# taz.de -- Handke und der Jugoslawienkrieg: Der Geist der Partisanen | |
> Die Gründe für das Auseinanderfallen Jugoslawiens sind vielfältig. Davon | |
> will Literaturnobelpreisträger Handke nichts wissen. | |
Bild: PartisanInnen während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien | |
SARAJEVO taz | Der Kampf der jugoslawischen Partisanen gegen den Faschismus | |
während des Zweiten Weltkriegs ist bis heute ein Leuchtturm in der | |
Geschichte dieses Kontinents. Welcher Mut gehörte 1941 dazu, den | |
bewaffneten Kampf gegen die deutschen und italienischen Besatzungsmächte | |
und ihre Kollaborateure aufzunehmen! Hitler und Mussolini kontrollierten | |
fast ganz Europa. Deutschland griff die Sowjetunion an. Ein kleiner Haufen | |
von gerade einmal 20.000 kommunistischen Partisanen ohne nennenswerte | |
Bewaffnung wagte ab dem 4. Juli 1941, sich dem zu widersetzen. | |
Sie kämpften nicht nur gegen die Wehrmacht, die SS und italienische | |
Truppen, sondern auch gegen die Truppen [1][des faschistischen und | |
mörderischen Ustaschastaats in Kroatien], gegen das Nedić-Regime in Serbien | |
und die nationalistischen serbischen Freischärler, die Tschetniks. Und sie | |
gewannen. Nicht nur wegen der klugen militärischen Führung von [2][Josip | |
Broz, genannt Tito], der später Präsident werden und teils autoritär | |
regieren sollte. | |
Die Hauptwaffe der Partisanen war die Parole „Brüderlichkeit und Einheit“. | |
Sie wandten sich gegen den Nationalismus und Faschismus aller Seiten. Aus | |
allen Nationen Jugoslawiens strömten ihnen Kämpfer zu, vor allem, nachdem | |
bekannt wurde, dass 1941 bis 1945 Zehntausende Juden und Roma in das | |
berüchtigte Ustascha-Konzentrationslager Jasenovac gebracht worden waren – | |
mehr als 80.000 Menschen wurden allein dort ermordet. | |
In den Schlachten an der Neretva und in Sutjeska 1943 gelang es ihnen, sich | |
aus der Umklammerung der weit überlegenen vereinigten Truppen aus | |
Wehrmacht, Italienern, kroatischen Ustaschen und serbischen Tschetniks zu | |
befreien. 1943 in Jajce, mitten im Krieg, erarbeiteten sie sogar eine | |
Verfassung für Jugoslawien und auch für Bosnien und Herzegowina, in der die | |
Gleichberechtigung aller Nationen und Bürger des Vielvölkerstaats | |
versprochen wurde. | |
## Die Schattenseiten waren Repressionen | |
1945 wurde aus einem zerstörten Agrarstaat mit mehrheitlich Analphabeten | |
binnen 20 Jahren ein moderner Industriestaat. Jugoslawien war unter Titos | |
Führung ein Einparteienstaat, der sich jedoch im Lauf der Zeit | |
liberalisierte. Mit der Arbeiterselbstverwaltung wurden Zeichen gegen den | |
orthodoxen Kommunismus gesetzt. | |
Bis Mitte der 1970er Jahre entstand ein Staat, in dem die Menschen ein | |
Auskommen hatten, mit Schulen für alle, Universitäten, mit Renten und | |
Krankenhäusern, mit dem damals besten Pass der Welt, die Jugoslawen konnten | |
visafrei in den Westen und den Osten reisen. | |
Die Schattenseiten waren Repressionen, derer sich Titos Regime bediente, so | |
etwa im Konflikt mit der Studentenbewegung 1968, den Belgrader Liberalen | |
und dem „Kroatischen Frühling“ 1971. In vielen Bereichen wurden | |
„Brüderlichkeit und Einheit“ aber tatsächlich gelebt, vor allem in der | |
multinationalen und multireligiösen Gesellschaft in Bosnien und | |
Herzegowina. | |
Wenn [3][der umstrittene Literaturnobelpreisträger Peter Handke] von den | |
Partisanen und diesem Jugoslawien fasziniert ist, dann steht er nicht | |
allein. Die westliche Linke einschließlich der Sozialdemokraten schätzte | |
Jugoslawien und Tito. Der Kampf gegen Faschismus und Nationalismus ist | |
heute in ganz Europa wieder aktuell geworden. Auch in Ex-Jugoslawien | |
selbst. Vor allem die serbischen Nationalisten – aber nicht nur sie – haben | |
ab 1991 Jugoslawien zerstört. | |
## „Brüderlichkeit und Einheit“ wurden zum Roten Tuch | |
Umso unverständlicher ist es, dass sich Handke schon während des Krieges | |
der 90er Jahre auf die Seite des serbischen Nationalismus stellte – und | |
weiterhin stur daran festhält. Im Zeit-Interview in der vergangenen Woche | |
wiederholte er nicht nur nationale Mythologien, sondern zudem die haltlose | |
These, Jugoslawien sei durch die Anerkennung Kroatiens durch Deutschland | |
zerstört worden. | |
Dass Serbien Kroatien schon im Sommer 1991 angegriffen hatte, dass der | |
Krieg also ein halbes Jahr vor der gemeinsamen Anerkennung durch die | |
damaligen EG-Staaten begonnen hatte, ignoriert Handke. Wie auch die | |
serbischen Verbrechen der ethnischen Säuberungen. | |
Die wirklichen Gründe für das Auseinanderfallen Jugoslawiens sind natürlich | |
vielfältig und komplex. Das wichtigste Datum dafür ist der letzte Kongress | |
des Bunds der Kommunisten Jugoslawiens im Januar 1990. Die von | |
slowenischen und kroatischen Kommunisten vorgeschlagenen demokratischen und | |
wirtschaftlichen Reformen wurden von Slobodan Milošević allesamt abgelehnt. | |
Seit seiner Kriegsrede auf dem Amselfeld 1989 hatte er sich offenbar schon | |
für den von der orthodoxen Kirche unterstützten Nationalismus entschieden. | |
Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Belgrad im März 1991 | |
verbündete er sich offen mit den extremen Nationalisten wie Vojislav | |
Šešelj. „Brüderlichkeit und Einheit“ wurden zum Roten Tuch der | |
Nationalisten aller Seiten. Bis heute versuchen sie, alle Spuren der | |
Partisanen zu beseitigen – Denkmäler werden zerstört, Straßen umbenannt. | |
Nur in Sarajevo und Tuzla gibt es noch Tito-Boulevards. | |
## Bosnien existiert noch | |
Kroatische und serbische Nationalisten sind Feinde, doch in einem sind sie | |
sich bis heute einig: in ihrem Hass gegen Tito. Vor allem für die gemischte | |
Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina, dem Jugoslawien im Kleinen, war | |
der Krieg der 90er Jahre verheerend. | |
Die multinationale und multireligiöse Gesellschaft war (und ist zum Teil | |
noch) bis heute die Antithese zum Ethnonationalismus beider Seiten. | |
Deshalb musste Bosnien zerstört werden, um dann Teile Bosniens und | |
Herzegowinas zu annektieren. Die Verbrechen der Serben hatten auch zum | |
Ziel, die muslimische Bevölkerungsgruppe auszulöschen – die unsäglichen | |
Massenmorde und Vertreibungen bis hin zum Genozid in Srebrenica 1995 zeugen | |
davon. | |
Ganz ist der Geist der Partisanen nicht zerstört. Bosnien existiert noch. | |
Das belagerte Sarajevo und andere Teile Bosniens wurden nicht nur von | |
Muslimen, sondern auch von Antifaschisten verschiedener Volksgruppen | |
erfolgreich verteidigt. Bis heute. Das will Handke aber nicht wissen. | |
29 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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