# taz.de -- Georg Pazderski und der gemäßigte Kurs: Vom Landeschef zum Hinter… | |
> Am Fraktionschef der AfD Berlin lässt sich ablesen, wie das gemäßigte | |
> Lager an Boden verliert. Pazderskis Widerstand gegen den Flügel | |
> scheiterte. | |
Bild: In der zweiten Reihe heißt bei der AfD zwischen Querdenkern: Georg Pazde… | |
BERLIN taz | Hinter den Kulissen hat Georg Pazderski sich vielleicht | |
bereits verabschiedet. In einem Chat schrieb er, wohl leicht resigniert: | |
„Ich stelle nahezu täglich fest, wie sich diese Partei immer weiter von | |
ihren Idealen entfernt. Ich habe nicht 41 Jahre diesem Land gedient, um | |
jetzt mit Neonazis, die es in ihrem Leben zu nichts oder wenig gebracht | |
haben, Seit’ an Seit’ zu marschieren.“ Den Auszug haben zwei AfD-Aussteig… | |
in dem Buch „Im Bann der AfD“ veröffentlicht. Die Autoren haben dafür | |
zusammen mit einem Stern-Redakteur Chats ab März 2020 unter anderem aus der | |
Telegram-Gruppe „Aktion Bundesvorstand“ mit rund 100 Mitgliedern | |
ausgewertet. | |
Pazderski hat das – im Vergleich zur extrem rechten Parteiströmung „Flüge… | |
– als gemäßigt geltende Lager um den Bundesvorstand von Jörg Meuthen auch | |
über diese Gruppe maßgeblich mitorganisiert. Die Chats und das Buch zeigen | |
neben der tiefen Spaltung der AfD, dass viele Mitstreiter*innen den | |
Kampf gegen den Flügel schon verloren glauben – nicht wenige liebäugeln mit | |
dem Parteiaustritt. | |
Pazderski, der 2019 noch Vorsitzender des Bundespartei werden wollte, | |
scheiterte damals [1][am Widerstand des Flügels]. Den Machtkampf um die | |
Spitzenpositionen in der Berliner AfD für die im September anstehende | |
Superwahl hat der 69-jährige pensionierte Bundeswehr-Oberst auch verloren: | |
Erst wollte er erneut auf [2][Platz 1 ins Abgeordnetenhaus], wurde dann | |
aber in einem bissig geführten Machtkampf in der Fraktion demontiert. | |
Schließlich zog er seine Kandidatur zugunsten seiner innerparteilichen | |
Widersacherin [3][Kristin Brinker] zurück. Diese hatte ihm schon Anfang des | |
Jahres mit Hilfe der Stimmen des Flügels das Wasser abgegraben im Kampf um | |
den Landesvorsitz. | |
Die politische Zukunft des ehemaligen AfD-Chefs steht damit auf der Kippe: | |
Zwar hat Pazderski ein Bundestagsmandat errungen – allerdings nur das auf | |
dem wackeligen vierten Platz der Landesliste. Er steht damit hinter Beatrix | |
von Storch, Gottfried Curio und Götz Frömming. Aktuell sitzt die AfD Berlin | |
zwar mit vier Abgeordneten im Bundestag, allerdings erzielt die | |
neoliberal-rassistische Partei derzeit in den Umfragen etwas niedrigere | |
Werte als bei der Bundestagswahl 2017 (9 bis 11 statt 12,7 Prozent). Es ist | |
also fraglich, ob Pazderski tatsächlich in den Bundestag einzieht. | |
## „Ins zweite Glied zurückstellen lassen“ | |
Während seiner Antrittsrede im Juni fing Pazderski an einer Stelle | |
bezeichnenderweise sogar an zu stoibern. Nach ein bisschen Gehaspel | |
versuchte er seine zunehmende Bedeutungslosigkeit umzudeuten: Man brauche | |
Köpfe, die sich bewährt hätten und zeigten, „dass sie sich auch ins zweite | |
Glied zurückstellen lassen, wenn es notwendig ist“, sagte Pazderski. | |
Gewählt wurde er trotzdem – wohl auch dank seiner angeblich gemäßigten | |
Rhetorik, die sich tatsächlich nur unwesentlich von der des Flügel | |
unterscheiden lässt (inklusive Opfermythos, „Deutschland muss gerettet | |
werden“, „politisch korrekte Zombies“ und, [4][besonders aktuell]: | |
„Klimawahn“). | |
Aber auch aus AfD-Perspektive ist Pazderskis politische Bilanz verheerend: | |
Die Abgeordnetenhausfraktion wäre in der vergangenen Legislatur unter | |
seiner Führung beinahe zerbrochen. Mitarbeiter*innen beklagten ein | |
vergiftetes Klima und den autoritären Führungsstil des pensionierten | |
Bundeswehr-Obersts. Es war die Rede von Mobbing, Burn-out und schlampigen | |
Finanzen. Der Landesverband wurde nach mehreren gescheiterten Parteitagen | |
nur noch von Notvorständen gelenkt. Im Juli des letzten Jahres gab es sogar | |
einen [5][offenen Brandbrief] gegen Pazderski von der jetzigen | |
Spitzenkandidatin und seiner Gegenspielerin Brinker, unterschrieben auch | |
von den Flügel-Leuten der Fraktion. | |
Und so ist Pazderskis Abgang auch ein Sieg des Flügels der AfD Berlin. | |
[6][Höcke-Fanboy Thorsten Weiß] wird wohl wieder in das Abgeordnetenhaus | |
einziehen, ebenso Jeanette Auricht, Rolf Wiedenhaupt, Carsten Ubbelohde und | |
Gunnar Lindemann. Brinker, die eigentlich als wirtschaftsliberal geltende | |
finanzpolitische Sprecherin und jetzige Spitzenkandidaten, versucht derzeit | |
gemäß der AfD-Wahlkampagne „Berlin. Aber normal“ das bürgerliche | |
Aushängeschild zu sein für die sich radikalisierende Partei. Sie versprach | |
allerdings vor ihrer hauchdünnen Wahl zur Vorsitzenden – unter dem Gejohle | |
der Flügel-Leute – alle einzubinden. | |
## Interview in geschichtsrevisionistischer Zeitschrift | |
Für diese Partei die Bürgerliche zu geben, fällt Brinker nicht immer | |
leicht: Der [7][Tagesspiegel] berichtete gerade, dass sie der | |
revisionistischen Zeitschrift Deutsche Geschichte vor rund einem Jahr ein | |
Interview gegeben hat. Herausgeber der Zeitschrift ist der wegen | |
Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilte Gert Sudholt. Noch dazu | |
soll der Interviewer, Christian Schwochert, enge Kontakte zur NPD | |
unterhalten. | |
Kristin Brinker bestätigte, dass der Mann trotzdem AfD-Mitglied sei und | |
sogar in einem Landesfachausschuss von ihr selbst mitgearbeitet hat. | |
Brinker gab sich in Erklärungsnot überrascht. Den Mitarbeiter habe man | |
entlassen, nachdem man Anfang des Jahres über dessen publizistische | |
Tätigkeiten Bescheid gewusst habe. | |
Auch angesichts dessen dürfte Pazderski mit einiger Bitterkeit auf die | |
Landesliste gucken, die er eigentlich anführen wollte. Auf taz-Nachfrage | |
wollte sich Pazderski aus dem Urlaub nicht zu seiner politischen Zukunft | |
äußern. | |
Klar ist jedoch: Im Bundestag dürfte es ihm nicht anders ergehen. Denn mit | |
Tino Chrupalla und Alice Weidel sind klar vom Flügel unterstützte Personen | |
die Spitzenkandidaten. Und das radikale Bundeswahlprogramm gibt sich nach | |
[8][Interventionen von Björn Höcke] auf dem Programmparteitag nicht mal | |
mehr die Mühe, einen bürgerlichen Anschein zu wahren – Dexit-, Querdenken- | |
und Abschottungsforderungen inklusive. | |
In seinem Telegram-Chat schrieb Pazderski mit Blick auf Chrupalla und Höcke | |
noch im September 2020: „Wir dürfen uns das Projekt AfD nicht von einem | |
Malermeister und einem Sportlehrer kaputt machen lassen.“ Ungünstige | |
Startvoraussetzungen, wenn es für Pazderski mit dem Einzug in den Bundestag | |
klappen sollte. | |
19 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Drohendes-Personal-Chaos-bei-der-AfD/!5642935 | |
[2] /Pazderski-kandidiert-fuer-die-AfD-Berlin/!5698506 | |
[3] /Neue-Parteichefin-der-AfD-Berlin/!5757819 | |
[4] /Flutkatastrophe-in-Deutschland/!5787354 | |
[5] /AfD-Berlin-rebelliert-gegen-Pazderski/!5694217 | |
[6] /Fluegel-Streit-der-AfD/!5606295 | |
[7] https://www.tagesspiegel.de/berlin/gespraech-mit-der-zeitung-deutsche-gesch… | |
[8] /AfD-Parteitag-in-Dresden/!5764727 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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