| # taz.de -- Gesine Schwan über Kevin Kühnert: „Einer der wenigen mit Format… | |
| > Die SPD-Größe Gesine Schwan sieht den Juso-Chef inzwischen als den | |
| > „eigentlichen Strategen“ der Partei. Machtpolitisch agiere Kühnert | |
| > rücksichtslos. | |
| Bild: Gesine Schwan kritisiert Kevin Kühnert | |
| taz: Frau Schwan, im Gegensatz zu einem Großteil des Parteiestablishments | |
| hatten Sie keine Wahlempfehlung zugunsten eines der beiden Duos für den | |
| SPD-Vorsitz abgegeben. Verraten Sie uns, wen Sie gewählt haben? | |
| Gesine Schwan: Das verrate ich nicht. Nur so viel: Die Entscheidung ist mir | |
| schwergefallen. Ich habe ja aus guten Gründen keine Wahlempfehlung | |
| abgegeben. Denn mich haben weder die einen noch die anderen überzeugt. | |
| Meine Skepsis beruht darauf, dass ich weder bei [1][Norbert Walter-Borjans | |
| und Saskia Esken] noch bei Olaf Scholz und Klara Geywitz eine plausible | |
| Strategie habe erkennen können, wie wir uns wieder einen gemeinsamen | |
| Überzeugungskern der Sozialdemokratie erarbeiten können, für den sich | |
| vereint streiten lässt. Da braucht man sowohl die Kenntnisse der Tradition | |
| als auch ein Verständnis für die Herausforderungen der Gegenwart und der | |
| Zukunft. Wie begründen wir eigentlich in dieser Welt [2][unsere | |
| Grundwerte]? Darum muss es gehen. | |
| Das klingt reichlich abstrakt. | |
| Das mag auf den ersten Blick sehr theoretisch-philosophisch abstrakt | |
| klingen, ist aber enorm wichtig. Ich glaube, dass die SPD erst dann wieder | |
| eine Chance hat, wenn sie sich auf der Höhe der geistigen Debatten unserer | |
| Zeit befindet. In den sechziger und siebziger Jahren war sie das. Im Moment | |
| ist sie das nicht. | |
| Man kann sich nicht nur mit politischem Handwerk befassen. Es reicht nicht, | |
| ein Investitionsprogramm,12 Euro Mindestlohn oder ein besseres Klimapaket | |
| zu fordern. Das ist ja alles richtig, aber eben nicht ausreichend. Ich | |
| wünsche mir eine Parteiführung, die in der Lage ist, gut argumentierend und | |
| mit weitem Horizont zu sagen, wohin sie diese Partei führen will. | |
| Das trauen Sie Walter-Borjans und Esken nicht zu? | |
| Das muss sich zeigen. Ihre Wahl war ein Votum gegen ein „Weiter so“, ganz | |
| klar. Es ging um ein Zeichen der Erneuerung. Die hat eine [3][Mehrheit der | |
| SPD-Mitglieder] Olaf Scholz nicht zugetraut. Bei ihm war tatsächlich nicht | |
| erkennbar, dass er einen Neuanfang will. Wer meint, immer recht zu haben, | |
| der ist nicht fähig, sich auch mal selbstkritisch zu hinterfragen. Dann | |
| kann er aber auch nicht eine Partei zusammenführen. | |
| Viele haben gesagt: Wir wissen nicht, ob Walter-Borjans und Esken das | |
| bringen. Aber da ist immerhin eine Chance. So deute ich das Ergebnis der | |
| Mitgliederbefragung. Da muss dann jetzt aber auch etwas von den beiden | |
| kommen. | |
| Von der Bundestagsfraktion über die Bundesminister bis hin zu diversen | |
| Ministerpräsidenten hat sich fast das gesamte Führungspersonal der SPD | |
| gegen sie ausgesprochen. Welchen Spielraum werden die beiden überhaupt | |
| haben? | |
| Ich glaube, dass sie keinen sehr großen Spielraum haben werden. Viel wird | |
| von Kevin Kühnert abhängen. Er ist nicht nur der Königsmacher, sondern auch | |
| der eigentliche Stratege und die eigentliche Autorität. | |
| Welche Rolle wird Kevin Kühnert künftig spielen? | |
| Das hat sich ja schon in dieser Woche angedeutet. Mit seinen öffentlichen | |
| Äußerungen zum Fortbestand der Großen Koalition hat er all jene beruhigt, | |
| die in der Groko bleiben wollen. Kühnert galt ja als Wortführer des | |
| NoGroko-Lagers. Das war schon sehr geschickt. | |
| Er geht allerdings das Risiko ein, dass er damit die Autorität der | |
| designierten Vorsitzenden tendenziell dementiert. Denn ihnen bleibt doch | |
| jetzt gar nichts anderes mehr übrig, als seiner Linie zu folgen. Das ist | |
| für mich ein Indiz dafür, dass Kühnert derjenige ist, der die eigentliche | |
| Autorität im Moment hat. Was selbstverständlich auch heißt, dass er viel | |
| Verantwortung auf sich lädt – und zwar für alle in der Partei und nicht nur | |
| für den eigenen Flügel. Man muss schauen, wie er damit umgeht. | |
| Haben Sie Zweifel, dass er damit umgehen kann? | |
| Kevin Kühnert ist ein sehr großes politisches Talent. Allerdings habe ich | |
| in den vergangenen Monaten dazugelernt, dass er komplexer ist, als ich | |
| gedacht habe. Das habe ich vorher nicht so angenommen. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Ich meine das in dem Sinne, dass er auch ohne allzu viel Rücksicht vorgeht, | |
| wenn es sich um Macht handelt. Viele finden es ja richtig, dass Politik so | |
| sein muss. Ich finde das nicht. Denn es sät Misstrauen, wenn der Eindruck | |
| entsteht, dass es nicht in erster Linie um Argumente geht, sondern um | |
| Machtstrategien. | |
| Der Spiegel orakelt bereits, Kühnert werde die SPD „schreddern“. | |
| Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich halte Kevin Kühnert nicht für | |
| einen Schredderer. Er ist nicht destruktiv. Kühnert denkt gut nach und kann | |
| auch gut argumentieren. Aber er ist natürlich noch sehr jung. Viele Gebiete | |
| der Politik hat er bisher nicht wirklich bearbeiten können. Da wird man | |
| einfach sehen müssen, wie er sich entwickelt. | |
| Was erwarten Sie von dem Parteitag am Wochenende? | |
| Parteitage haben immer ihre eigene Dynamik. Gleichwohl ist immer auch viel | |
| vorbestimmt und sehr viel unter Kontrolle. Organisieren konnte die SPD ja | |
| immer schon gut. Nach meiner Beobachtung sind die Bemühungen groß, dass das | |
| auch bei diesem Parteitag der Fall sein wird. Mir scheinen alle Weichen | |
| erst mal so gestellt, dass alles glatt geht und es keine problematischen | |
| Überraschungen gibt. | |
| Möglich ist, dass es einen Dissens bei den stellvertretenden Vorsitzenden | |
| gibt. Da könnten sich manche sagen, ihnen wird es etwas zu viel mit Kevin | |
| Kühnert, jetzt sollte er mal wieder ein bisschen leisetreten. Aber ich | |
| glaube, dass er es schon schaffen wird. Schließlich lässt sich schwer | |
| bestreiten, dass er einer der ganz wenigen ist, die Format haben. | |
| Und was wird aus der Groko? | |
| Ich glaube nicht, dass das Ende der Großen Koalition bevorsteht. Denn das | |
| wäre einfach analytisch derzeit sehr unsinnig. Aus meiner Sicht ist das | |
| keine Prinzipien-, sondern eine Abwägungsfrage. Ich glaube auch, dass die | |
| CDU das momentan nicht will. Die ist ja auch in einem ziemlich desparaten | |
| Zustand. Deswegen werden wir wohl erst mal mit dieser Koalition | |
| weitermachen. | |
| Aber haben nicht Walter-Borjans und Esken in ihrem innerparteilichen | |
| Wahlkampf versprochen, aus der Groko auszusteigen, falls die Union nicht zu | |
| weitreichenden Korrekturen bereit ist? | |
| Nun ja, zum einen ist schon während ihres Wahlkampfs deutlich geworden, | |
| dass die beiden sich da nicht so ganz einig sind. Zum anderen sind sie in | |
| ihren Äußerungen immer vorsichtiger geworden, je näher der Stichwahltermin | |
| rückte. Rote Linien aufzustellen ist immer eine Versuchung, aber eine ganz | |
| gefährliche. Denn was ist, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden? | |
| Es ist nicht gut, gewählt zu werden und kurz darauf die erste Niederlage zu | |
| kassieren. Dass sie das Risiko nicht eingehen wollen, kann ich gut | |
| verstehen. Die nun gefundenen Formulierungen im Leitantrag für den | |
| Parteitag sind sorgsam gewählt. | |
| Das heißt, es geht doch alles so weiter wie bisher? | |
| Nein, davon gehe ich nicht aus. Für die SPD kommt es nun zum einen darauf | |
| an, vernünftige weitere Projekte durchzubekommen. Zum anderen muss sie die | |
| Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode nutzen, die Vorstellung von einem | |
| sozialdemokratisch geführten progressiven Bündnis diesseits der Union | |
| wirkungsmächtig werden zu lassen. Das ist die große Chance, die die neue | |
| Parteiführung hat, denn sie ist unabhängig vom Kabinett. | |
| Es geht um eine kluge politische Balance: Distanz von der Regierung, aber | |
| gegenseitige Loyalität mit den sozialdemokratischen Kabinettsmitgliedern. | |
| Wenn wir nicht umgehend mit der Arbeit beginnen, die SPD wieder auf | |
| Vordermann zu bringen, wird es ganz trübe. | |
| 5 Dec 2019 | |
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| Pascal Beucker | |
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