# taz.de -- Gewalt gegen Abschiebungsgegner: Schmerzgriffe nur mit Ansage | |
> Niedersachsens Oberverwaltungsgericht hat einen Polizeieinsatz gegen | |
> Abschiebegegner als rechtswidrig bestätigt. Die Begründung mutet skurril | |
> an. | |
Bild: Angekündigtes Reizgas ist okay | |
GÖTTINGEN taz | Ein äußerst ruppiger Einsatz der Göttinger | |
Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) im Frühjahr 2014 gegen | |
Abschiebungsgegner war rechtswidrig. Das hat das Niedersächsische | |
Oberverwaltungsgericht in einem am Donnerstag bekannt gemachten Urteil | |
festgestellt. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts | |
Göttingen vom Mai 2019 – und wies die Berufung der Polizei ab (Az 11 LA | |
359/19). | |
Am frühen Morgen des 10. April 2014 hatten mehrere Dutzende Menschen gegen | |
eine von der Stadt Göttingen angeordnete Abschiebung eines Mannes aus | |
Somalia protestiert. Sie hatten dabei zeitweise das Treppenhaus des | |
Wohnhauses blockiert, in dem der Flüchtling wohnte. Die Göttinger Polizei | |
räumte unter Einsatz erheblicher Gewalt den Treppenbereich. | |
Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschläge, Schmerzgriffe, | |
Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspray im geschlossenen Treppenhaus | |
verletzt worden, berichteten schon damals Augenzeugen der taz. „Die Polizei | |
drang nicht nur durch eine Parterrewohnung in das Haus ein, sondern sie | |
schleppte auch Dutzende zum Teil verletzte und bewusstlose Menschen durch | |
das Fenster des Kinderzimmers hinaus, indem sich sowohl Mutter als auch | |
Kind zu dieser Zeit befanden“, so die Rote Hilfe, ein Verein, der linke | |
Aktivisten unterstützt. | |
Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als „beängstigend und | |
vollkommen skrupellos“. Protestierende Menschen, die sich untergehakt | |
hatten, seien „geschubst, geschlagen, mit Schmerzgriffen traktiert und in | |
mehreren Fällen die Kellertreppe heruntergeworfen“ worden. Mehrere | |
Demonstranten hätten Beulen, Prellungen und Blutergüsse davongetragen. Die | |
Abschiebung wurde unmittelbar nach dem Einsatz abgebrochen. | |
## Reizgas und Schläge | |
Die zunächst vom Göttinger Verwaltungsgericht verhandelte Klage eines heute | |
28-jährigen Mannes richtete sich gegen den unmittelbaren und | |
unangekündigten Einsatz von Reizgas im Treppenhaus sowie den Einsatz | |
unverhältnismäßiger Gewalt in Form von Schmerzgriffen und Faustschlägen | |
gegen seinen Kopf. Durch den Reizgaseinsatz und die Schläge hatte der junge | |
Mann zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren und musste von Sanitätern | |
behandelt werden. | |
Dem Verwaltungsgericht zufolge muss die Polizei die bewusste und gewollte | |
Zufügung erheblicher Schmerzen im Rahmen der Anwendung unmittelbaren | |
Zwanges gesondert und konkret vorher androhen. Dies war nicht erfolgt, so | |
dass der Einsatz bereits aus formalen Gründen rechtswidrig war. | |
Diese rechtliche Einordnung hat das Oberverwaltungsgericht nun ausdrücklich | |
bestätigt und die Polizeidirektion in seinem Beschluss rechtlich belehrt. | |
Die Polizei hatte in ihrer Berufung gegen den Beschluss des | |
Verwaltungsgerichts noch von Formalismus gesprochen. | |
## Kein Urteil zur Verhältnismäßigkeit des Einsatzes | |
Zu der eigentlichen Frage der Verhältnismäßigkeit der Anwendung von Reizgas | |
in geschlossenen Räumen gegen eine größere Gruppe von Menschen und die | |
Anwendung von Schmerzgriffen sowie Faustschlägen, um die Blockade eines | |
Treppenhauses zu lösen, hatte sich schon das Verwaltungsgericht nicht mehr | |
äußern müssen. Für das Oberverwaltungsgericht war dies daher auch nicht | |
mehr entscheidungsrelevant. | |
„Wir hätten uns gefreut, wenn auch über die Frage der Verhältnismäßigkeit | |
der Gewalt der Göttinger BFE an diesem Tag hätte entschieden werden | |
können“, sagte Sven Adam, der Anwalt des 28-Jährigen. Dies werde nun | |
allerdings voraussichtlich das Landgericht Göttingen in der geplanten | |
Schmerzensgeldklage würdigen müssen. | |
20 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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