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# taz.de -- Nacktschnecken im Garten: Eine Armada des Schleims
> Nach dem Ende der Dürrejahre melden sich die Wegschnecken zurück. Sehr
> zum Leidwesen Berliner HobbygärtnerInnen. Ein Bericht aus der Kampfzone.
Bild: Raspelzunge im Einsatz: Eine Wegschnecke bei der Arbeit
Berlin taz | Im Frühjahr keimt große Hoffnung: Ich rufe 2024
höchstpersönlich zum „Jahr des Gartens“ aus. Schluss mit der
unambitionierten Hobbygärtnerei, diesmal mache ich Ernst – ein paar
Zucchini wuchern lassen, kann schließlich jeder.
Ich besorge mir Literatur, zimmere neue Hochbeete, ersetze die verrottenden
Stiele von Harke und Grabegabel. Außerdem besorge ich neben den gängigen
bunten Tütchen aus dem Gartencenter ein paar erlesene Sämereien im
Internetspezialhandel: alte Möhrensorten von Gelb bis Dunkellila, scharfe
grüne Thai-Chilis, nicht hybriden Zuckermais.
Der Auftakt ist furios: Der schon Anfang März gesäte Spinat gedeiht
prächtig. Wir essen und essen und verschenken noch ein paar Pfund an
Freunde. Aber das ist noch gar nichts. Die Vorfreude auf eine reiche Ernte
wächst zusammen mit den übrigen Pflänzchen im Frühbeet.
Und dann kommen sie: rostbraun oder in giftigem Orange, langsam, aber sehr,
sehr gefräßig. Seitdem wächst nur noch das Bild der Verwüstung, das die
Nacktschnecken in den Beeten hinterlassen. Anfangs fehlen hier und da ein
paar Blattränder, dann raspelt die schleimige Armada komplette Reihen
junger Radieschen über Nacht weg und hinterlässt nur winzige Strünke.
Immerhin: Auch angesichts des Verlustes ist Gärtnern lebenslanges Lernen.
Ich lerne aus eigener Anschauung, dass Nacktschnecken manche Pflanzen links
liegen lassen, vor allem die einst aus der Neuen Welt eingeführten, wie
Kartoffeln, Tomaten oder Paprika. Dann lerne ich, dass das völliger
Blödsinn ist: Nachdem sie den Wirsing durchlöchert und den Salat
entblättert hat, macht sich die Bagage über die vermeintlich immunen
Bestände her. Nur den Mais verschmäht sie bislang.
Das hätte ich natürlich vorher wissen können: „Bei Nahrungsknappheit,
beispielsweise durch hohe Populationsdichten, frisst die Spanische
Wegschnecke nahezu alle Pflanzen“, heißt es auf Wikipedia. Die
Netzenzyklopädie, die ich jetzt zu Rate ziehe, klärt mich auch darüber auf,
dass die Spanische Wegschnecke – so bis heute der gängige deutsche Name des
kriechenden Unheils – nicht aus Spanien und auch nicht aus Portugal stammt,
wie der lateinische Name Arion lusitanicus vermuten lässt.
Korrekter ist da schon die komplizierte Bezeichnung Arion lusitanicus
auct., non Mabille = Arion vulgaris. Das bedeutet, dass die Art nicht
identisch ist mit der im 19. Jahrhundert vom französischen Biologen Jules
François Mabille klassifizierten und harmlosen Portugiesischen Wegschnecke.
Deshalb wird die ruchlose Wirbellose von der Wissenschaft jetzt nur noch
als „gewöhnlich“ (vulgaris) angesprochen.
## Kriechspuren jenseits der Mauer
Trotzdem gelten die vulgären Schleimer in Mitteleuropa als Neozoon, als
eingewanderte Spezies, denn sie treibt erst seit den 1950er Jahren ihr
Unwesen bei uns. Woher genau sie kam, wenn nicht von der iberischen
Halbinsel, ist bis heute unklar. Vermutet wird mittlerweile ein
ursprünglich sehr begrenztes Verbreitungsgebiet in Südwestfrankreich – bis
der europäische Handel mit Agrargütern ihre Gelege über den Kontinent
verteilte. In der ehemaligen DDR soll sie sich erst nach der Wende
weiträumig verbreitet haben.
Jetzt ist sie jedenfalls da und versaut KleingärtnerInnen die Ernte. Und
dieses Jahr ist es besonders schlimm, das werden die meisten bestätigen,
die versuchen, ein paar Quadratmeter Erde zu bestellen. Aber warum?
Klimawandel? Zu wenig Frosttage im Winter? Ich hole mir Rat bei der Person,
die in animalischen Angelegenheiten nie um einen Rat verlegen ist: Derk
Ehlert, Wildtierexperte der Senatsumweltverwaltung.
Nicht die milden Wintermonate seien die Hauptursache für den Massenansturm
von Arion vulgaris, sagt Ehlert: Vor allem die leicht
überdurchschnittlichen und ziemlich regelmäßigen Regenfälle im vergangenen
Jahr und auch der reichliche Niederschlag im Frühjahr hätten das
reproduktive Potenzial der Schnecken deutlich erhöht. In den trockenen
Jahren davor seien HobbygärtnerInnen in dieser Hinsicht verwöhnt worden –
„in Anführungsstrichen“, wie Ehlert betont, denn für ihn sind die Schneck…
ein Teil der Natur. „Von ‚Plage‘ zu sprechen, finde ich unpassend. Auch
wenn man die Tiere nicht mag.“
Und, Überraschung: Das vermeintlich beispiellose Schneckenaufkommen findet
der Experte gar nicht außergewöhnlich. Bevor 2018 die große Dürre
einsetzte, seien meist genauso viele unterwegs gewesen. Ehlert, ein immer
positiv denkender Mensch, freut sich lieber über das vorläufige Ende der
Durststrecke („Schauen Sie mal aus dem Fenster, endlich haben die Bäume
wieder normales Laub!“), als die schwindenden Erträge von Berliner
TeilzeitlandwirtInnen zu beklagen. Immerhin schadeten die Wegschnecken
weder der Vegetation im Allgemeinen, noch stellten sie eine Konkurrenz für
andere, seit Langem hier heimische Schneckenarten dar.
Aber beerdige ich deswegen sang- und klanglos meine
Selbstversorgungsfantasien? Natürlich nicht. Ich nehme den Kampf auf – und
lerne weiter. Zum Beispiel, dass die meisten Hausmittelchen für die Tonne
sind. Kaffeesatz oder Kalk, Eierschalen oder Sägespäne um die Beete
streuen? Kann man vergessen. Es gibt [1][da ein schönes Youtube-Video], in
dem jemand eine entsprechende Versuchsanordnung geschaffen hat. Fazit: Wenn
auf der anderen Seite saftige Salatblätter locken, pflügen die muskulösen
Kriecher ohne jedes Zögern durch die Streu.
Angeblich helfen Hochbeete. Wer sagt’s den Schnecken? Salz beschert den
Tieren einen qualvollen Tod, was nicht gut ist, und außerdem geht’s den
Pflanzen nach dem Gießen dann irgendwann genauso. Schneckenkorn? Besser
nicht, sagt Derk Ehlert. Das Zeug ist zwar zugelassen, aber immer noch
Gift, das auch andere Tiere beeinträchtigen kann.
## Enten helfen. Nicht
Ein ebenso abwegiger wie populärer Tipp: Laufenten mieten. Haben alle schon
mal von gehört, aber nie wirklich darüber nachgedacht. Richtig ist, dass
die lustigen Vögel zu den wenigen Fressfeinden gehören, die die übel
schleimende Schneckenart hat. Aber es hat Gründe, dass es so wenige
Entenvermietungen gibt. Zum Beispiel brauchen die Tiere für einen halbwegs
artgerechten Lebensstil einen ausreichend großen Teich.
Den habe ich sogar, und zwar einen sehr schönen: mit Seerosen,
Schwertlilien, Libellen, Fröschen und Molchen. Auf all das würden die Enten
scheißen – wortwörtlich. So steht es auf der Webseite eines der wenigen
realen Entenvermieter. Er empfiehlt, das Teichwasser einmal in der Woche zu
erneuern. In einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mag das angehen,
nicht in einem naturnah gestalteten Garten.
Von wegen naturnah. Wer wilde Ecken und Streifen im Garten belässt –
insgesamt eine ausgezeichnete Idee –, räumt auch der gemeinen Wegschnecke
jede Menge Rückzugsmöglichkeiten ein. Nach jedem Schauer beobachte ich, wie
sich der nächste Stoßtrupp in Zeitlupe aus dem Schutz von Kräutern und
Steinen, wo sie ihre Gelege verstecken, auf den Weg zu meinen
Kulturpflanzen macht.
Was zumindest zeitnah funktioniert, ist das Absammeln der Schnecken, sobald
sie den abendlichen Tau oder die Nässe nach dem Regenguss nutzen, um sich
an die Setzlinge heranzurobben. Ich benutze dazu mittlerweile Handschuhe,
denn auch wenn mich der Schleim nicht ekelt, dauert es ewig, ihn von der
Haut zu schrubben.
Und dann? Es soll Menschen geben, die kein Problem damit haben, ein Pfund
lebender Schnecken mit kochendem Wasser zu übergießen. Ich kann das nicht.
Andere setzen den Klumpen fern des eigenen Gartens aus oder leeren das
Sammeltöpfchen in die Biotonne. Was ich so tue, verrate ich hier nicht –
irgendjemand würde mit Sicherheit Anstoß daran nehmen. Sagen wir: Ich gebe
den Biestern eine Chance.
## Was hilft: Sternburg Pils
Aber auch die Bierfalle habe ich schon eingesetzt – die funktioniert immer
zuverlässig. Dass ihr unwiderstehliches Aroma noch mehr Schnecken aus dem
direkten Umfeld anzieht, mag sein, aber so lange ihr Weg in dem kleinen mit
Sternburg Pilsener gefüllten Behälter endet, macht das ja keinen
Unterschied. Natürlich stelle ich ihn nicht direkt neben meine
schutzbedürftigen Pflanzen.
Spätestens jetzt sind wir bei der Ethikfrage: Darf ich die possierlichen
Tiere aus dem Leben reißen, nur weil sie meinem Chinakohl nach dem Leben
trachten? Ist die Schnecke weniger wert als der Regenwurm, der dem
Gärtnernden zuarbeitet? Andererseits sind auch Mücken bei genauem Hinsehen
ein Wunder der Natur, und bei denen nehme ich wenig Rücksicht, wenn sie
sich auf meinem Nacken niederlassen. Vermutlich leiden Wirbellose nicht im
selben Sinne wie uns näher verwandte Tiere.
Gut fühlt es sich trotzdem nicht an. Im kommenden Sommer werde ich die
einzig wirksame und gewaltfreie Methode perfektionieren: den Schneckenzaun.
Die Kunststoffstreifen mit scharf abgeknicktem Rand sind für Arion vulgaris
tatsächlich kaum zu überwinden – solange sie halten. Um stabil und
lückenlos zu bleiben, bedarf es einiger Bastelarbeit. Dem Gärtner wird eben
nichts geschenkt.
Aus der Mitte des Schlachtfelds ziehe ich einen der wenigen Überlebenden.
Das Radieschen ist schwach auf der Brust und hat winzige Bissspuren. Es
schmeckt vorzüglich. Kann man den Schnecken ihren Appetit verdenken?
5 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=BCV5Fx_rgMw
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
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