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# taz.de -- Grünen-Landesparteitag am 9. Dezember: „18,4 Prozent sind nicht …
> Tanja Prinz, Grünen-Vorsitzkandidatin aus dem Realo-Lager, sieht mehr
> Potenzial für ihre Partei und will auch vom linken Flügel gewählt werden.
Bild: Wenn die Berliner Grünen ihren Parteivorstand neu wählen, will Tanja Pr…
taz: Frau Prinz, sitzt vor uns nun die offizielle Kandidatin des
Realo-Flügels?
Tanja Prinz: Ich bewerbe mich als Vorsitzende der Berliner Grünen und das
ist auch mein Anspruch: das Ganze im Blick haben. Aber ja, der
realpolitisch orientierte Teil der Partei hat mir am Ende des Tages
mehrheitlich sein Vertrauen geschenkt und dafür bin ich sehr dankbar.
Mehrfach war aber nach ihrem knappen Erfolg gegen die bisherige
Landeschefin Susanne Mertens von der Variante zu hören, dass sich noch eine
dritte Kandidatin findet. Halten Sie das für ausgeschlossen?
Als Kandidatin fände ich es unangemessen, irgendwas auszuschließen. Es geht
doch darum, ob jemand sich engagieren möchte und der Partei ein
überzeugendes Angebot machen kann und will. Und das steht allen frei. Wer
bin ich, anderen das abzusprechen. Ich für meinen Teil will dazu beitragen,
dass wir das Potenzial der Partei voll ausschöpfen und unsere Ideen für ein
ökologisches, soziales und wirtschaftlich nachhaltiges Berlin
weiterentwickeln. Letztlich geht es doch darum, den Bürger*innen ein
überzeugendes Angebot zu machen. Ich kenne die Partei jetzt sehr lange,
engagiere mich hier seit vielen Jahren. Und ich glaube, dass wir noch
stärker werden können.
Im März waren Sie noch [1][eine wenig beklatschte Stimme beim kleinen
Parteitag], die eine kritischere Aufarbeitung des Wahlausgangs forderte.
Nur acht Monate später sind Sie die mögliche Landeschefin. Was ist
inzwischen passiert?
Ich habe das Wahlergebnis sehr genau durchleuchtet und versucht zu
verstehen, warum wir unter unserem Potenzial geblieben sind. Einsicht ist
der erste Schritt zur Besserung. Wir wollen doch Berlin gestalten – und das
geht nicht von der Seitenlinie. Deswegen war mir wichtig, dass wir nicht
gleich zur Tagesordnung übergehen, sondern uns analysieren und vielleicht
auch schauen, was andere besser gemacht haben. [2][Die 18,4 Prozent] sind
noch nicht das Ende der Fahnenstange für uns in Berlin. Ich vergleiche das
auch mit den Wahlergebnissen, die wir in anderen großen Städten eingefahren
haben, sei es in München, Hamburg oder Hannover.
Der Anspruch vor der Wahl war ja auch, die Regierungschefin zu stellen,
[3][was in Umfragen lange möglich schien]. Nachher aber hieß es oft nur:
„Oh toll, 18,4 Prozent, das zweitbeste Ergebnis, das wir je hatten“.
Das Ergebnis ist ja auch respektabel. Ich sehe für uns aber mehr Potenzial.
Und wer war schuld, dass die Grünen das bei der Wahl nicht ausschöpften?
Es gab unterschiedliche Einschätzungen über die Strategie. Sagt man, dass
man natürlich Rot-Grün-Rot fortsetzen will, schließt man andere Koalitionen
partout aus – oder geht man den Kurs der Eigenständigkeit? Das bedeutet,
als Partei erstmal für uns das beste Ergebnis rauszuholen, für unsere
Position zu streiten und nach der Wahl mit den anderen demokratischen
Parteien zu reden.
Sie sprechen [4][in Ihrem Bewerbungsvideo] von Bündnisfähigkeit und mehr
Blick auf die Außenbezirke, wo zwei Drittel aller Berliner wohnen. Die
Noch-Vorsitzende Mertens stand mit ihrer Vita genau dafür. Warum wollten
Sie sie dann ablösen?
Ich glaube, politisch waren wir schon einmal weiter, was die
Bündnisfähigkeit betrifft. Und ja, das ist herausfordernd, sich auch mit
ganz anderen Positionen zu beschäftigen und dennoch Gemeinsamkeiten
herauszuschälen. Am Ende profitieren aber alle mehr, davon bin ich
überzeugt. Die Außenbezirke gehören für mich stärker ins Zentrum der
politischen Debatte und noch wichtiger: des tatsächlichen Handelns.
Sie sind da auch zuhause …
Ja, auch ich wohne außerhalb des S-Bahnrings und hatte meinen Wahlkreis in
Lichtenrade, wo die CDU ihre höchsten Zustimmungswerte in ganz Berlin
bekam. Ich wünsche mir da bei uns Grünen eine andere Dynamik. Das hat auch
mit der Perspektive zu tun, aus der heraus man Politik macht. Im Zentrum
gibt es andere Bedürfnisse als in den äußeren Stadtteilen.
Was hat denn Frau Mertens aus ihrer Sicht nicht richtig gemacht?
Susanne Mertens hat sich voll in den Dienst der Partei gestellt und ich
rechne ihr das hoch an, genauso wie den Schritt zur Seite, den sie nun
gemacht hat.
Zur Seite? Sie tritt nicht mehr an und damit nach hinten ab.
Ich möchte eher darüber sprechen, was ich als Vorsitzende vorantreiben
würde. Unsere Partei ist in den letzten Jahren stark gewachsen, in allen
Bezirken engagieren sich Mitglieder mit viel Herzblut. Ich glaube deshalb,
dass ein kritischer Blick wichtig ist, ob unsere Strukturen diese Vielfalt
auch abbilden. Ich fände es gut, wenn wir diesen unterschiedlichen
Perspektiven aus den Bezirken auch im Landesvorstand mehr Raum einräumen
würden.
Der Letzte, der so prominent seine Vorgängerin verdrängt hat, [5][war 2019
Kai Wegner]. Der meinte damals, damit Berlin und seine CDU retten zu
müssen. Was war denn Ihr Damaskus-Erlebnis für Ihre Kandidatur?
Also retten muss ich die Grünen nicht. Wir sind insgesamt gut aufgestellt,
regieren aktuell in elf Bundesländern mit – Hessen noch eingeschlossen.
Umso mehr hat es mir weh getan, dass wir ausgerechnet in der Hauptstadt
Berlin aus der Regierung gehen mussten, weil wir nicht die Weichen gestellt
hatten, weiter Teil der Landesregierung zu sein. Das ist einer der Punkte,
die ich ändern will.
Einige hätten jetzt nachgefragt: Damaskus-Erlebnis? Ihnen ist also dieses
Bibel-Bild für einen abrupten Wendepunkt nicht fremd. Sie haben ja auch
manche Grüne mit der Aufforderung geschockt, zu den katholischen
Kolpingsfamilien zu gehen. Welche Rolle spielen Glauben und Kirche bei
Ihnen?
In meinem Leben keine zentrale. Aber ich sehe die kirchlichen Gruppen immer
noch als starke Akteur*innen in der Zivilgesellschaft. Und da gibt es
viele Anknüpfungspunkte. In meinem Wahlkreis gibt es etwa die Ökumenische
Umweltgruppe, die sich auch für den Umbau des öffentlichen Raums einsetzt.
Und die Salvator-Gemeinde hatte mich als Direktkandidatin zweimal
eingeladen.
Die Grünen schienen doch nach der Wahl in den Sondierungen bereits kurz vor
einer bürgerlichen Koalition mit der CDU. Oder wäre die bei einem
Landesparteitag gegen den linken Flügel nie durchgekommen?
Ich habe auch bei der SPD nicht vermutet, dass es so knapp werden könnte,
als die über den Koalitionsvertrag mit der CDU abgestimmt hat. Es hatte ja
schon auch etwas Absurdes, dass die SPD vor Schwarz-Grün warnte und dies
dann verhinderte, indem sie sich der CDU andiente. Vielleicht ging es dabei
dann doch eher um Macherhalt und weniger um Berlin. Selbstkritisch: unsere
klare Wahlaussage vorher, die Koalition mit SPD und Linkspartei
fortzusetzen, hat nicht dazu beigetragen, unsere grüne Eigenständigkeit zu
unterstreichen. Nach der Wahl schaut man, mit wem man grüne Inhalte am
besten umsetzen kann. Da ich lange für ein rot-grün regiertes Land
gearbeitet habe …
… Bremen …
…, ist aber auch klar, dass ich weiterhin viele Schnittmengen mit der SPD
sehe.
Das System mit der doppelt quotierten grünen Doppelspitze ist ein sehr
fragiles. Beide Spitzenleute sollen ja nicht für ihren Flügel, sondern für
die ganze Partei sprechen. Wie geht das, wenn Sie in eine Richtung wollen,
die mit dem linken Lager nicht zu machen ist?
Natürlich will ich die ganze Partei vertreten, und ich trete an auf Basis
des aktuellen Wahlprogrammes und der aktuellen Beschlusslage. Aber
natürlich ist das nicht in Stein gemeißelt: die Stadt entwickelt sich, wir
müssen immer mehr mit den Folgen globaler Krisen umgehen, die uns auch hier
betreffen.
Konkret welche?
Denken Sie an die Klimaveränderungen, die Geflüchteten infolge des
schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die Auswirkungen der
Inflation, unter der vor allem Menschen mit wenig Geld stärker leiden. Auf
all das müssen wir ja auch reagieren und praktikable Lösungen anbieten.
Letztlich gilt, wer meint, dass es programmatische Änderungen braucht, muss
dafür Mehrheiten organisieren. In Berlin haben wir dafür jetzt ein bisschen
Zeit, gewählt wird 2026.
Bundesweit ringen die Grünen gerade um den Kurs in der Migrationspolitik.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat [6][jüngst in der taz seine
Sicht so beschrieben]: „Runter von der Bremse bei der Eindämmung der
irregulären Migration“. Ist das auch Ihre Haltung?
Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden. Punkt. Ich sehe
allerdings schon, dass wir an gewisse Kapazitäten anstoßen.
Zum jetzigen Asylrecht gehört qua Gesetz auch, dass die wieder gehen
müssen, deren Antrag nicht erfolgreich ist. Das lehnen viele in Ihrer
Partei ab.
Unsere Bundesvorsitzende Ricarda Lang und Winfried Kretschmann haben die
Notwendigkeit von Humanität und Ordnung in einem Gastbeitrag gut
beschrieben. Das eine bedingt das andere. Nur so können wir denjenigen
Schutz geben, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, etwa aus der
Ukraine, aus Syrien oder Afghanistan.
Kretschmann sagte im taz-Interview auch: „Die Leute haben das Gefühl, die
Grünen sagen ihnen, wie sie heizen sollen, wie sie sich fortbewegen sollen,
wie sie essen sollen, und wir sagen ihnen zum Schluss sogar, wie sie reden
dürfen und wie nicht.“ Das nerve zunehmend. Hat er Recht?
Kretschmanns Beschreibung, dass uns manche das im politischen Wettkampf
zuschreiben wollen, ist erst einmal richtig. Und damit müssen wir einen
Umgang finden. Ich sehe uns eher als Freiheitspartei, die Chancen aufzeigt
und Angebote schafft. Und natürlich sollen alle so reden, wie sie mögen.
Ich persönlich achte darauf, dass ich möglichst diskriminierungsfrei
spreche, dass ich gendere. Aber das ist meine Entscheidung, die ich mir
auch nicht verbieten lassen will. Ich versuche wenig Fleisch, dafür aber
bewusst Bio zu essen. Aber das ist meine Entscheidung.
Also kein Veggie-Tag, wie er Renate Künast mal vorschwebte, an dem es in
öffentlichen Kantinen kein Fleisch gibt?
Angebote schaffen, damit die Menschen eine echte Wahl haben – darum geht es
doch. So wie hier in der taz-Kantine [7][(wo es auch Fleisch gibt, d.Red]).
Und dazu gehört natürlich, immer mindestens ein vegetarisches Gericht
anzubieten, gern auch vegan.
Bei dem, was Sie jetzt so gesagt haben, kann man zumindest bezweifeln, dass
eine Katrin Schmidberger oder andere führende Leute vom linken Flügel beim
Parteitag für Sie stimmen.
Also, mit Katrin habe ich schon bei der Grünen Jugend angefangen und
Politik gemacht. Wir kennen uns lange, haben zusammen in Turnhallen
übernachtet. Katrin brennt, setzt sich für ein sozialeres Berlin ein –
solche Leute brauchen wir.
Was nichts daran ändert, dass sie einen anderen Blick auf die Welt hat als
Sie. Ist es so ausgeschlossen, dass der linke Flügel sagt: Nicht mit Tanja
Prinz, dann lieber die Doppelspitze doppelt links besetzen?
Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich.
Die Linken ziehen also mit beim Parteitag am 9. Dezember ?
Davon gehe ich aus. Wir sind eine Partei.
22 Nov 2023
## LINKS
[1] /Parteitag-der-Berliner-Gruenen/!5920804
[2] https://wahlen-berlin.de/wahlen/BE2023/AFSPRAES/agh/index.html
[3] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm
[4] https://tanja-prinz.de/
[5] /Kommentar-zum-CDU-Fuehrungsstreit/!5575640
[6] /Kretschmann-zu-gruenen-Fehlern/!5969447
[7] /!v=1d53a95d-ab9e-43f5-83ea-160ad9a2a062/
## AUTOREN
Stefan Alberti
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