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# taz.de -- Grüne Woche in Berlin: Jetzt geht’s um die Öko-Wurst
> Für Brandenburg liegt die Zukunft im Ökolandbau. So sieht es der neue
> grüne Landwirtschaftsminister Axel Vogel – und besucht die Grüne Woche.
Bild: Bio oder nicht? Das sieht man dem Gemüse auf der Grünen Woche nicht an
Die [1][„Wir haben es satt“-Demo gegen die industrielle Landwirtschaft] war
für Axel Vogel als Chef der Grünen-Opposition im Brandenburger Landtag
immer ein Pflichttermin. An diesem Samstag wird er fehlen. Der neue
Brandenburger Agrar- und Umweltminister hat jetzt andere Verpflichtungen:
Er ist beim Ehrenamtsempfang für engagierte Bürger, zu dem
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) das gesamte Kabinett vergattert
hat. „Da kann ich nicht fehlen“, sagt Vogel. Anderenfalls wäre er auch in
seiner neuen Funktion für die Agrarwende auf die Straße gegangen,
versicherte er jetzt bei der Vorstellung des Brandenburg-Auftritts zur
[2][Grünen Woche.]
Der wird für viele Messebesucher, die ab Freitag in die traditionelle
Brandenburg-Halle 21a strömen, eine Überraschung sein. Denn der märkische
Dorfplatz mit seinen rustikalen Holzbuden, in denen Brandenburger Erzeuger
und Lebensmittelverarbeiter seit 1991 ihre regionalen Leckereien
präsentiert hatten, ist passé. Abgelöst wird es von einem neuen Design,
„mit klaren Linien und einheitlicher Farbgebung in Rot-Weiß“: Die 73
Ausstellerplätze werden sich zehn Tage lang rund 300 Betriebe teilen.
Ein Stück Heimatverlust, das Vogels Amtsvorgänger Vogelsänger mit einer
Ausschreibung schon 2016 auf den Weg gebracht hatte. „An dieses Design muss
ich mich erst noch gewöhnen“, bekannte der Präsident des Brandenburger
Bauernverbandes, Henrik Wendorff. Auf diese Weise hat zugleich der tiefe
politische Einschnitt in der Brandenburger Agrarpolitik, wenn auch
ungeplant, sein öffentliches „Outfit“ bekommen: Seit Gründung des
Bundeslandes 1990 befand sich das Landwirtschaftsressort immer in Händen
der SPD, zuletzt unter Führung von Minister Jörg Vogelsänger – eine Ära,
die mit der Landtagswahl vom 1. September zu Ende ging.
In die neue Zuständigkeit sind die Grünen vergleichsweise geräuschlos
hineingewachsen, obschon die politische Latte im Wahlkampf hoch gehängt
war: „Die Agrarwende ist eines unserer politischen Kernanliegen“, stellte
Vogel vor dem Urnengang in Aussicht. Die Vorstellungen von einer
„ökologischen, nachhaltigen, regionalen und bäuerlichen Landwirtschaft“
sollen nun in die Realisierung kommen. Auch dem Ausverkauf Brandenburger
Agrarflächen an Finanzinvestoren soll mit einem „Agrarstrukturgesetz“ der
Riegel vorgeschoben werden.
## Umstellung des Berliner Kantinenwesens
Vorher soll, so sieht es der Koalitionsvertrag vom Dezember vor, „bis
spätestens 2021 ein agrarstrukturelles Leitbild im Rahmen eines umfassenden
Dialogprozesses mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand,
zivilgesellschaftlichen Gruppen, Wissenschaft und Verwaltung“ erarbeitet
werden.
Zweites großes Ziel ist die verbesserte Verknüpfung des
landwirtschaftlichen Produktionsraums Brandenburg mit dem Absatzraum
Berlin. Hier reicht sich die Agrarwende im Flächenland mit der
Ernährungswende in der Metropole quasi die Hand – was tendenziell dadurch
begünstigt wird, dass sich jetzt die beiden zuständigen Ministerien unter
grüner Leitung befinden. So ist es für die Umstellung des Berliner
Kantinenwesens auf mehr ökologische Kost von zentraler Bedeutung, aus dem
Brandenburger Umland genügend Biolebensmittel geliefert zu bekommen, was
momentan noch nicht der Fall ist.
Allerdings sei ein förmlicher „Antrittsbesuch“ bei seinem Berliner
Amtskollegen und Parteifreund, Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt,
nicht eingeplant, sagte Vogel gegenüber der taz. „Wir werden uns aber
sicherlich auf der Grünen Woche treffen.“
Zufrieden mit der aktuellen Entwicklung zeigt sich Michael Wimmer,
Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau
Berlin-Brandenburg (FÖL), der in dieser Woche die neuesten Zahlen zum
regionalen Ökomarkt präsentierte. Danach hat sich der Gesamtumsatz des
regionalen Naturkost-Fachhandels, einschließlich Lebensmittel-Handwerk und
Lieferdienste, im Jahr 2019 auf über 580 Millionen Euro summiert. Das
Wachstum von 10 Prozent lag über dem des Vorjahrs von 7 Prozent.
## Biosupermärkte als Wachstumsmotor
Zentraler Wachstumsmotor sind die Biosupermärkte, deren Zahl sich in der
Region auf 131 erhöht hat (2018: 126). Aber auch im konventionellen
Lebensmittelhandel wachse der Bioanteil. Bei der Supermarktkette Rewe legte
die Bioeigenmarke einen Umsatzsprung von 20 Prozent hin, berichtet Wimmer:
„Bio plus regional gehört die Zukunft.“ Besonders in der Milchbranche
schlägt der Ökokurs durch.
Die vier größten Molkereien in Brandenburg – Münchehofe, Lobetal, Brodowin
und Velten – beziehen ihre Milch allesamt von ökologisch gehaltenen Tieren.
Inzwischen ist auch die ODW-Molkerei in Elsterwerda dazugekommen. „Wer in
Berlin-Brandenburg heute eine regionale Frischmilch sucht“, stellt Wimmer
fest, „der kommt an Bio nicht vorbei.“
Auch die Flächen für den ökologischen Landbau werden mehr. So erhöhte sich
die ökologisch bewirtschaftete Nutzfläche in Brandenburg im Jahr 2019 um
7.500 Hektar auf insgesamt 170.000 Hektar. Damit liegt der Ökoanteil an der
Brandenburger Agrarfläche jetzt bei 12,8 Prozent, was eine bundesweite
Spitzenposition darstellt. Die Zahl der Ökohöfe steigerte sich auf etwa
1.300.
Von den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag sei die „Auflage eines eigenen
Förderprogramms für den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten“ besonders
wichtig, betont der FÖL-Sprecher. Dabei gehe es darum, den Absatz
bestimmter Nahrungsmittel durch Änderungen in der gesamten Verwertungskette
zu steigern.
Derzeit läuft zum Beispiel ein Modellprojekt für Biokartoffeln aus
Brandenburg. Die Landwirte sollen nicht nur mehr anbauen, sondern auch
Schälmaschinen anschaffen – die Berliner Kantinen verlangen nach geschälter
Ware.
16 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.wir-haben-es-satt.de/
[2] https://www.gruenewoche.de/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Landwirtschaft
Grüne Woche
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Dirk Behrendt
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Sandra Scheeres
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