen werden uns schon noch mal treffen. Ganz vorne auf der Agenda steht | |
der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Gesundheit, das ist eine | |
mindestens so große Herausforderung wie Corona. | |
Sie sollten auch Medienvertreter:innen einladen. | |
Absolut, ja. | |
Gibt es außer der Krisenkommunikation noch etwas, was man aus Ihrer Sicht | |
besonders in den Blick nehmen sollte? | |
Es gibt ein paar Dinge, die jetzt ganz gut laufen wie die Warnsysteme, | |
Bremen nimmt ja auch am Abwasser-Monitoring teil und der | |
Informationsaustausch ist ein bisschen besser geworden. Der | |
Digitalisierungsschub ist da, aber ausbaufähig. Und man muss drauf achten, | |
dass wir flexible Strukturen aufrechterhalten, die man sofort nutzen kann. | |
Sie wurden mit der Aussage zitiert, es sei sinnvoll, sich bei Symptomen zu | |
testen. | |
Ich würde die Tests machen, wenn ich weiß, dass ich jemanden aus einer | |
Risikogruppe besuche – und auch nur bei Erkältungssymptomen. Ohne Symptome | |
sind die Tests nicht zuverlässig genug. | |
Wenn man Kinder hat, käme man momentan nicht aus dem Testen raus. | |
Tatsächlich hat derzeit durchschnittlich jedes vierte Kind eine | |
Atemwegsinfektion, jedes vierte davon Corona. Da kann man nicht die ganze | |
Zeit testen, das wäre zu aufwändig und zu teuer. | |
Würden Sie ein fittes Kindergartenkind mit Rotznase und positivem | |
Coronatest zu Hause lassen? Wenn ich davon ausgehen muss, dass es sich im | |
Kindergarten angesteckt hat und andere mit Corona weiter die Gruppe | |
besuchen? | |
Schwierige Entscheidung. Ich weiß es nicht. | |
Wer nicht testet, muss solche Entscheidungen nicht treffen. | |
Das ist wohl so, ja. | |
Journalisten bitten Sie regelmäßig einen Blick in die Glaskugel zu werfen: | |
„Wie schlimm wird dieser Winter?“ Haben Sie Sorge, dass Sie Entwarnung | |
geben, eine Woche später kommt die böse Überraschung und niemand schützt | |
sich? | |
Klar, aber ich treffe meine Aussagen ja aufgrund der Beobachtung von Daten | |
zum Infektionsgeschehen, die haben eine Weile Bestand. Und es wäre auch | |
nicht gut, wenn wir versuchen würden, jede Infektion zu verhindern. Das | |
macht einfach keinen Sinn. Wir leben in einem Meer von Viren und Bakterien | |
und wir brauchen die Auseinandersetzung mit ihnen, sonst sind wir | |
anfälliger für schwere Verläufe, weil das Immunsystem nicht trainiert ist. | |
11 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Epidemiologe-zu-Lehren-aus-der-Pandemie/!5920555 | |
[2] /Mediziner-zu-Infektionen-und-Reformen/!5969470 | |
[3] /Long-Covid-in-Deutschland/!5974019 | |
[4] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/corona-politik-ramelow-entschuldi… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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