# taz.de -- Hamburg bekämpft öffentliches Feiern: Die neuen Trinkregeln | |
> In Hamburg werden Orte, an denen junge Menschen Alkohol trinken, zu | |
> „Hotspots“ erklärt und von der Polizei geräumt – aber Kneipen dürfen | |
> öffnen. | |
Bild: Gekommen, um zu bleiben: Alkoholverbotsschild im Schanzenviertel | |
Es klang gut, was der Erste Bürgermeister seinen Hamburgern in dieser Woche | |
zu sagen hatte, nach Mutmachen am vorläufigen Ende der Entbehrungen, wie | |
wir sie kannten: „Wir können den Sommer genießen“, sagte Peter Tschentsch… | |
(SPD) und schaffte es damit prompt auf die Titelseite des Hamburger | |
Abendblatts. Und dann folgten allerlei Lockerungen des Pandemie-Regimes. | |
Unter freiem Himmel dürfen sich wieder zehn Menschen treffen, Sport | |
treiben, Veranstaltungen wie der „Hamburger Dom“ sollen möglich sein. | |
Drinnen sind Chorproben, Kultur- und Sportveranstaltungen erlaubt; Hotels | |
dürfen wieder voll belegt werden, sogar die [1][Prostitution kann wieder | |
losgehen], also legal. Nur mit Test und Maske zwar, aber Küssen ist bei den | |
meisten Sexarbeiter:innen ja ohnehin tabu. | |
Klingt alles toll und nach echtem Leben. Aber gleichzeitig geschieht etwas, | |
das nicht recht dazu passen will: In Hamburgs Ausgehvierteln St. Pauli und | |
Schanze werden neue Verbotstafeln aufgehängt. „Alkoholverbot“ steht darauf, | |
zur Sicherheit auch noch mal auf Englisch. Und dazu ein Stundenplan, den | |
man zweimal lesen muss, bis man die ganze Tragweite verstanden hat: Mo–Fr | |
0–6 und 14–24 Uhr; Sa, So, Feiertage 0–24 Uhr. | |
Das heißt: Trinken darf man beispielsweise auf dem Schulterblatt vor dem | |
linken Zentrum Rote Flora noch montags bis freitags von sechs Uhr morgens | |
bis 14 Uhr. Aber wer tut das schon? Vielleicht die Wohnungslosen, die auf | |
den Treppen der Flora ihr Lager aufgeschlagen haben, aber was tun die | |
danach? Und was am Wochenende? | |
## Ordentlich verschraubte Verbotsschilder | |
Es sind nicht mehr diese Do-it-yourself-mäßig laminierten und mit | |
Kabelbindern fixierten Schilder, die vor Monaten am selben Ort die | |
Maskenpflicht angekündigt hatten, nicht diese eilig aufs Pflaster | |
gesprühten Piktogramme. Es sind solide, ordentlich bedruckte und fest | |
verschraubte Verbotsschilder. Gekommen, um zu bleiben. | |
Nur eine Woche vorher hatte Tschentschers Stellvertreterin, die Zweite | |
Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), den politischen Boden dafür | |
bereitet: „Was sich am Wochenende in der Schanze abgespielt hat, war total | |
daneben“, ließ sie [2][in lockerem Ton per Pressemitteilung wissen], nach | |
dem ersten Partywochenende, dem die Polizei ein Ende bereitet hatte. „Klar | |
wollen jetzt alle raus, Leute treffen, den Frühling genießen. Aber das war | |
eine rücksichtslose Massenparty mit Potenzial für ein mögliches | |
Corona-Superspreader-Event“, so Fegebank, die auch einen Vergleich zur Hand | |
hatte, der viel über ihre Weltsicht verrät: „Das Virus ist nicht weg und | |
auf dem Ballermann geht es zurzeit gesitteter zu als auf dem | |
Schulterblatt.“ Igitt! | |
Ihrer Analyse ließ Fegebank eine Drohung folgen: „Wir werden im Senat über | |
Maßnahmen beraten müssen, wenn sich die Lage nicht durch Einsicht | |
entspannt.“ Der Senat tagte genau einen Tag später – und beschloss das | |
Alkoholverbot an sogenannten „Hotspots“ wie der Schanze und an vielen | |
anderen Orten der Stadt. Ob sich also nach dem ersten Partywochenende so | |
etwas wie Einsicht einstellen würde, ob die jungen Leute auch „gesittet“ | |
feiern können – das konnte sich vorher gar nicht zeigen. | |
Genauer gesagt handelt es sich um ein „Alkoholverkaufs- und Konsumverbot“, | |
noch genauer ist sogar schon das „Mitführen“ von Alkohol verboten. Außer | |
natürlich, wenn man in einer Kneipe sitzt oder in einem Restaurant. Die | |
dürfen schon seit zwei Wochen wieder draußen ausschenken – an Gäste mit | |
Sitzplatz. Seit einer Woche kann man dort sogar wieder drinnen trinken, | |
wenn auch unter Auflagen, die für viele kleine Gastronomen ähnlich ruinös | |
sind wie der Lockdown vorher. | |
Schlimmer trifft es nur die Kioske, meist von Migrantenfamilien betrieben. | |
Ihr Geschäftsmodell ist im Eimer, wenn der abendliche Alkoholverkauf | |
dauerhaft wegfällt. Das „Alkoholverbot“ ist also vor allem ein | |
„Billigalkoholverbot“. Wer es sich leisten kann, kann aus der Kneipe am | |
Schulterblatt bei Aperol Spritz gemütlich zuschauen, wie die Polizei den | |
Pöbel vertreibt. | |
Dass das nicht oder zumindest nicht in erster Linie dem Infektionsschutz | |
dienen kann, ist klar, denn das Risiko, sich über Aerosole zu infizieren, | |
ist in geschlossenen Räumen weitaus höher als an der frischen Luft. Worum | |
es eigentlich geht, hat Fegebank in ihrem kurzen Pressestatement auch schon | |
mitverraten: „Das ist nicht nur ein Problem für die Eindämmung der | |
Pandemie, sondern auch für die Menschen, die in der Schanze leben.“ | |
## Pandemiemaßnahmen könnten bleiben | |
Offenbar hat der Hamburger Senat vor, die Pandemiemaßnahmen in die Zeit | |
nach Corona zu verlängern, um ein „Problem“ zu lösen, das lange vor der | |
Pandemie erkannt war: dass die Menschen in Amüsierviertel gehen, um sich zu | |
amüsieren. | |
Viel war während der Pandemie von überzogenen Grundrechtseinschränkungen | |
die Rede, manchmal auch zu Recht – etwa bei der phasenweise [3][fast völlig | |
ausgehebelten Versammlungsfreiheit]. Kann sein, dass das Recht auf den | |
öffentlichen Raum nun an ungeahnter Stelle zurückerkämpft werden muss. | |
Wahrscheinlich kommt dem Hamburger Schanzenviertel, wo die Grenzen zwischen | |
politischem Protest und Party von jeher fließend sind, dabei eine zentrale | |
Rolle zu. | |
Den ganzen Schwerpunkt zum Feiern in der ausgehenden Pandemie lesen Sie in | |
der taz am Wochenende am Kiosk oder [4][hier]. | |
11 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Sexarbeiterinnen-in-Hamburg/!5771796 | |
[2] /Jugendliche-muessen-endlich-feiern-duerfen/!5776320 | |
[3] /Demoverbot-in-Hamburg-zum-1-Mai/!5763488 | |
[4] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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