Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gesetz zur Sterbehilfe: Die Falschen strafen
> Seit einem Jahr ist geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland verboten.
> Die Neuregelung schafft neue Probleme: Trifft sie die richtigen?
Bild: Eine Therapeutin hält in einem Hospiz in Stuttgart 2014 die Hand einer t…
„Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein
Gesetz zu machen.“ Dieser Satz des französischen Philosophen und Aufklärers
Montesquieu wurde letztes Jahr vor der Abstimmung im Bundestag über das
Sterbehilfegesetz, § 217 im Strafgesetzbuch, von Gegnern der Neuregelung
zitiert. Mit dem Zitat verwiesen sie auf die bestehende Gesetzgebung in
Deutschland, die sie für ausreichend hielten. Diese erlaubte sogenannte
passive Sterbehilfe, etwa durch Unterlassen von medizinischen Maßnahmen;
auch Beihilfe zum Suizid war nicht unter Strafe gestellt.
Am Ende setzten sich die Befürworter eines Verbots der Sterbehilfe durch.
[1][Seit 10. Dezember 2015 ist § 217 in Kraft.] Dessen erster Absatz: „Wer
in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu
geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Damit
ist Beihilfe zum Suizid strafbar, obwohl Suizid nicht strafbar ist.
Die zwei Sterbehilfeorganisationen Dignitas und Sterbehilfe Deutschland,
bei denen die Geschäftsmäßigkeit gegeben war, stellten ihre Tätigkeit in
Deutschland sofort ein, bieten sie von der Schweiz aus aber weiter an.
Jene, die das Sterbehilfeverbot befürworten, etwa die Deutsche Stiftung
Patientenschutz, befürchteten, dass Sterbehilfe ohne gesetzliche Regelung
missbräuchlich angewandt werden könnte. „Es ist gut, dass dem Tod aus den
Gelben Seiten ein Riegel vorgeschoben wurde“, sagt deren Sprecher Tim
Wallentin. Manche, darunter christliche Abgeordnete, betrachten Sterbehilfe
auch als Eingriff in die Schöpfung.
## Palliativmediziner sind verunsichert
Gegner indes warnten schon vor der Gesetzesverabschiedung davor, dass die
Palliativmedizin ebenfalls betroffen sein könnte. Denn der Gesetzestext ist
uneindeutig formuliert. Ist Sterbehilfe „geschäftsmäßig“, wenn sie auf
Wiederholung angelegt ist? Es gibt große Verunsicherung nicht nur bei
Betroffenen und Organisationen wie der Gesellschaft für humanes Sterben
oder dem Humanistischen Verband, sondern auch bei PalliativärztInnen sowie
Menschen, die in Hospizen arbeiten. Sie bieten Dienste für Sterbende an –
dazu kann auch gehören, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten –,
und sie tun es wiederholt. Wird etwa ein Krebsmedikament abgesetzt oder
Nahrung verweigert und geschieht dies im Wissen oder unter der
medizinischen Begleitung des Arztes oder Pflegers, begehen die Wissenden
nach § 217 womöglich eine Straftat.
Statistiken der Justizbehörden für 2016 liegen noch nicht vor. Es gibt
allerdings Ärzte, gegen die aufgrund von § 217 ermittelt wird. Etwa den
Palliativarzt Matthias Thöns aus Witten. Er soll einem Patienten, von
dessen suizidaler Absicht er gewusst habe, ein Medikament verabreicht
haben, das dieser in einer Überdosis einnahm, um zu sterben. „Wenn wir das
Gesetz ernst nehmen, können wir nur noch Medikamente für einen Tag
verordnen“, sagt Thöns. Mit diesem Gesetz könnten Ärzte keine
Bedarfsmedikamente mehr aufschreiben, die aber für die Leidenslinderung bei
palliativ betreuten Patienten mitunter notwendig sind, etwa wenn
Schmerzdurchbrüche kommen.
Thöns sagt, er kenne noch zwei Ärzte, gegen die wegen Verstoß gegen § 217
ermittelt werde. Er ist allerdings überzeugt, dass es zu keiner
Verurteilung kommen wird. Denn das, was man wollte, dass Schwerstkranke zu
Hause betreut werden, werde mit diesem Gesetz ad absurdum geführt. „Die
aber, die der § 217 treffen sollte, Dignitas und Sterbehilfe Deutschland,
die operieren nun von der Schweiz aus.“
## Es gibt Verfassungsbeschwerden
Gesetzliche Regelungen, die die ärztliche Sterbehilfe unter strengen
Bedingungen ermöglichen, gibt es in Europa nur in den Niederlanden, in
Belgien und Luxemburg. In der Schweiz ist Hilfe zum Suizid erlaubt. Ein
Recht auf bedingungslose Sterbehilfe gibt es nirgendwo. Einer Studie
zufolge haben etwa 4,6 Prozent der Verstorbenen im belgischen Flandern im
ersten Halbjahr 2013 Sterbehilfe in Anspruch genommen, 2007 waren es noch
1,9 Prozent.
Der neue Paragraf 217 in Deutschland steht in Kontrast zur großen Offenheit
in Sachen Sterbehilfe der Menschen in Deutschland. Ende Oktober wurden die
Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die von der Apotheken Umschau in
Auftrag gegeben wurde, veröffentlicht. Demnach können es sich drei Viertel
der Menschen hierzulande gut vorstellen, dass sie, wären sie unheilbar oder
tödlich erkrankt, leidend oder lägen sie im Sterben, ihr Leben mit
ärztlicher Hilfe beenden wollten. Fast 80 Prozent der Befragten halten es
für eine Frage der Menschenwürde, über Todesart und Todeszeitpunkt
bestimmen zu können.
Acht Parteien haben mittlerweile Verfassungsbeschwerde beim
Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz eingelegt – Einzelpersonen, Ärzte
und Organisationen. Innerhalb eines Jahres nach Verabschiedung ist das
möglich. Darunter ist das Ehepaar Kurt und Renate Sch., 75 und 72. Sie
wollen sich aufgrund ihres Alters und ihrer schweren Erkrankungen die
Option offenhalten, einen freiverantwortlichen ärztlich begleiteten Suizid
durchführen zu können.
Vertreten werden sie von dem Rechtsanwalt Robert Roßbruch. In der
Beschwerdebegründung argumentiert er, in einer liberalen und säkularen
Gesellschaft, die grundsätzlich auf Eigenverantwortung angelegt ist, könne
es nicht sein, dass der Staat mit Vorschriften in die Entscheidung eines
Menschen eingreife, wann und wie er sein Leben beendet. Das tangiere die
persönlichen Freiheitsrechte und diese beinhalteten auch die
Inanspruchnahme von Suizidassistenz. Griffe der Staat mit Vorschriften ein,
komme dies „einem fremdbestimmten Tod gleich, verbunden mit einem Eingriff
in den elementaren Bereich der Privatsphäre“.
18 Dec 2016
## LINKS
[1] /!5249033/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Sterbehilfe
Dignitas
Sterbehilfe Deutschland
Verfassungsbeschwerde
Palliativmedizin
Suizid
Sterbehilfe
Sterbehilfe
Sterbehilfe
Sterbehilfe
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Freitod-Medikamente: Autonomie am Lebensende
In Extremfällen ist der Bezug einer tödlichen Arznei jetzt legal. Das ist
ein Dammbruch – für die Geltung der Grundrechte.
BVerwG zu Patientenrechten: Freitod auf Rezept
Unheilbar Kranke können in „Extremfällen“ künftig ein Medikament zur
„schmerzlosen Selbsttötung“ erhalten. Das ist ein wegweisendes Urteil.
Aktive Sterbehilfe in Belgien: Erstmals lässt sich ein Teenager töten
Schon die Sterbehilfe für todkranke Erwachsene ist umstritten. Nun gibt es
in Belgien den ersten Fall eines sehr jungen Menschen, der mit ärztlicher
Hilfe starb.
Kommentar Sterbehilfe: Ende, aus, vorbei
Beihilfe zum Suizid wird strafbar. Wie Abgeordnete des Bundestags ihre
eigenen kruden Moralvorstellungen zur Staatsdoktrin erklären.
Bundestagsdebatte über Sterbehilfe: Vier Wege zu einem würdevollen Tod
Sterbehilfe – ja oder nein? Am Freitag wird über vier Gesetzesinitiativen
abgestimmt. Die WortführerInnen erläutern ihre Positionen in der taz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.