# taz.de -- Homers Odyssee in der Volksbühne: Viriles Theater ohne Zwischentö… | |
> Seinen Antritt als neuer Schauspieldirektor der Berliner Volksbühne | |
> feierte Thorleifur Örn Arnarsson mit einer Neuinterpretation der | |
> „Odyssee“. | |
Bild: Jella Haase spielt die Helena | |
Die Pause reicht gerade, um sich notdürftig zu erholen vom akustischen und | |
visuellen Overkill der vergangenen beiden Stunden. Zuletzt hatte Jella | |
Haase so ausdauernd nach „Gerechtigkeit!“ geschrien, dass man selbst als | |
Verteidiger derselben ihre glitzernde Bling-Bling-Helena gern – nur kurz! – | |
zum Schweigen gebracht hätte. | |
Davor die Schlacht von Troja als bass-, gitarren- und schlagwerkgeladene | |
Soundexplosion. Ein Chor aus halbnackten Spielerinnen und Spielern auf der | |
Drehbühne verteilt, die Weichteile abgebunden, Kampfposen imitierend. Im | |
drohend wabernden Sprechgesang am Mikrofon geraten sie bei der Schilderung | |
der abgeschlagenen Köpfe, der mit Bratspießen durchbohrten Leiber, der | |
quellenden Eingeweide in Ekstase. Dazu die Projektion eines blutigen | |
Schlachtengemäldes. Schlimm, dieser Krieg. Aber man kann mit ihm halt so | |
schöne Bilder inszenieren. | |
Wie das des gewaltigen Panzers, der später über die Bühne walzt, darauf das | |
Helena-Püppchen, naiv eine rote Fahne schwenkend, während ihr Gatte | |
Menelaos über seine kohlehydratfreie Fleischdiät schwadroniert. | |
Kriegstreiber sind eben auch nur Narzissten wie du und ich. Die | |
Panzerkanone feuert Konfetti ins Publikum – Thorleifur Örn Arnarsson ist | |
sich wahrlich für keinen Knalleffekt zu schade. | |
Nach der Pause dann der visuelle und intellektuelle Tiefpunkt: An Seilen | |
baumeln drei riesige nackte Pappkameraden, alle mit veritablem Ständer – | |
auf ihren Schultern die Köpfe von Donald Trump, Bill Clinton und John F. | |
Kennedy. Trump legt gerade selbst Hand an, aus JFKs Gemächt tropft es | |
sichtlich, Clinton glotzt ob seiner Härte stolz ins Publikum. Über ihnen | |
der Satz: „I can’t drop it.“ Echt jetzt? Die US-Präsidenten, die Kriege … | |
Vietnam, Irak, Afghanistan als Schwanzverlängerung benutzen? Ein noch | |
plakativeres Bild will einem beim besten Willen nicht einfallen. | |
Das Anliegen jedenfalls wird deutlich: Bezog sich der erste Teil des | |
Vierstünders auf die Kriegsgräuel zu Zeiten Homers, will Teil zwei den | |
Bogen in die Gegenwart schlagen. Der Isländer Arnarsson, bekannt für sein | |
collagenhaftes Bildtheater, hat für seinen Einstand als regieführender | |
Schauspieldirektor an der Volksbühne mit seinem Autor Mikael Torfason eine | |
Odyssee-Fassung geschrieben in die viele Texte eingeflossen sind: neben | |
Homers „Odyssee“ auch die „Ilias“ und Aischylos’ „Orestie“. Das | |
Literaturverzeichnis weist aber auch den Esoteriker Eckhart Tolle aus und | |
Feministinnen wie Andrea Dworkin. | |
Mit den Irrfahrten des Odysseus hat der Abend nur bedingt zu tun. Odysseus, | |
der listenreiche Besieger Trojas, der zehn Jahre lang nicht zu Frau und | |
Sohn nach Ithaka zurückfindet, taucht hier am Rande als einer von vielen | |
Kriegsverbrechern der Menschheitsgeschichte auf. Die Abenteuer mit dem | |
Kyklopen, der Zauberin Kirke, der Nymphe Kalypso, die Odysseus nur als | |
schmalen Monolog zum besten gibt, verurteilt sein Sohn als die | |
Hirngespinste eines selbstverliebten Machtmenschen. Arnarsson deutet die | |
Irrfahrt als Unfähigkeit des Kriegsveteranen, nach den Gräueln in den | |
Alltag, ins Familienleben zurückzufinden. Ein Antikriegsstück also, bei dem | |
die Frauen, als Kriegsbeute verschachert, beklagt werden – wenn sie nicht | |
gerade Helena-Püppchen spielen oder sich im Rattenkostüm Torten ins | |
Gesicht schlagen. | |
## Bombastische Bilder bleiben leer | |
Es muss hierzulande allerdings kaum ein Mensch überzeugt werden, wie böse | |
Kriege sind. Über diesen Befund kommt der lange Abend aber nicht hinaus. | |
Die bombastischen Bilder bleiben leer. Und die Faszination, mit der | |
Arnarsson die Musiker aufspielen, die Darsteller in Ekstase geraten lässt, | |
konterkariert seine theatrale Friedensbewegung. Kombiniert mit Nebel und | |
Pathos, verherrlichen diese ästhetischen Mittel die Schlacht, statt sie zu | |
entzaubern. Ein viriles Kraftmeiertheater ohne Zwischentöne, das die | |
Schauspieler verschluckt. Sie müssen im hohen Ton proklamieren oder im | |
Alltagssprech quasseln: „Bist du eine Heulsuse? Du kleine Arschfotze“, | |
beschimpft Sarah Franke als Penelope ihren Sohn. Das neue junge | |
Volksbühnen-Ensemble wird man bei anderer Gelegenheit genauer begutachten | |
müssen. | |
Erst als die Pappschwänze in den Schnürboden abziehen, kommt ein anderer | |
Ton auf. In aller Stille sitzen zwei Spieler auf der Bühne, es sollen der | |
Autor Torfason und sein Bruder Bashir sein, der, so heißt es, in | |
Afghanistan kämpft. Gegenseitig tragen sie sich ihre Briefe vor – und wenn | |
Bashir (Silvia Rieger) vom Krieg erzählt, klingt ein bisschen an, wie ein | |
brisanter Abend über Kriegsverbrechen, Heldentum, Traumata hätte aussehen | |
können. | |
Doch was der erste Teil an Konfettikanonaden zu viel hat, hat der zweite zu | |
wenig: Ein bleierner Monolog hängt sich an den nächsten. Handwerklich wirkt | |
die Inszenierung unrhythmisch zusammengezimmert. | |
Das wundert vor allem deshalb, weil Arnarsson am Staatsschauspiel Hannover | |
letztes Jahr gezeigt hat, dass er Stimmungen bestens aufbauen und | |
Geschichten berührend erzählen kann. Damals hatte er die isländische | |
Göttersaga „Edda“ als Bilderreigen inszeniert, der die großen Fragen nach | |
Leben und Sterben, Glaube und Liebe stellt. Mit dieser Kraft kann seine | |
Antrittsinszenierung an der Volksbühne nicht mithalten. | |
17 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Barbara Behrendt | |
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