| # taz.de -- Harvard-Historiker über den Krieg: „Noch gibt es Hoffnung für d… | |
| > Harvard-Historiker Serhii Plokhy erklärt, was Donald Trumps Wahl für den | |
| > Krieg in Osteuropa bedeutet – und welche Rolle Deutschland jetzt hat. | |
| Bild: Donald Trump bei einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolody… | |
| taz: Mr. Plokhy, wie haben Ihre ukrainischen Freunde und Verwandten auf | |
| [1][Donald Trumps Wahlsieg] reagiert? | |
| Serhii Plokhy: Es dominiert die Besorgnis darüber, wie und ob die | |
| Vereinigten Staaten die Ukraine zukünftig unterstützen werden. Aber Trumps | |
| zweite Amtszeit geht mit viel Ungewissheit einher – noch gibt es auch | |
| Hoffnung, dass sich das Blatt für die Ukraine zum Positiven wenden könnte. | |
| taz: Warum? | |
| Plokhy: Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump der Ukraine Waffen | |
| geliefert. Ich denke, er wollte nicht als verantwortlich für weitere | |
| mögliche Verluste in der Ukraine hingestellt werden nach der Annexion der | |
| Krim. Und der Kandidat Trump hat im Frühjahr 2024 die Verabschiedung des | |
| riesigen 60-Milliarden-Dollar-Hilfspakets für die Ukraine nicht mehr weiter | |
| torpediert. Wir wissen nicht, was wir erwarten können, wir wissen nicht, ob | |
| wir diesen Trump erleben werden. | |
| taz: Joe Biden hat kurz vorm Ende seiner Amtszeit [2][eine Art | |
| „Schlussoffensive“] gestartet … | |
| Plokhy: … ja, Bidens Ukrainepolitik funktionierte in den ersten beiden | |
| Jahren des russischen Angriffskriegs gut. Im Jahr 2024 aber nicht mehr, | |
| weil es etwa erhebliche Verzögerungen bei der Lieferung bereits zugesagter | |
| Waffen oder Beschränkungen beim Einsatz der gelieferten Waffen gab. Nun hat | |
| die Biden-Regierung die Beschränkungen nach den Wahlen plötzlich | |
| aufgehoben, die Ukraine konnte ATACMS-Raketen einsetzen. | |
| taz: Was ist davon zu halten? | |
| Plokhy: Die Ukraine zu schützen und zu verteidigen, ist ein sehr wichtiger | |
| Teil von Bidens politischem Vermächtnis. Er möchte nicht in Erinnerung | |
| bleiben als der Präsident, der der Ukraine nicht das zur Verteidigung | |
| gegeben hat, was sie zur Verteidigung braucht. Aber das zeigt auch, dass | |
| die Gründe für all die Verzögerungen der Waffenlieferungen zuvor | |
| vorgeschoben waren. | |
| taz: Für wie wahrscheinlich halten Sie ein „Einfrieren“ des Konflikts und | |
| einen Frieden mit massiven Zugeständnissen seitens der Ukraine nach Trumps | |
| Inauguration? | |
| Plokhy: Es scheint der Plan der nächsten US-Regierung zu sein, den Krieg an | |
| der aktuellen Frontlinie einzufrieren und vorzuschlagen, dass die Ukraine | |
| in einem Zeitraum von vielleicht 15 bis 20 Jahren nicht der Nato beitreten | |
| wird. Die Frage ist, ob das umgesetzt werden kann. Das erklärte Ziel | |
| Russlands ist es, die Gebiete Saporischschja, Cherson, Luhansk und Donezk | |
| vollständig zu kontrollieren. Das ist noch nicht erreicht. Darauf würde | |
| Putin mindestens bestehen, und es ist die Frage, wie lange sich seine | |
| Ambitionen auf diese vier Oblasten beschränken. Die potenziellen Pläne der | |
| Trump-Regierung sind nicht sehr realistisch. | |
| taz: Sie meinen auch den Plan des designierten US-Sondergesandten für die | |
| Ukraine und Russland, [3][Keith Kellogg]? | |
| Plokhy: Ja. Der Plan, der im Mai vergangenen Jahres von Kellogg mitverfasst | |
| wurde, sieht einen Waffenstillstand vor, der den Nato-Beitritt der Ukraine | |
| verzögert und dem Land Sicherheitsgarantien bietet. Kellogg ist gegen groß | |
| angelegte Militärhilfe für die Ukraine und die Beteiligung von US-Truppen | |
| an militärischen Konflikten. Er hat einen Plan, um die Ukraine an den | |
| Verhandlungstisch zu zwingen, aber keinen klaren Plan, wie Putin dazu | |
| gebracht werden kann, seinen Bedingungen zuzustimmen. | |
| taz: Was bedeutet die Nominierung von Keith Kellogg? | |
| Plokhy: Wir wissen jetzt, was genau Trump über das Kriegsende denkt. Statt | |
| allgemeiner Aussagen über das Kriegsende durch eine Verhandlungslösung | |
| kennen wir nun Details. | |
| taz: Der zukünftige US-Vizepräsident J. D. Vance hat einen ähnlich | |
| unvorteilhaften Frieden für die Ukraine skizziert, mit Gebietsverlusten, | |
| einer entmilitarisierten Zone und einem Verzicht auf die | |
| Nato-Mitgliedschaft. | |
| Plokhy: Das wäre nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa fatal. | |
| Wenn die Ukraine keine Perspektiven für eine Nato-Mitgliedschaft bekommt, | |
| ist es fast garantiert, dass dieser Konflikt möglicherweise als noch | |
| größerer Krieg auf Europa zurückfällt. Wir haben gesehen, was auf den | |
| Friedensplan für Georgien und auf die Minsk-Abkommen gefolgt ist. Vances | |
| Plan ist auch schlecht für die USA, weil er die amerikanische Führungsrolle | |
| in der Welt und das wirtschaftliche und politische Ansehen der USA | |
| gefährdet. All das könnte China ermutigen, aggressiver zu agieren, zum | |
| Beispiel in Taiwan. Putin würde mit dieser Art von Frieden belohnt für das, | |
| was Russland in der Ukraine getan hat. Es gäbe kein Stoppsignal, er würde | |
| weitermachen. Russland wird aber erst aufhören, wenn es aufgehalten wird. | |
| Das geht nur mit einer militärisch und wirtschaftlich starken Ukraine – | |
| nicht durch ein Stück Papier, das in Brüssel oder Washington unterzeichnet | |
| wird. Ein schnelles Kriegsende und Trumps Versprechen, den Krieg innerhalb | |
| von 24 Stunden zu beenden, halte ich sowieso für absurd. | |
| taz: Warum? | |
| Plokhy: Nehmen Sie den Koreakrieg in den frühen 1950er Jahren. Es dauerte | |
| zwei bis drei Jahre, bis ein Frieden und eine Teilung Koreas erreicht | |
| waren. Es brauchte dazu einen Führungswechsel in Moskau und in Washington, | |
| den Tod Stalins und die Wahl von Präsident Eisenhower. Wenn man sich das | |
| Ende des Vietnamkrieges ansieht, hat es sogar zwei amerikanische | |
| Regierungen unter Präsident Johnson und fünf Jahre unter Präsident Nixon | |
| gebraucht, um zu einem Abzug der US-Truppen zu gelangen. Ein Plan für | |
| Verhandlungen ist auch nicht gleichzusetzen mit dem Beginn von | |
| Verhandlungen. Und was am Ende das Ergebnis ist, steht noch mal auf einem | |
| ganz anderen Blatt. Ich glaube deshalb, man kann derzeit keine seriösen | |
| Prognosen abgeben. | |
| taz: Talkshowmoderator Pete Hegseth soll Verteidigungsminister werden, er | |
| hielt die Unterstützung der Ukraine in der Vergangenheit nicht für wichtig. | |
| Marco Rubio soll Außenminister werden, er gilt als Verfechter einer | |
| Verhandlungslösung, ebenso wohl der designierte Nationale | |
| Sicherheitsberater Mike Waltz. Wofür steht das Kabinett Trump II? | |
| Plokhy: In der ersten Amtszeit setzte Trump zum Teil noch auf Menschen mit | |
| mehr Fachwissen. Er verließ sich auf Generäle und pensionierte Generäle, | |
| wenn es um Sicherheits- oder Militärpolitik ging. Nun sucht er überwiegend | |
| nach Loyalisten und überlegt, für welche Positionen sie sich anbieten | |
| könnten. Es wird eine viel trumpianischere und unberechenbarere Regierung | |
| sein als die erste. Ex-General Keith Kellogg, der schon Stabschef des | |
| Nationalen Sicherheitsrats im Kabinett Trump I. war, scheint da die | |
| Ausnahme zu sein. Es ist aber unklar, was all das für die Ukraine bedeutet. | |
| taz: Hängt denn für die Ukraine wirklich alles von den USA ab? Was kann | |
| oder muss die EU tun für den Fall, dass die USA der Ukraine die | |
| Unterstützung versagen? | |
| Plokhy: Auch wenn ich mich mit dieser Ansicht sicher nicht beliebt mache: | |
| Trump hatte recht, als er während seiner ersten Präsidentschaft sagte, dass | |
| die Situation in der Ukraine für Europa besorgniserregender sei als für die | |
| USA und dass Europa seinem Beitrag zur Nato nicht in vollem Umfang | |
| nachkomme. Die großen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich sollten | |
| sich wirklich als potenzielle Vermittler anbieten und nicht nur als | |
| Zuschauer mit am Tisch sitzen. Und die EU sollte irgendwann selbst in der | |
| Lage sein, sich und die Ukraine zu verteidigen. Die EU sollte nicht nur | |
| Wirtschafts-, sondern auch Militärmacht sein. Aus Eigeninteresse. | |
| taz: Emmanuel Macron hat das schon 2017 gefordert. Hat Deutschland es zu | |
| spät begriffen? | |
| Plokhy: Ja. Und ich denke, nach dem Abgang Angela Merkels ist ein Vakuum | |
| entstanden. Bundeskanzler Scholz wollte nach Beginn des russischen | |
| Angriffskriegs nicht die Position des europäischen Anführers einnehmen. | |
| Macron hat diese Position eingenommen, und das ziemlich überzeugend. | |
| taz: Anfang der Woche reiste Scholz überraschend in die Ukraine … | |
| Plokhy: …mit seiner Weigerung, die Ukraine mit Taurus zu beliefern, und der | |
| Kritik an seinem ergebnislosen Telefonat mit Putin steht Scholz unter | |
| Druck. Er muss zeigen, dass er die Ukraine weiterhin unterstützt. Daher der | |
| Besuch, bei dem es mehr um Symbolik als um Substanz ging. | |
| taz: Welche Rolle werden die Wahlen in Deutschland spielen? | |
| Plokhy: Wohin sich Deutschland bewegt, dahin bewegt sich Europa. Es ist | |
| extrem wichtig, dass Deutschland auf Kurs bleibt in Sachen Ukraine. Wenn | |
| die CDU in Deutschland die Regierung stellen sollte, würde das für die | |
| Ukraine sicherlich Stabilität bedeuten. Je stärker die populistischen | |
| Parteien werden, desto schlimmer wird es für die Ukraine. | |
| taz: Sie selbst lehren seit vielen Jahren in Harvard. Nun wird mit Linda | |
| McMahon eine Frau aus dem Showbusiness Bildungsministerin, und auch wenn | |
| Bildung Sache der Bundesstaaten ist, würde ihre Politik die Schulen US-weit | |
| betreffen. Machen Sie sich auch um die Universitäten unter Trump II. | |
| Sorgen? | |
| Plokhy: Es wird in dieser zweiten Amtszeit für die Universitäten darauf | |
| ankommen, ob sie die Autonomie der Wissenschaft und die | |
| Wissenschaftsfreiheit verteidigen können. Sobald diese angetastet wird, | |
| mache ich mir große Sorgen. | |
| taz: Denken Sie daran, die USA zu verlassen? | |
| Plokhy: Viele meiner Kolleginnen und Kollegen denken darüber nach. Ich aber | |
| halte die US-amerikanische Demokratie für stark genug, um zu bestehen. Eine | |
| Demokratie mit so langer Tradition wird sich auch nach einem Wahlsieg | |
| Trumps nicht beseitigen lassen. Sie sehen schon: Ich versuche, optimistisch | |
| zu bleiben. | |
| 5 Dec 2024 | |
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