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# taz.de -- Polizei vertreibt feiernde Jugendliche: Im Namen der Verordnungen
> Die Hamburger Hotspot-Strategie führt zu Ausschreitungen. Statt jungen
> Menschen nach dem Lockdown Angebote zu machen, reagiert die Stadt mit
> Gewalt.
Bild: Polizeikräfte vertreiben Feiernde aus dem Hamburger Schanzenviertel
Hamburg taz | Der Alma-Wartenberg-Platz liegt mitten im beliebten Hamburger
Stadtteil Ottensen. An den Wochenenden lassen sich dort zahlreiche
Schlangen beobachten, die sich vor Cafés und Bars winden. Das speckige
Kopfsteinpflaster erstreckt sich glatt entlang der Kneipen und Restaurants,
in den sandigen Rillen der Steine finden sich im Spätsommer kleine braune
Eicheln.
Am Morgen des 5. Juni, einem Samstag, lagen dort keine Eicheln, sondern
spitze Glasscherben – eine Erinnerung an die Ereignisse in der Nacht davor.
Am frühen Abend war es noch friedlich. Viele lose Gruppierungen
unterhielten sich auf der Piazza, berichtet ein Augenzeuge, viele hatten
Flaschen in der Hand, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht zerbrochen waren.
[1][Nach vielen Monaten der heimischen Isolation] sei die Anzahl der
Menschen gewöhnungsbedürftig gewesen, aber aus öffentlichen Verkehrsmitteln
sei man Schlimmeres gewöhnt.
An seinen Schenkeln wird der Alma-Wartenberg-Platz eingerahmt von einer
niedrig frequentierten Straße. Um 21.30 Uhr konnte Tobias Bülow*
vereinzelte Streifwagen beobachten, die den Platz umkreisten. Lange
verweilen wollte er dort nicht: „Ich hatte direkt ein ungutes Gefühl. Der
Besuch einer Hundertschaft lag in der Luft und kurz vor meiner ersten
Impfung musste ich mich auch nicht mehr ins Getümmel schmeißen.“ Generell
sei die Grundstimmung zwar ausgelassenen, jedoch ruhig gewesen.
## Aggressive Reaktionen
Dem Polizeibericht zufolge fanden sich gegen 23 Uhr circa 400 Personen auf
dem Platz wieder, die das geltende Alkoholkonsumverbot, die Maskenpflicht
und das Abstandsgebot „nahezu ungeachtet“ ließen. Ein Sprecher der Polizei
erklärte auf Nachfrage, dass auf die Ansprachen von Einsatzkräften
„zunehmend aggressiv“ reagiert worden sei. So seien beispielsweise Flaschen
in Richtung der Polizei getreten worden.
Laut Bild-Zeitung wurde die Bereitschaftspolizei mitsamt Räumpanzern und
Wasserwerfern vom Schanzenviertel zum Alma-Wartenberg-Platz verlegt. Auf
Twitter [2][kursiert ein Video], das behelmte Polizeieinsatzkräfte im
grellen Blaulicht des Wasserwerfers zeigt. Das Vehikel, welches
normalerweise bei Großdemonstrationen eingesetzt wird, versperrt in dem
kurzen Mitschnitt mächtig eine der Zufahrtsstraßen des Platzes. Vereinzelt
laufen junge Menschen durch das gleißende Scheinwerferlicht, weg vom Ort
des Geschehens.
Um 0.19 Uhr sprach der zuständige Einsatzleiter einen generellen
Platzverweis aus. Polizeiangaben zufolge löste sich der Großteil der
Ansammlung in der Folge auf. Jedoch sei es zu Flaschenwürfen in Richtung
des Wasserwerfers gekommen. Drei Männer wurden von
Bereitschaftspolizist:innen vorläufig festgenommen. Viele Feiernde
zog es jedoch in die umliegenden Straßen. Abseits des Bereiches um den
Alma-Wartenberg-Platz besteht nämlich kein Alkoholverbot.
So sammelten sich manche Feiernde, unter ihnen Tobias Bülow, gegen 1 Uhr am
nahegelegenen Kemal-Altun-Platz. Auch dort war die Polizei präsent und
kontrollierte die Einhaltung der Coronaverordnungen, so seine Erinnerung.
„Wir saßen in einer kleinen Gruppe auf dem Rasen, als ich plötzlich eine
Rudelbildung bemerkte. Ich dachte: Ich muss da hin.“
Als er sich der Situation näherte, seien bereits 20 bis 30 Menschen zur
Stelle gewesen, manche hätten ein Video mit ihrem Smartphone gemacht. „Ein
Polizist hatte einen jungen Mann auf dem Boden fixiert, er hatte sein Knie
im Bereich des Brustwirbels“, sagt Bülow. „Seine Kollegin hat versucht, den
Leuten ihre Handys aus der Hand zu schlagen.“ Bülows Freunde hätten ihn
dann vom Geschehen entfernt. „Sie meinten zu mir, ich wüsste, was gleich
passieren würde.“
Ein anderer Augenzeuge berichtet von zwei oder drei herbeieilenden
Streifenwagen, die zur Unterstützung angefordert worden seien. Die
Polizist:innen sicherten den Bereich ab und die Menschentraube löste
sich auf. Später teilte die Polizei mit, dass sich der junge Mann, ein
18-Jähriger, den behördlichen Maßnahmen widersetzt habe. Nach einem
Platzverweis sollten seine Personalien festgestellt werden. Er wurde
festgenommen und auf die Wache transportiert.
Es war nicht das erste Mal, dass es am Wochenende zu solchen
Auseinandersetzungen kam. Katharina Fegebank, Hamburgs Zweite
Bürgermeisterin, verglich das Verhalten der 4.000 Menschen, die sich am
letzten Maiwochenende in der Sternschanze zum ausgiebigen Feiern
versammelten, mit Alkoholexzessen auf Mallorca: „Auf dem Ballermann geht es
zurzeit gesitteter zu als auf dem Schulterblatt“, teilte sie am 30. Mai
mit.
Die Hamburger Innenbehörde reagierte mit der [3][Anordnung von strikten
Alkoholverboten] in verschiedenen Bereichen Hamburgs. Seit dem 4. Juni
gelten die Reeperbahn, die Sternschanze, der Alma-Wartenberg-Platz und
andere beliebte Treffpunkte als sogenannte „Hotspots“, innerhalb derer an
Wochenenden das Verkaufen und Mitführen von alkoholischen Getränken vom
Abend an verboten ist, das Trinken von Alkohol ist schon nachmittags nicht
mehr erlaubt.
Doch die Geschehnisse vom Alma-Wartenberg-Platz, aber auch die Auflösung
eines Raves im Hamburger Stadtpark in der Nacht des 5. Juni zeigen, wie die
feierwillige Bevölkerung auf die Hotspot-Strategie reagiert: Sie weicht
aus. Gefeiert wird trotzdem, nur eben nebenan.
Die Regierungsparteien halten die geltende Hotspot-Strategie für sinnvoll.
Sören Schuhmacher, innenpolitischer Sprecher der SPD, sagt: „Diese Gebiete
zu Hotspots zu erklären, gibt der Polizei die rechtlichen Befugnisse,
frühzeitig einzugreifen und Infektionsrisiken zu verhindern.“ Sina Imhof
von den Grünen meint, sie könne den Unmut der Jugendlichen nach 15 Monaten
Pandemietunnel zwar nachvollziehen, jedoch sei die Gefahr der Pandemie noch
nicht gebannt: „Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen wird sich weiterhin
dafür einsetzten, dass die Coronaverordnung eingehalten wird.“
Deniz Celik von der Linksfraktion nimmt dagegen die Regierung in die
Pflicht: „Es kommt darauf an, auch jungen Menschen Angebote zu machen, dies
fand im Verlauf der Zeit nicht statt.“
Am vergangenen Dienstag kündigte Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter
Tschentscher an, dass sich ab dem 11. Juni nunmehr 10 Personen aus beliebig
vielen Haushalten unter freiem Himmel treffen könnten. Während eine
Strategie zur Öffnung von Klubs, Discotheken und Tanzlokalen ausbleibt,
sollen „die jungen Leute das Leben an der frischen Luft genießen“ – auß…
eben an den Hotspots. Dafür sollen Veranstaltungen mit 100 Teilnehmenden in
Innenräumen und 500 Besuchenden in Außenbereichen unter strengen Auflagen
genehmigt werden. Auch ein abgespeckter Sommerdom ist geplant.
Vielleicht könnte Hamburg ja sogar vom echten Ballermann lernen. Dort soll
es nach einem Bericht der Mallorca-Zeitung zu [4][Konflikten zwischen
Feiernden und der Polizei gekommen] sein, nachdem das oberste spanische
Gericht die Aufrechterhaltung nächtlicher Ausgangssperren und
Kontaktbeschränkungen für rechtswidrig erklärt hatte. Daraufhin, so die
Zeitung, trafen sich in der Nacht des 3. Juni Hunderte Menschen an der
Playa de Palma und missachteten die geltenden Coronaregeln.
Der spanische Branchenverband der Klubs und Diskotheken legte der
balearischen Regierung kure Zeit später einen Stufenplan zur Öffnung der
Lokale vor: Es sei nur möglich, illegale Partys zu verhindern, wenn man
Klubbesuche unter Auflagen ermögliche, so die – nicht ganz uneigennützige
– Argumentation.
*Name geändert
12 Jun 2021
## LINKS
[1] /Studie-zur-Stimmung-in-der-Pandemie/!5764202
[2] https://twitter.com/Thomas_BILDde/status/1401074387688755204?s=20
[3] /Hamburg-bekaempft-oeffentliches-Feiern/!5774689
[4] https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2021/06/04/urlauber-feiern-playa-de-…
## AUTOREN
Arne Matzanke
## TAGS
Party
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