| # taz.de -- Hamburg im November: Warum sind wir so einsam? | |
| > Bei einem Spaziergang durchs graue Hamburg denkt unser Kolumnist über | |
| > Vereinzelung nach. Und an seinen Besuch in Syrien, den ersten nach zehn | |
| > Jahren. | |
| Bild: Hier lässt es sich gut vereinzeln: Hamburg im November, in diesem Fall z… | |
| An einem herbstlichen Abend in der vergangenen Woche spazierten meine Frau | |
| und ich am Jungfernstieg entlang. Es war schon grau und kalt, wie Hamburg | |
| eben oft im November ist. Wir sahen einen jungen Mann, der Lieder sang, und | |
| es bildete sich eine Menschentraube um ihn. Seine Stimme war nicht perfekt, | |
| aber trotzdem blieben immer mehr Menschen stehen, hörten ihm zu. | |
| Meine Frau sagte dann, dass diese Szene sie erinnere an das Zitat einer | |
| Bekannten: „Menschen sind hungrig nach menschlicher Verbindung.“ | |
| Das war vielleicht schon immer so, aber gilt besonders heute, [1][in einer | |
| Zeit, in der uns Social Media unendlich viel Zeit stiehlt]. Wir verbringen | |
| Stunden allein mit unseren Handys und haben immer weniger echten Kontakt. | |
| Dabei sind echte, spontane, ungefilterte Kontakte doch entscheidend für uns | |
| Menschen? | |
| Solche [2][Verbindungen sind besonders wichtig für unser psychisches | |
| Wohlbefinden]. Viele junge Leute – auch Studierende – leben in großen | |
| Städten und lernen immer weniger Menschen kennen. Sie brauchen Nähe, | |
| Gespräche, Begegnungen. Deshalb nutzen viele Apps, nicht nur um romantische | |
| Partner zu finden, sondern auch um Freundschaften zu schließen. Eine | |
| jüngere Kollegin von mir erzählte, dass sie vor ein paar Monaten nach | |
| Hamburg gezogen ist. Sie hatte hier kaum Kontakte und nutzte Apps, um neue | |
| Menschen kennenzulernen und Freundinnen zu finden. Ist das traurig? Dass | |
| wir immer weniger Verbindungen dem Zufall überlassen? Oder ist es eine | |
| innovative Lösung für das gesellschaftliche Problem der Einsamkeit? | |
| ## Ich vermisse Wärme und Zusammenhalt | |
| Aus einer küchen-philosophischen Perspektive – ich bin schließlich kein | |
| Philosoph – könnte man sagen: Handy und Social Media sind die Produkte | |
| eines übertriebenen Individualismus. Tools und Systeme, die uns Freiheit | |
| versprechen, aber immer mehr Einsamkeit erzeugen. Sie sind nicht die | |
| Ursache für alle Probleme, aber sie verstärken viele davon. | |
| Ich erinnere mich zurzeit oft an [3][meinen Besuch bei meiner syrischen | |
| Familie] im letzten Februar, das erste Mal nach zehn Jahren. Ich war nur | |
| fünf Tage dort – aber kaum war ich angekommen, hatte ich das Gefühl, die | |
| ganze Straße kam, um mich zu umarmen. Nachbarinnen, Freunde, Verwandte: | |
| jeden Tag kamen Menschen vorbei, begrüßten mich, waren einfach da. Diese | |
| Wärme, dieser Zusammenhalt – das vermisse ich hier manchmal sehr. Und viele | |
| andere auch, denke ich. | |
| Natürlich hat jede Lebensweise ihre Vor- und Nachteile. Hier in Deutschland | |
| habe ich viel mehr Privatsphäre, mehr Ruhe, mehr Entscheidungsfreiheit. | |
| Wie können wir als Gesellschaft wieder Nähe herstellen? Wie stärken wir das | |
| Nachbarschaftsgefühl? Wie schaffen wir Gemeinschaften, in denen Menschen | |
| ohne Angst miteinander sprechen, einander vertrauen und füreinander da | |
| sind? | |
| Das sind Fragen, die mich umtreiben. Eine Lösung, an die ich öfters denke, | |
| ist wieder mehr physische Räume zu schaffen, in denen man sich begegnet. | |
| Orte, an denen Menschen sich sicher fühlen, miteinander reden, spielen, | |
| lachen, einander unterstützen können. Ein bisschen wie damals, zu der | |
| Hochzeit der Willkommenskultur. | |
| 23 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hussam Al Zaher | |
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