Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Protest von Landwirten: Drei Runden fürs Dorf
> Landwirte und Naturschützer reden derzeit beleidigt und gereizt
> aneinander vorbei. Eine Verständigung ist möglich, aber sie machen es
> sich zu einfach.
Bild: Bauern demonstrieren in Memmingen gegen die aktuelle Agrarpolitik
Bauern machen sich zu klein. Jene, die nur abwehren, anstatt Zukunft zu
entwickeln. Wer mit ihnen wieder ins Gespräch kommen will, muss sie
stärken, nicht schwächen. Falsch? Weil die Bauern mit ihren Traktoren vorm
Kanzleramt anrücken, grüne Kreuze in ihre Äcker rammen, sich mit vehementer
Rhetorik gegen [1][neue Bauernregeln] für Dünger und Ackerchemie stellen?
Sie sind es, die rauskommen müssen aus ihrer Jammerecke, aus ihrem Mimimi?
Nein, so einfach, so einseitig ist es nicht, so kommt niemand weiter. Der
Weg zur neuen Verständigung ist ein anderer. Ein Annäherungsversuch in drei
Schritten:
Schritt 1: Die Koteletts müssen mehr werden, die Kartoffeln dicker, die
Euter praller, die Eier zahlreicher – über Jahre haben sich die Landwirte
angehört, dass ihre Ställe und Äcker, ihre Höfe größer werden müssen. Wie
sie heute zumeist wirtschaften, war politisch gewollt. Und nun hören sie,
dass [2][die Gülle ihrer Tiere] das Grundwasser verseucht, ihr Mais den
Schmetterlingen das Leben schwer macht. Dass es ohne Bauern nicht geht,
dass das niemand will, dass Brüssel darum auch die Landwirte europaweit mit
rund 60 Milliarden Euro im Jahr unterstützt, dass dies mehr Wertschätzung
ist als für irgendeine Berufsgruppe sonst – das hören sie nicht.
Der Mensch ist eher darauf gepolt, das Negative zu hören. Darum kommt bei
vielen Bauern derzeit offenbar nur eins an: Meine Arbeit, abhängig von den
Launen der Natur, ausgesetzt dem ruinösen [3][Preiskampf der Discounter],
ist eh schon hart – und nun soll sie auch noch für den, nun ja, Arsch sein?
Der Frust auf dem Land ist riesig. Der Konflikt zwischen Landwirten und
Naturschützern wird sich nicht lösen lassen, ohne diese Enttäuschungen
anzuerkennen. So mancher kommt eh kaum noch über die Runden.
Das ist – Schritt 2 – nicht den einzelnen Bauern anzulasten, vielmehr
Ministern und Ministerinnen, die den tiefgreifenden Wandel auf dem Lande
über Jahre ignoriert, dem Wachsen und Weichen des Deutschen Bauernverbands
keine neuen, keine vorausschauenden Ideen entgegengesetzt haben. Die
meisten aus der Union. Aber auch Karl-Heinz Funke, SPD-Agrarminister um die
Jahrtausendwende, reimte lieber Sprüche wie „Oldenburger Butter hilft dir
rauf auf die Mutter“. Dabei hielten auch zu seiner Zeit schon viele Bauern
nicht mehr mit, sie konnten nicht immer mehr und billiger produzieren.
Allein in den vergangenen zwanzig Jahren haben rund 205.000 ihren Hof
dichtgemacht. Für ein Kalb gibt es heute weniger Geld als für ein
Meerschweinchen.
Vielleicht würde es helfen, wenn die Bundesregierung eingestehen würde: Es
tut uns leid, wir haben die Grenzen der Rationalisierungen auf dem Lande zu
spät erkannt. Was wir da jetzt auf einmal von euch verlangen, ist viel. Es
könnte das Reden über eine bessere, langfristige Strategie für das Leben
auf dem Lande leichter machen.
Zunächst braucht es überhaupt mal eine Vision, wo es hingehen soll. Ein
oder zwei Agrargipfel im Kanzleramt mit 40 Profis, die für Verbände, Länder
und so fort sprechen, reichen für eine Verständigung über die Zukunft auf
dem Lande aber nicht aus. Warum nicht Schritt 3 und eine, wie die Franzosen
sagen, große Debatte, ermöglicht von Bundes- oder Landesregierung?
Die wird in der derzeit so gereizten Gesellschaft natürlich nicht leicht.
Wer die Auseinandersetzungen zur Agrarpolitik auf Twitter, Facebook oder
Instagram anschaut, mag sich fragen, ob das funktionieren kann. Einer ätzte
dort vor wenigen Tagen erst in einem Video-Selfie über das „ganze Gesülze
und Geseiere“ der Politiker. Die zögen doch nur „weiter ihren Stiefel
durch, und was mit uns Bauern passiert, ist denen letzten Endes
scheißegal“. Ein anderer erklärte, „wir werden gerade ohne Verhandlungen
und ohne Mitspracherecht zum Schafott geführt“. Und weiter: „Wir müssen d…
Politik zeigen, dass man die Hand, die einen füttert, nicht straflos beißen
kann.“ Beide gehören zur Initiative [4][„Land schafft Verbindung“],
schaffen aber das Gegenteil.
Doch kleine Videos, in denen die „Was du nicht willst, das man dir tu, das
füg auch keinem andern zu“-Regel aufgehoben zu sein scheint, sind schnell
gedreht. Diskussionen im Netz haben ihre eigene Dynamik einer respektlosen
Rhetorik. Wer dort seine Wut rausrotzt, spricht noch lange nicht für alle.
Viele ticken anders auf dem Land. Das zeigt sich in den Internetkommentaren
auch, nur dringen die Gemäßigten seltener durch.
## Im besten Fall Respekt
Politikvertreter müssen darum andere Räume suchen, wenn sie einen
„nationalen Dialog“, wie ihn CDU-Bundesagrarministerin Julia Klöckner
angekündigt hat, ernst meinen. Das Feuerwehrhaus etwa, die Turnhalle, das
Rathaus, das Landratsamt vor Ort, wo sich die Menschen austauschen können,
die unterschiedlich mit dem Land zu tun haben, und einander tatsächlich
zuhören. Wo sich im besten Fall alle als Fachleute respektieren:
Umweltverbände die Bauern als Experten für Nahrungsmittelproduktion, Bauern
die Umweltschützer als Kenner von Klima, Wasser, Boden, beide die Politiker
als Fachleute für nötige Regelungen, die Städter als Verbraucher und jeden
als Steuerzahler. Wo das „Ich mache alles richtig, die anderen
spinnen“-Denken aufbricht.
Erste Runde: Verständnis. Denn natürlich lässt sich niemand gerne
reinreden, und in kaum einen Beruf wird so viel reingeredet wie in den
eines Bauern. Nur: Um was geht es genau? Sie stört der Begriff
„Massentierhaltung“? Okay. Welches Wort dann? Und: Warum gehen Verbraucher
zum Discounter, aber fordern Umweltauflagen, die die Landwirte Geld kosten?
Oder: Der Schwund der Biodiversität ist eindeutig, wissenschaftlich
abgesichert wie der menschengemachte Klimawandel, doch wie groß ist der
Anteil der Nahrungsmittelproduktion? Zweite Runde: Zukunft. Wo soll es
hingehen? Dritte Runde: Umbau. Wer kann was leisten und wo sind die
Grenzen?
Es wäre ein Angebot, Politik mitzumachen, Ideen einzubringen, Projekte zu
entwickeln und sich nicht klein zu machen, sondern: groß.
17 Jan 2020
## LINKS
[1] /Nabu-Chef-Krueger-ueber-Bauernproteste/!5655019
[2] /Runde-Tische-statt-Bauerndemo/!5643627
[3] /Psychostress-auf-dem-Bauernhof/!5323988
[4] /Initiative-Land-schafft-Verbindung/!5656430
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Düngemittel
Landwirtschaft
Schwerpunkt Pestizide
Bauernverband
Landwirtschaft
Landwirtschaft
Bienen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bauernverbandschef über Proteste: „Für viele gehört Fleisch dazu“
Landwirte sollen nicht weniger Tiere halten, meint Bauernverbands-Chef
Rukwied. Sie sollen mehr Strom aus Gülle produzieren, um Treibhausgas
einzusparen.
Initiative „Land schafft Verbindung“: Großagrarier führt Bauernprotest an
Dirk Andresen ist an einem überdurchschnittlich großen Agrarunternehmen
beteiligt. Dennoch glaubt er, für alle Bauern sprechen zu können.
Grüne Woche in Berlin: Jetzt geht’s um die Öko-Wurst
Für Brandenburg liegt die Zukunft im Ökolandbau. So sieht es der neue grüne
Landwirtschaftsminister Axel Vogel – und besucht die Grüne Woche.
Protest vorm Agrarministerium: Glyphosat-Honig: Süß und giftig
Zum Auftakt der grünen Woche demonstrieren ImkerInnen gegen Pestizide. Der
Anlass: Honig eines Betriebs aus Brandenburg ist vergiftet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.