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# taz.de -- Wohnungsbau statt Kneipe in Hamburg: Pub wird trockengelegt
> Nach 39 Jahren ist für den Irish Pub „Shamrock“ im Karolinenviertel
> Schluss. Die Betreiberin fühlt sich vom Investor getäuscht.
Bild: Geschichtsträchtig und wohl bald Geschichte: das Shamrock
Hamburg taz | Es ist heiß, obwohl es schon Abend ist. Viel zu heiß, um
[1][im schummrigen „Shamrock“] zu sitzen. Lindsay Bennett, die Besitzerin
des Irish Pubs, hat das Interieur nach außen gekehrt. Dunkle Holzstühle
stehen um eine runde Tischplatte auf einem leeren 50-Liter-Bierfass.
Lindsay Bennett wartet auf Gäste. Und sie wartet auf die Schließung ihres
Pubs.
Links und rechts ragen bunt besprühte Wände von Wohnhäusern auf. Nur das
Gebäude an der Feldstraße 40 sticht heraus. Im Gegensatz zu den
benachbarten Häusern ist es nur einstöckig.
Dabei ist das Geschäft mit dem Wohnraum lukrativ, insbesondere auf St.
Pauli, wo sich in den vergangenen 15 Jahren der Preis für
Eigentumswohnungen verdreifacht hat – mindestens. Auch die Mietpreise im
Viertel steigen rasant. Das weiß man auch beim Hamburger Bauunternehmen
Otto Wulff GmbH. Seit 2011 gehört ihm das Grundstück, auf dem das Shamrock
steht. Die Kneipe ist seit 39 Jahren dort im Karolinenviertel. Ab August
sollen dort 23 Wohnungen und drei Geschäftsräume entstehen. Einer davon
hätte das neue Shamrock werden können. Hätte.
„Es ist nicht fair“, sagt Bennett, die sich mit ihren Ellenbogen auf der
dunklen Theke abstützt. Sie spricht Englisch mit rauchiger Stimme. „Als ich
die Bar 2020 übernommen habe, hat mir Otto Wulff versichert, dass ich auch
ins neue Gebäude einziehen könne – mit Küche und allem Drum und Dran.“ In
der Firma muss bekannt gewesen sein, dass der Pub auch von Livemusik auf
der kleinen Bühne im Hinterzimmer lebt.
## Keine Küche, keine Musik
Ein Gast kommt dazu und bestellt lallend einen Shot Wodka. „You’re
verywelcome“, sagt sie und lächelt ihn an und überreicht ihm mit beiden
Händen das winzige Glas wie einen Pokal. „Als ich im Februar wieder von
Otto Wulff kontaktiert wurde, hieß es: keine Küche, keine Musik – und dass
sie mir quasi nur den Raum und die Anschlüsse für die Elektrik zur
Verfügung stellen.“ Das bedeutet, dass zu den Kosten für den Innenausbau
80.000 Euro für Lärmschutz sowie die Finanzierung der WCs hinzukämen. „Wie
soll ein Pub so überleben?“, fragt die Wirtin. „Vor allem nach einem Jahr
Pandemie?“
Die 49-jährige wandte sich in ihrer Verzweiflung [2][an die Hamburger
Morgenpost.] Als der Artikel erschienen war, meldete sich eine
Mitarbeiterin von Otto Wulff, das sich auf seiner Internetseite als
Familienunternehmen bezeichnet und 600 Menschen beschäftigt. „Die erste
Frage, die sie mir stellten war: Wieso bist du zur Zeitung gegangen?“, sagt
Bennett. „Ich sagte: warum nicht?“ Sie hebt fragend eine Handfläche in die
Luft.
Später versucht der Bauträger die Wogen zu glätten. In sozialen Medien
teilt Otto Wulff über die Unternehmensaccounts unter dem Hashtag
#Verantwortung ein Hilfegesuch an seine plattformübergreifend 2.000
Follower. „Gemeinsam mit dem Shamrock haben wir die letzten Monate
versucht, einen Wiedereinzug in den Neubau möglich zu machen. Leider ohne
Erfolg.
Die Lämschutzauflagen von Seiten der Behörden sind für das Shamrock nicht
praktikabel“, postet das Familienunternehmen. „Umso mehr möchten wir
helfen! Kennt ihr eine passende Location?“, schreibt die Firma. Dazu ein
grünes Herz.
„Uns liegt die Zukunft des Shamrock sehr am Herzen!“, behauptet der
Pressesprecher von Otto Wulff, Michael Nowak. „Wir haben unterschiedlichste
Wege gesucht, einen Wiedereinzug in das neue Wohn- und Geschäftshaus
möglich zu machen“, sagt er. Das Bauunternehmen habe Nachträge zum
Bauantrag eingereicht, um die Anforderungen für den Pub erfüllen zu können.
Weil in den Etagen darüber Wohnungen geplant sind, seien die behördlichen
Auflagen sehr hoch. „Das Shamrock müsste wegen Lärmschutzregelungen bereits
um 22 Uhr schließen. Wir haben uns bei der Baubehörde für das Shamrock
eingesetzt und versucht, eine Verlängerung bis 23 Uhr zu erreichen – dies
wurde leider verneint.“
## Der Bezirk gibt sich wortkarg
Die Behörden verweisen auf die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm�…
von 1998. Bei Wohnbebauung in sogenannten „urbanen Gebieten“ dürfe in der
Nacht der Lautstärkewert von 45 Dezibel nicht überschritten werden. Warum
das Shamrock trotz nachträglicher Änderungen im Bauantrag nicht bis 23 Uhr
Musik spielen dürfte, beantwortet der Bezirk Mitte wortkarg: „Der bauliche
Schallschutz ist nur für den Betrieb einer Gaststätte bis 22 Uhr
ausreichend.“
Dieselben Regelungen gälten für die zahlreichen Kneipen in der Gegend, die
auch danach noch Musik spielen, auch wenn sie schon vor 1998 bestanden, so
eine Bezirkssprecherin. Dort finde aber lediglich eine „anlassbezogene
Überwachung“ statt.
Carl kommt dazu. Seine Unterarme sind tätowiert. Er organisiert das
Pub-Quiz im Shamrock. „We are a family, you know?“, sagt er und schaut
Bennett in die Augen. Aber Lindsay Bennett fühlt sich allein gelassen.
Wieso Hauseigentümer Otto Wulff erst nach dem Zeitungsartikel Hilfe anbot,
fragt sie sich.
Auch warum nicht, wie mündlich besprochen, eine Küche eingebaut wird. „Otto
Wulff sagt im Internet, dass sie mir helfen wollen. Für mich sieht das nur
so aus, als würden sie versuchen, ihr Image zu retten.“ Die Engländerin
fasst resigniert zusammen: „Die wollen fast die doppelte Miete und stellen
mir einen leeren Raum hin. Nach einem Jahr Corona. Das klingt für mich
nicht nach Hilfe.“
Sie sucht händeringend nach einem neuem Ort in der Nähe, an dem sie das
Shamrock wiedereröffnen kann. Ihre Schlüssel muss sie am 30. Juni abgeben.
Erst im August soll der Abriss beginnen.
26 Jun 2021
## LINKS
[1] https://shamrockirishpub.de/
[2] https://www.mopo.de/hamburg/aus-nach-39-jahren-wer-rettet-das-kult-pub-sham…
## AUTOREN
Arne Matzanke
## TAGS
Wohnungsbau
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Immobilien Hamburg
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Alkoholverbot
Schwerpunkt Coronavirus
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