# taz.de -- Nobelpreis für Peter Handke: Am Arsch der Hölle | |
> Peter Handke ist ein Kretin, ein Arschloch. Dass er mit dem höchsten | |
> Literaturpreis geehrt wird, hat aber etwas Gutes. | |
Bild: Zwischen Gräbern im Potocari Memorial Center in der Nähe von Srebrenica… | |
Peter Handke ist ein Kretin. Er hat die Opfer des schwersten Verbrechens im | |
postfaschistischen Europa verhöhnt, das Verbrechen geleugnet, sich mit | |
einem überaus unappetitlichen Regime gemein gemacht und seine Worte und | |
Urteile weder in aller gebotenen Eindeutigkeit und Lautstärke | |
zurückgenommen noch mit aller gebotenen Schamesröte im Gesicht bei den | |
Opfern und ihren Angehörigen um Entschuldigung gebeten. | |
Peter Handke ist ein Kretin, ein Arschloch. Dennoch hat die Entscheidung, | |
dem österreichischen Schriftsteller am 10. Dezember in Stockholm den | |
Nobelpreis für Literatur zu verleihen, etwas ausgelöst, das gut war. | |
Für die Überlebenden des Massakers von Srebrenica im Jahr 1995 ist die | |
Nobilitierung eines Mannes, der als „Genozidleugner“ bezeichnet wird, eine | |
„existenzielle Kränkung“, [1][so formuliert es] der aus dem belagerten | |
Sarajevo 1994 nach Deutschland geflohene Schriftsteller Tijan Sila. | |
Aber, und das ist das Gute, diese Entscheidung blieb nicht unkommentiert. | |
Noch einmal musste die ganze Welt darüber reden, dass es mitten in Europa | |
nach dem Ende des Nationalsozialismus einen Genozid gegeben hat. Noch | |
einmal musste die ganze Welt sich fragen, wie das trotz der Losung „Nie | |
wieder“ eigentlich passieren konnte. Noch einmal musste die ganze Welt zur | |
Kenntnis nehmen, dass sie im Bosnienkrieg versagt hat. | |
Dass es dazu kam, ist der Vehemenz, der Unerbittlichkeit und der Akribie zu | |
verdanken, mit der dem Auszuzeichnenden seine eigenen Worte um die Ohren | |
gehauen wurden. | |
Noch in den 1990ern und bis in die nuller Jahre hinein hätte ich das nicht | |
ganz so gesehen. Ich bin in meinen Ansichten zum blutigen Zerfall | |
Jugoslawiens gefühlt drei bis fünf Mal um den Block gelaufen. Und ich kann | |
nicht ausschließen, dass ich vielleicht nochmal rummuss. | |
Ich hatte nie auch nur die leisesten Sympathien für den restjugoslawischen | |
hypernationalistischen Autokraten, den serbischen Staatschef Slobodan | |
Milošević. Aber genauso wenig hatte ich die für sein kroatisches Pendant | |
Franjo Tuđman. Mein Vater hatte mir 1991 den jugoslawischen Pass abgenommen | |
und durch einen kroatischen ersetzt. | |
Das aber ersetzte nicht meine Ansicht, dass das ursprüngliche jugoslawische | |
Modell wesentlich friedlicher, kosmopolitischer, demokratischer und cooler | |
war als diese von Nationalismus, Antisemitismus und ethnischem Testosteron | |
aufgepumpte kroatische Unabhängigkeit. | |
Das war keine exklusive Haltung als deutsche Linke. Im Gegenteil. Während | |
der eine Teil im wiedervereinigten Deutschland den Sieg über den | |
Kommunismus feierte, kämpften die Nichtsodeutschen und Linken mit dem | |
gesamtdeutschen Nationalismus, Rassismus und neonazistischer Gewalt – | |
Baseballschlägerjahre ist das aktuelle Stichwort dafür. Diese Gruppe sah im | |
neuen Deutschland das alte. Und dazu passte auch das Verhalten der | |
deutschen Regierung in den jugoslawischen Zerfallskriegen ab 1991. | |
Von Bild bis Joschka Fischer, deutsche Medien und Politiker sahen in | |
Serbiens Präsident Hitlers Wiedergänger, im Kosovo ein neues Auschwitz und | |
bombardierten zum dritten Mal in diesem Jahrhundert Belgrad (1999). Und das | |
alles, nachdem man den Massakern im Bosnienkrieg (1991 bis 1995) quasi | |
zugeguckt hatte und der deutsche Außenminister Kroatien im Alleingang als | |
unabhängigen Staat anerkannt hatte (1991). | |
Hans-Dietrich Genscher ist in Kroatien der einzige Politiker, nach dem zu | |
Lebzeiten Straßen und Plätze benannt wurden. Schützenhilfe alter | |
Verbündeter aus faschistischen Zeiten – so redeten wir damals. | |
## Das war suspekt | |
Dass diese Dinge einer Linken suspekt waren, ist nur allzu verständlich. | |
Gleichzeitig konnte man spätestens in den Neunzigern von „der Linken“ | |
sowieso nicht mehr sprechen. Belgrader Linke forderten die Bombardierung | |
Belgrads, weil sie das Milošević-Regime für faschistoid hielten. Deutsche | |
Linke lehnten die Bombardierung ab, weil sie darin die Wiederholung des | |
Angriffs durch die Nazis 1941 sahen. | |
Wer war also jetzt Herrscher und wer war Beherrschter? Mit wem sollte man | |
jetzt solidarisch sein? Mit der Bevölkerung, die auf den Brücken gegen die | |
Bombardierung ihrer Stadt mit Target-Schildern demonstrierte, oder mit den | |
Leuten, die das Ende dieses Regimes mit besten Gründen herbeisehnten? | |
In jedem Krieg ist die größte Herausforderung, bei der Wahrheit zu bleiben. | |
Die Schwierigkeit im Verstehen der Jugoslawienkriege bestand nicht darin, | |
dass es mehr als zwei Parteien gab und man zu dem Schluss kommen musste, | |
dass sich da unten alle gegenseitig die Köpfe einschlagen. | |
Die Unübersichtlichkeit resultierte auch daraus, dass der Jugoslawienkrieg | |
ein Testfeld für die konkurrierenden Weltmächte nach dem Wegfall der | |
Blockkonfrontation war und ein Testfeld alter und neuer linker Weltsichten. | |
Von Nato bis Russland, von Peter Handke bis Jürgen Elsässer – alle waren da | |
und alle quatschten mit. Ahnung aber hatten die wenigsten. Und die, die | |
Ahnung hatten, wie Monika Hauser von medica mondiale, die sich dafür | |
einsetzte, dass Vergewaltigung als Kriegsverbrechen gelten müsse, wurden | |
lange nicht gehört. Die einen witterten überall die Relativierung deutscher | |
Verbrechen und die anderen den Einfluss des imperialistischen Westens. | |
## Raus aus dem Schlamassel | |
Ich wollte irgendwann von diesem ganzen Schlamassel nichts mehr wissen. Und | |
damit war ich, obwohl ich zu der Zeit keine deutsche Staatsbürgerin war, | |
Teil der deutschen Mehrheit. Dass die Belagerung von Sarajevo die längste | |
Belagerung im 20. Jahrhundert war und die Versorgungsbrücke länger dauerte | |
als die Berliner Luftbrücke, wer weiß das außerhalb Sarajevos schon? Der | |
Bosnienkrieg ist ein dunkler Fleck in der Geschichte Europas. Bis heute. | |
Die Vehemenz, mit der Peter Handke heute weltweit für seine Haltung zu | |
Serbien angegriffen wird, ist auch mit der Überforderung von damals zu | |
erklären. Man holt nach, was ausgeblieben ist, als die Verbrechen | |
geschahen. | |
Heute ist Bosnien wieder am Arsch der Hölle. Flüchtlinge erfrieren dort, wo | |
selbst die ansässige Bevölkerung nicht weiß, wo sie Holz, Öl oder Gas | |
herkriegen soll, um die eigenen Wohnungen zu heizen. Solange Bosnien nicht | |
vollwertiges Mitglied Europas, und das heißt: der EU ist, so lange gibt es | |
keine Gerechtigkeit für Bosnien. Und das ist das Mindeste, was dieser | |
Gesellschaft widerfahren sollte. Passiert das nicht, können wir kein | |
friedliches Europa propagieren, ohne dass uns die Schamesröte ins Gesicht | |
tritt. | |
9 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/nobelpreis-fuer-peter-handke-dieses… | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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