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# taz.de -- Gewalt in der DR Kongo: Zwei Männer, ein Krieg
> Seit Jahren kennen sich die Militärchefs Evariste Somo und Sultani
> Makenga. Die Widersacher verbindet eine gemeinsame Geschichte.
Bild: Militärgouverneur Evariste Somo am 10. Februar in Nord-Kivu
Kampala taz | Der Frontkommandeur bricht in Tränen aus. Die Verantwortung,
die ostkongolesische Millionenstadt Goma gegen Rebellen zu verteidigen,
der ständige Druck der Vorgesetzten in der weit entfernten Hauptstadt, der
Frust seiner unterbezahlten Soldaten, die Einsamkeit in den langen Nächten
an der Front – das alles lastetet schwer auf seinen Schultern.
An jenem Abend im Spätsommer 2012, es ist sein 39. Geburtstag, macht sich
Evariste Somo am Ufer des malerischen Kivu-Sees bei einer Flasche Whisky
Luft über seine Ängste und Sorgen. Er ist zu jener Zeit dafür zuständig,
Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma vor den anrückenden Rebellen der M23
(Bewegung des 23. März) zu verteidigen.
Die Schützengräben am Fuße des mächtigen Nyiragongo-Vulkans sind Somos
Zuhause. Sein Gegenspieler, M23-Militärchef Sultani Makenga, schläft nur
wenige Kilometer nördlich auf einem der zahlreichen Vulkanhügel, ebenso nah
bei seinen Kämpfern, ebenfalls im Schlafsack hinter Sandsäcken.
Kriegsgestählt und entschlossen gibt der scheue Rebellenchef Makenga kaum
Interviews, zeigt sich wenig in der Öffentlichkeit. Unter seinen Kameraden
gilt er als einer, der sich nur seinen engsten Gefährten öffne, dann aber
einen guten Humor habe – selbst in schweren Zeiten. In einem seiner
seltenen Interviews erklärt er damals der taz: „Mein Leben ist Krieg, meine
Ausbildung ist Krieg und meine Sprache ist Krieg.“ Schon 2012 war die M23
im Ostkongo auf dem Vormarsch und besetzte sogar kurz die Millionenstadt
Goma. Der Krieg endete 2013 mit einer Niederlage der M23, aber 2021 brach
er wieder aus.
Diesmal ist die M23 stärker. Ende Januar 2025 haben die Rebellen Goma
[1][erneut eingenommen], wieder angeführt von Sultani Makenga. Was von der
Regierungsarmee in Nord-Kivu übrig ist, steht nun 200 Kilometer weiter
nördlich, in der Distrikthauptstadt Beni, erneut unter dem Kommando von
Evariste Somo. Makenga und Somo kennen sich schon ein halbes Leben lang.
Ihre Lebenswege haben sich mehrfach gekreuzt. Sie sind fast gleich alt,
beide stammen aus Nord-Kivu, beide haben dieselben Kriege durchlebt –
anfangs sogar auf derselben Seite.
In Beni, wo Somo heute residiert, wurde er 1975 geboren. Der junge Mann aus
der Tembo-Ethnie, der sich gern als „Eva“ vorstellt, schloss sich nach
seinem Jurastudium der Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für
Demokratie) an. Die RCD wollte 1998 Kongos damaligen Präsidenten
Laurent-Désiré Kabila stürzen und mit Unterstützung Ruandas und Ugandas
ganz Ostkongo beherrschen.
Auch Makenga diente damals in der RCD. Geboren 1973 in den Masisi-Bergen
nahe Goma wuchs er als Kind auf der Farm seiner Tutsi-Eltern auf, musste
Kühe hüten und ging nur wenige Jahre zur Schule. 1990 schloss er sich
Ruandas Tutsi-Guerilla an, die im Exil in Uganda unter dem heutigen
ruandischen Präsidenten Paul Kagame entstanden war. Nachdem der Hass auf
Tutsi in Ruanda 1994 im Völkermord an über 1 Million Menschen gipfelte,
floh die dafür verantwortliche Hutu-Regierung nach Ostkongo. In Ruanda
übernahm Tutsi-Rebellenführer Kagame die Macht und integrierte seine
Kämpfer in Ruandas neue Armee, darunter auch den Kongolesen Makenga.
Sein großer Traum, so sagen es seine engsten Gefährten, ist es bis heute,
wieder auf den Almen seiner Vorfahren in Masisi seine Kühe zu hüten und
seine drei im ruandischen Exil geborenen Kinder auf seiner Farm aufwachsen
zu sehen. Als Ruandas neue Armee 1996 im Ostkongo einrückte, um die
flüchtigen Völkermordtäter zu jagen, war Makenga als Zugführer ganz vorn
mit dabei. Er kannte jeden Hügel, jeden Schleichweg. Er kommandierte
schließlich sogar die Kompanie, die im Mai 1997 die ferne Hauptstadt
Kinshasa einnahm und Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila an die Macht
hievte.
## Der Frieden hielt nicht lange
Nur gut ein Jahr später warf Kabila Ruandas Truppen wieder aus dem Land und
damit auch die kongolesischen Tutsi in ihren Reihen. Sie blieben aber im
Ostkongo und gründeten die RCD. Als RCD-Bataillonskommandant bekämpfte
Makenga nördlich von Goma die ruandischen Hutu-Völkermörder, die sich neu
aufgestellt hatten und Ruanda angriffen. In jener Operation starb sein
Vorgesetzter, dessen Funk-Signalcode er zum Andenken übernahm: „B5“ – un…
diesem Kriegsnamen ist Makenga bis heute bekannt.
Doch in der Rebellenorganisation RCD gab es Verwerfungen, die Schutzmächte
Ruanda und Uganda zerstritten sich, es kam zur Spaltung. Makenga wurde
angeschossen und war außer Gefecht. Somo schloss sich der Fraktion RCD-K/ML
in seiner Heimatstadt Beni an und wurde Assistent von dessen Anführer Mbusa
Nyamwisi. Mit einem Friedensabkommen und dem Abzug aller ausländischer
Armeen ging der Kongokrieg 2003 zu Ende. Alle Rebellen wurden in Kongos
neue Armee integriert, auch die jungen Offiziere Somo und Makenga. Somo
besuchte Militärakademien in Belgien und Frankreich und studierte an der
Marineakademie in Kiel.
Makenga hingegen desertierte gleich mehrfach. In Kongos neuer Armee galt
er, der in Ruandas Armee gedient hatte, als potenzieller Verräter, wie auch
viele andere Tutsi. Tutsi-General Laurent Nkunda startete 2004 erneut einen
Aufstand und nahm Makenga mit. In Nkundas Rebellion stieg Makenga zum
stellvertretenden Stabschef auf. Sie eroberten erneut weite Teile des
Ostkongo – doch proklamierten Anfang 2009 den überraschenden
Friedensschluss. Ein neues Friedensabkommen am 23. März 2009 integrierte
die Tutsi-Rebellen in Kongos Armee. Makenga wurde in Süd-Kivus
Provinzhauptstadt Bukavu stationiert.
Der Frieden hielt nicht lange. 2012 desertierten die Tutsi-Soldaten erneut.
In Erinnerung an das ihres Erachtens nach nicht umgesetzte Abkommen von
2009 gründete Makenga in den Bergen an Kongos Grenze zu Ruanda die
„Bewegung des 23. März“ (M23) und zog erneut in den Krieg. Wenig später
standen sie kurz vor Goma, das von Somo verteidigt wurde.
## Fernsehen in Uganda
Jemanden wie Somo hätte Makenga damals in seinen Reihen gut gebrauchen
können. Somo galt in Kongos korrupter Armee als bescheidener Saubermann.
Als studierter Jurist verachtete er seine Kameraden, die Kriegsverbrechen
begangen, und machte sich damit auch bei seinen Vorgesetzten unbeliebt. An
jenem Sommerabend am Kivu-See 2012 erreichten Somo Textnachrichten vom
Feind: Makenga bemühte sich, den Armeekommandeur zum Überlaufen zu bewegen.
Doch Somo lachte nur: „Ich will mein Land verteidigen und nicht für Ruanda
arbeiten“, sagte er.
Somo haderte oft mit sich. Als im November 2012 Makengas Kämpfer mit Hilfe
Ruandas Somos Frontstellung überrannten, traf dieser wohl die schwierigste
Entscheidung seines Lebens: Er befahl seinen Truppen den Rückzug und
überließ Makenga kampflos Goma. Um jeden Preis wollte er vermeiden, dass
Zivilisten bei Gefechten sterben, erklärte er damals der taz. Dafür wurde
Somo von seinen eigenen Truppen fast gelyncht und nach Marokko ins
Krankenhaus ausgeflogen.
Diesmal, im Januar 2025, ist [2][Goma nicht kampflos gefallen]. Kongos
Regierungsarmee schoss gegen die M23 und Ruanda zurück, Milizen kämpften
weiter, tagelang herrschte Krieg in der Millionenstadt. Die UN zählten über
3.000 Tote. Aber [3][Makengas Kämpfer setzten sich durch].
Makenga hatte viel durchgemacht in den Jahren zwischen den beiden Kriegen.
Als die M23 2013 geschlagen wurde, ging er ins Exil. Jahrelang saß er
gelangweilt in einer Villa in Ugandas Hauptstadt Kampala und guckte
Fernsehen. 2017 schlich er sich heimlich davon, um eine erneute Rebellion
anzuzetteln. Auf Fotos sah man ihn in einer Bambushütte in den Vulkanbergen
an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, glücklich lachend.
## „Das ist total verrückt“
Mittlerweile ist Somo General, Makenga auch. Nach dem Rückschlag von 2012
machte Somo wieder Karriere. Zuletzt kommandierte er eine
Fallschirmjägertruppe, die 31. Brigade, von der EU mit rund 11 Millionen
Euro finanziert: Vom Erste-Hilfe-Kasten über Gummistiefel bis zum Funkgerät
ist Somos Truppe mit europäischem Geld ausgestattet, mit weiteren 5
Millionen Euro wurde die Trainingseinrichtung seiner Einheit in Kindu
renoviert. Somo gilt als einer der wenigen „sauberen“ Generäle in Kongos
Armee. Bis Ende Januar war er mit seiner Spezialeinheit an der nördlichen
Front gegen die M23 in Nord-Kivu stationiert.
Inzwischen erreichen ihnen keine Textnachrichten mehr von Makenga. Mehrfach
musste er sich zurückziehen. Dann nahm die M23 Ende Januar erneut Goma ein.
Nord-Kivus Gouverneur wurde erschossen. Neuer Militärgouverneur wurde
General Somo. Er soll nun Goma von Makenga zurückerobern.
„Das ist total verrückt“, schrieb Somo an jenem Morgen an die taz, als er
über seinen neuen Posten informiert wurde. Frisch rasiert, in
schusssicherer Weste und Flecktarnuniform betrat er kurz darauf das Rathaus
seiner Geburtsstadt Beni, das ihm nun als Gouverneurssitz dient. „Mein Büro
ist nicht in Beni“, erklärte er in seiner Antrittsrede. „Mein Büro ist in
Goma.“ Eine klare Kampfansage an seinen alten Widersacher.
Makenga bleibt davon unbeeindruckt. Der Rebellenkommandeur ist derzeit
damit beschäftigt, in Goma gefangengenommene Regierungssoldaten in die M23
zu integrieren. Auch Bukavu, wo er einst als Armeeoberst stationiert war,
steht nun unter M23-Kontrolle. An der nördlichen Front, in Richtung Beni,
wo Somo nun seinen Hauptsitz hat, wird seit einigen Tagen ebenfalls wieder
gekämpft.
21 Feb 2025
## LINKS
[1] /Auswege-aus-dem-Krieg/!6067340
[2] /Offensive-der-M23-Rebellen-in-Kongo/!6065298
[3] /Krieg-in-der-DR-Kongo/!6067055
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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