| # taz.de -- Gewerkschafterin über inklusive Arbeit: „Zeigen, dass wir es ern… | |
| > Gewerkschafterin Annelie Buntenbach sieht nach zehn Jahren | |
| > UN-Behindertenrechtskonvention kaum Fortschritte. Sie fordert mehr Druck. | |
| Bild: David Völzmann bei seiner Tischlerausbildung: Die UN-BRK fordert einen i… | |
| taz: Frau Buntenbach, seit zehn Jahren, seit dem 26. März 2009, gilt in | |
| Deutschland die [1][UN-Behindertenrechtskonvention]. Das Deutsche Institut | |
| für Menschenrechte, das die Einhaltung überwachen sollte, | |
| [2][veröffentlichte in der vergangenen Woche eine recht betrübliche | |
| Bilanz]. Wie fällt denn Ihre für den Bereich Arbeitswelt aus? | |
| Annelie Buntenbach: Leider auch nicht anders als mau. Es gibt kleine | |
| Fortschritte bei der inklusiven Ausbildung und beim Anteil | |
| schwerbehinderter Menschen in Unternehmen und Verwaltung. Aber wenn man | |
| sieht, dass gleichzeitig schwerbehinderte Menschen seltener in | |
| Arbeitsmarktmaßnahmen gefördert werden als noch vor Unterzeichnung der | |
| Konvention und die Arbeitslosenquote von schwerbehinderten Menschen | |
| deutlich hinter der allgemeinen Entwicklung hinterherhinkt, dann sind das | |
| einfach schlechte Nachrichten. Gerade der erste Arbeitsmarkt ist bei Weitem | |
| nicht inklusiv. | |
| Stattdessen arbeiten inzwischen sogar [3][mehr Menschen in | |
| Behindertenwerkstätten als noch vor 10 Jahren]. Gemäß | |
| UN-Behindertenrechtskonvention müssten diese Sonderstrukturen aufgelöst | |
| werden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert auf dem Weg dahin | |
| die schrittweise Anpassung an reguläre sozialversicherungspflichtige | |
| Arbeitsverhältnisse. Das müsste doch im Sinne der Gewerkschaften sein oder? | |
| Ich sehe das kritisch. Wir brauchen die Werkstätten weiterhin, das ist eine | |
| wichtige sozialpolitische Maßnahme, um nicht erwerbsfähigen Menschen eine | |
| Beschäftigung zu ermöglichen. Entscheidend ist, dass Menschen da nicht auf | |
| Dauer stecken bleiben. Aus den Werkstätten müssen viel mehr Brücken in | |
| reguläre Arbeit gebaut werden, das klappt leider immer noch viel zu selten. | |
| Aber in den Werkstätten bekommen Menschen in der Regel keine 200 Euro für | |
| ihre Arbeit. Ist das mit dem gewerkschaftlichen Grundsatz der guten Arbeit | |
| vereinbar? | |
| So sehr mir als Gewerkschafterin die Einführung des Mindestlohns als | |
| generelle Untergrenze plausibel erscheint – bei den Werkstätten wäre der | |
| Schaden zu groß. Wenn man den Mindestlohn dort einführt und damit reguläre | |
| Arbeitsverhältnisse vergleichbar zum ersten Arbeitsmarkt schafft, dann | |
| kommt es auch in den Werkstätten zu einem Auswahlprozess bei den | |
| Arbeitskräften, bei dem Schwächere auf der Strecke zu bleiben drohen. Im | |
| Moment stehen die Werkstätten allen offen und sind damit ein Schutzraum, | |
| auf den viele angewiesen sind. | |
| Aber wie soll denn der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt gelingen? Vor | |
| allem bei den privaten Unternehmen hat sich die Beschäftigungsquote | |
| schwerbehinderter Menschen in den vergangenen zehn Jahren quasi gar nicht | |
| verbessert. | |
| Das stimmt und es kann nicht sein, dass nach wie vor so viele Unternehmen | |
| entweder gar keine schwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen oder nicht so | |
| viele, wie ihnen die Quote vorgibt. Da stehlen sich die Arbeitgeber immer | |
| noch regelmäßig aus ihrer Verantwortung. Wir schlagen vor, dass die | |
| Ausgleichsabgabe, die sie zahlen müssen, wenn sie keine oder nur wenige | |
| Menschen mit Behinderungen einstellen, so deutlich erhöht wird, dass sie | |
| nicht mehr aus der Portokasse bezahlt werden kann, sondern einen realen | |
| Impuls für Beschäftigung setzt. Wir müssen zeigen, dass wir es ernst | |
| meinen. | |
| Also mehr Strafe statt auf Einsicht hoffen? | |
| Für Einsicht ist es nie zu spät, aber gehofft und gewartet wurde ja lange | |
| genug, es ist längst Zeit für ein wirksames Instrument. Aber das ist nur | |
| das eine. Zum anderen müssen wir die Unterstützungsleistungen deutlich | |
| intensivieren – in der Ausbildung und beim Übergang in den ersten | |
| Arbeitsmarkt, auch aus den Behindertenwerkstätten. Das „Budget für Arbeit�… | |
| das es seit vergangenem Jahr gibt, kann da ein wichtiger Schritt sein. Es | |
| bleibt abzuwarten, wie praxistauglich das ist. | |
| Vor zehn Jahren kannte außer WissenschaftlerInnen wohl kein Mensch den | |
| Begriff der Inklusion. Wie ist heute die Reaktion in den Betrieben? | |
| Das hat sich gut entwickelt. Das liegt vor allem daran, dass die | |
| Schwerbehindertenvertreter in den Betrieben einfach einen guten Job machen | |
| und im Zuge des Bundesteilhabegesetzes noch einmal mit mehr Rechten | |
| ausgestattet wurden, die ihnen mehr Gewicht und Anerkennung verschaffen – | |
| zum Beispiel bei der Freistellung und bei Fortbildung der | |
| Schwerbehindertenvertretungen. Es gibt auch noch einen zweiten Punkt, der | |
| mehr ins Bewusstsein gerückt ist: Viele der Beeinträchtigungen sind ja | |
| nicht angeboren, sondern werden zum Beispiel durch Arbeit verursacht. Das | |
| gilt oft auch für psychische Erkrankungen. Die Diskussion darüber, was | |
| passieren muss, um Arbeitnehmer vor Druck, Stress und anderen psychischen | |
| Belastungen zu schützen und dauerhaftes Ausscheiden zu vermeiden, wird | |
| heute in den Betrieben viel intensiver geführt. | |
| Wie steht es denn um die Inklusion bei den Gewerkschaften selbst – wie | |
| präsent sind Menschen mit Behinderungen bei Ihnen? | |
| Es gibt bereits große und sehr aktive Arbeitskreise der Menschen mit | |
| Behinderungen in den Gewerkschaften. Doch gerade angesichts der Alterung | |
| der Gesellschaft wird es noch offensichtlicher, dass Arbeitsmarkt und | |
| Gesellschaft endlich inklusiver werden müssen und auch die Gewerkschaften | |
| hier gefordert sind: in der Interessenvertretung im Betrieb und in der | |
| eigenen Organisation. | |
| 26 Mar 2019 | |
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| [1] https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konventio… | |
| [2] /UN-Behindertenrechtskonvention/!5579449 | |
| [3] /Top-Ten-der-vernachlaessigten-Themen/!5482859 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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