Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gourmetfood aus invasiven Arten: Einfach aufessen!
> Tierarten von anderen Kontinenten bedrohen das heimische Ökosystem. Ein
> Gourmet-Start-up sagt ihnen den kulinarischen Kampf an.
Bild: Kommt AUS Louisiana – und IN den Topf: der Rote Amerikanische Sumpfkrebs
BERLIN taz | Sie überwinden in Frachtflugzeugen und Schiffen kontinentale
Grenzen. Oft kommen sie als blinde Passagiere, immer wieder aber werden sie
auch als Haus- und Nutztiere importiert und büxen dann aus. „Invasive
Arten“ nennt man Tier- und Pflanzengattungen, die ihr ursprüngliches
Habitat erweitern und, fast immer mit menschlicher Hilfe, andere Ökosysteme
besiedeln – und dort mitunter heimische Arten bedrohen.
Invasive Arten, die in Deutschland als störend empfunden werden, sind
Reptilien wie die Nordamerikanische Schmuckschildkröte, das sind Pflanzen
wie der Götterbaum und der Japanische Staudenknöterich, und das sind
mehrere Krebstiere, darunter die Chinesische Wollhandkrabbe, der
Kamberkrebs und der Rote Amerikanische Sumpfkrebs.
Letztgenannter ist eigentlich heimisch im Golf von Mexiko und der
Mississippi-Niederung, besonders gern im US-Bundesstaat Louisiana, fühlt
sich aber auch in Berlin wohl und dort besonders im Tiergarten und im
Britzer Garten, einem Park im Süden der Stadt. So wohl fühlt sich der
Sumpfkrebs dort, dass er bleiben und sich fortpflanzen will, wie alle
Lebewesen, die schöne Orte finden.
Und so vermehrt sich der Krebs nicht nur rasant, sondern vertilgt außerdem
Schnecken und Regenwürmer en masse, worunter wiederum die Artenvielfalt und
Bodenbeschaffenheit leiden. In seiner tief dunkelroten Farbe ein ganz
ansehnlicher Zeitgenosse, aber eben für heimische Tiere eine bedrohliche
Plage – und dann wieder auch ein Krebs, der einigen Menschen gut schmeckt.
Als fest und zart zugleich wird das Fleisch beschrieben, frisch und
hummerähnlich.
## „If you can’t beat them, eat them“
Manche seiner Fans hat die Tatsache, dass die Krebse einerseits stören und
andererseits schmecken, auf eine Idee gebracht: „If you can’t beat them,
eat them“. Wenn wir die invasiven Arten nicht verdrängen können, sollten
wir sie aufessen! Das sagten sich vor knapp zwei Jahren die
Zukunftsforscherin Juliane Bublitz, der Gastronom Andreas Michelus und der
Unternehmensberater Lukas Bosch und gründeten ihr Unternehmen, das sie –
Vorsicht, Wortspiel – „Holycrab“ nannten, um „Essen für“ – Vorsich…
ein Wortspiel – „Plagitarier“ zu machen.
Zu jeder Gründungsgeschichte gehört eine Gründungslegende, und so erzählt
Bublitz von einem abendlichen – das ist wichtig – Glas Wein, das sie mit
ihrem Verlobten Lukas Bosch trank, im Hinterkopf eine [1][seit 2018 in
Berlin für den Flusskrebs vorliegende Fanggenehmigung]. Wenn man ihn fangen
kann, dann kann man ihn auch in einen Kochtopf werfen und essbar machen,
ganz simpel eigentlich.
Daraus entstand die Idee, „hyperlokale Gourmet-Street-Food“ zu machen, für
Holycrab gewannen die beiden den Gastro-Gründerpreis 2019 und noch weitere
Auszeichnungen, bei einem „Crabfest“ brachten sie, die sich in Berlin
ziemlich sicher im Bezirk Mitte rumtreiben, dann die ersten
Streetfood-Delikatessen auf die Straße.
Solche Auftritte sind wichtig in der Szene, außerdem veranstaltet Holycrab
Dinner-Events und bietet Caterings an. Das Hyperlokale wird dabei ernst
genommen, für den Berliner Markt müssen tatsächlich nur Krebse aus Berlin
das Leben lassen. Derzeit sind die Gründer mit möglichen Partnern im
Gespräch, das Catering-Konzept auf den kompletten deutschsprachigen Raum
auszudehnen – serviert wird dann, was regional rumkrabbelt.
## Mit invasivem Krebsfleisch
„Es braucht schon etwas Neugier, um sich darauf einzulassen“, sagt Bublitz.
Hat man die Schale aber geknackt, lässt sich das Innere in Varianten
servieren: In einer „Hauptstadt-Bouillabaisse“, mit Nudeln als „Pasta
Frutti di Plage“, in Spitzkohl-Cannelloni, als Sandwichfüllung, als Beilage
zum Wildkräutersalat, an Kartoffelstampf mit geröstetem Blumenkohl und auch
als Fingerfood in Form von „Crabs ’n’ Cripples“ – Flusskrebs mit krum…
nicht normschönem Gemüse. So kommen invasiv und hässlich zusammen und
schmecken dann auch noch.
Es scheint, als habe das Delikatessen-Trio einen guten Zeitpunkt für seine
Geschäftsidee gefunden. Zum einen sind die Kategorien von „eklig“ und
„essbar“ in einem fundamentalen Wandel begriffen: Insektenburger haben Rewe
erobert, jeder Asienreisende war schon mal im Kontakt mit Würmern, und auch
Algen sind nicht erst seit gestern als Nahrung der Zukunft bekannt. Zum
anderen ist da der Trend, sich lokal und klimabewusst zu ernähren.
Invasive Arten auf den Speiseplan zu holen, ist eine ideale Möglichkeit
dafür. Und tut ausnahmsweise nicht mal besonders weh.
Das ist auch das, was Bublitz seit dem Abendwein mit ihrem Verlobten
beschäftigt hat: Nachhaltigkeit soll nicht als etwas empfunden werden, das
zwingend Verzicht bedeutet. Auch sie findet die Doppelmoral problematisch,
mit der wir Fleisch essen, obgleich es kein Geheimnis ist, wie es
hergestellt wird, bei Holycrab proklamieren sie aber nicht die vegane
Lösung.
„Flexitarismus“ ist ihr Ansatz, wenn es darum geht, wie sich die – und
PflanzenMenschheit dauerhaft, gesund und schmackhaft ernähren kann: mit
geringem, aber bewusstem Konsum von Fleisch, dessen Herkunft und Produktion
im Fokus steht. Gegensätze vereinen, das ist es, was für Geschäftsführer
Bosch wichtig ist: „Wir werden nicht müde vorzuführen, dass invasive, aber
auch heimische Arten, die kulinarisch in Vergessenheit geraten sind, zwei
widersprüchliche Attribute in sich vereinen, die für die gehobene
Gastronomie wahnsinnig spannend sind: Regionalität und Exotik – und damit
Exklusivität.“
## Nilgans, Nutria und Waschbär
Nun machen Krebse allein auf Dauer aber nicht satt. In den letzten Monaten
seien sie stark in Richtung Haute Cuisine geschwenkt und hätten ihr
invasives Repertoire um andere Fleischsorten erweitert, sagt Bublitz. Zum
Beispiel mit der „Hooligans“, das ist Nilgans, fermentierter Spitzkohl,
Kartoffelpüree und gequollener Senf. Oder mit „New, Try us“, das ist Nutria
– eine südamerikanische Riesennagerart, die schon zu DDR-Zeiten als
Delikatesse galt. Bei Holycrab wird die Nutria im Taco mit Kürbis, Quitte
und Frisée serviert, dürfte sich also von seiner sozialistischen
Zubereitungsart entfernt haben.
Für ein anderes Pelztier haben sie bei Holycrab hingegen einiges an Kritik
eingeheimst: Waschbär. Unter dem Titel „Wasch-Boar“ gibt es ein Wildgulasch
vom Wildschwein und Waschbär mit Gerste und Kräutercreme. Wie bei beinahe
allen Tieren, an deren Anblick auf dem Teller wir nicht gewöhnt sind,
scheiden sich die Geister: die einen finden Waschbären süß, weil pelzig und
katzenhaft, die anderen eklig, weil fremd, wild und überhaupt ungewohnt.
Schmecken soll sein Fleisch übrigens ganz ähnlich wie Reh – das hat auch
Kulleraugen, aber als Teil der Speisekarte ist es voll akzeptiert.
Als nächstes will man sich bei Holycrab die Pazifische Auster vornehmen,
die sich seit Jahren im Wattenmeer sammeln lässt. Und sogar der Japanische
Knöterich hat seinen Platz im Menü gefunden – als Praline. Die soll leicht
nach Rhabarber schmecken, meint Bosch, de facto hat sie auch ein klein
wenig etwas von grünem Spargel. Der Weg, den das Holycrab-Team geht, zeigt,
dass Schlemmen nicht per se verwerflich ist. Man sollte dabei nur nicht
alles um sich herum vergessen.
10 Mar 2020
## LINKS
[1] /Berliner-Fischer-ueber-invasive-Krebsart/!5624794
## AUTOREN
Juliane Reichert
## TAGS
Gourmetküche
invasive Arten
Waschbären
Essen
invasive Arten
Niedersachsen
invasive Arten
Schwerpunkt Stadtland
Krebse
invasive Arten
Waschbären
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nacktschnecken im Garten: Eine Armada des Schleims
Nach dem Ende der Dürrejahre melden sich die Wegschnecken zurück. Sehr zum
Leidwesen Berliner HobbygärtnerInnen. Ein Bericht aus der Kampfzone.
Nutria-Jagd in Niedersachsen: Nager profitieren vom Klimawandel
Die Ausbreitung der Nutrias erreicht Rekordzahlen, vor allem in
Niedersachsen und Bremen. Das liegt auch an milden Wintern.
Waschbären-Plage: „Bejagung allein hilft wenig“
Waschbären haben sich in der Region Berlin-Brandenburg stark vermehrt. Der
Wildtierexperte des Berliner Senats, Derk Ehlert, erklärt warum.
Waschbären in Berlin: Ein dickes Fell
Wo es viel Futter gibt und gute Verstecke, ist er nicht weit weg. Der
Waschbär ist ein Zuwanderer, dem es fast schon zu gut gefällt in der
Großstadt.
Berliner Fischer über invasive Krebsart: „Das ist mir zu viel Pulerei“
In Berlin breitet sich der Amerikanische Sumpfkrebs aus, für manchen eine
Delikatesse. Klaus Hidde fängt die Tiere, isst aber lieber Schweinebraten.
Amerikanischer Sumpfkrebs in Berlin: Invasoren einfach aufessen
Ausgesetzte nichtheimische Wildtiere bedrohen das ökologische
Gleichgewicht. Eine Art soll jetzt die Berliner Gastronomie bereichern.
Invasive Arten: Ausweitung der Kampfzone
Eingewanderte Waschbären verbreiten sich in Deutschland rasant. Weil sie
bedrohte Tierarten gefährden, müssen sie weg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.