# taz.de -- Fußball in der Ukraine: Kritische Infrastruktur | |
> Das Land ringt um neue Regelungen zur Mobilisierung. Dass Fußballer bei | |
> der Einberufung Privilegien genießen, kommt nicht nur gut an. | |
Bild: Trauriger Ligaalltag: die Spieler von Dynamo Kyjiw und Obolon Kyjiw vor e… | |
LUZK taz | In der Ukrainer wird weiter Fußball auf hohem Niveau gespielt. | |
Trotz des Kriegs mit Russland und andauernder Bombardements, laufen die | |
Meisterschaften – [1][wenngleich ohne Zuschauer in den Stadien]. Und doch | |
hat der Krieg starke Auswirkungen auf den Fußball. So ist es wegen der | |
Wehrpflicht für die Spieler vieler Klubs nicht möglich, ins Ausland zu | |
reisen. Außerdem müssen etliche Teams damit rechnen, Spieler zu verlieren, | |
wenn diese zum Dienst in der Armee einberufen werden. | |
Bis vor Kurzem wurde versucht, eine öffentliche Debatte darüber, warum | |
bestimmte Fußballer nicht eingezogen werden, zu verhindern. Als der | |
Spielbetrieb in der zweiten Jahreshälfte 2022 wieder aufgenommen wurde, | |
hieß es von Seiten des Sports und der Politik, man wolle die Bevölkerung | |
zumindest ein wenig von den Schrecken des Krieges ablenken. | |
Getroffen wurde die Entscheidung [2][zum Restart auf allerhöchster | |
staatlicher Ebene]. Tatsächlich war es Wolodimir Selenski, der Präsident | |
der Ukraine, der im Alleingang angeordnet hatte, die Mobilisierung von | |
Fußballern während der Wettbewerbe zurückzustellen. Später allerdings | |
verschwand diese Anweisung aus allen offiziellen Dokumenten, mit der die | |
Wiederaufnahme des Spielbetriebs geregelt wurde. | |
Und so ist es letztlich einem Zufall geschuldet, dass bekannt wurde, wie | |
Fußballer der Mobilisierung entgehen können. Ende Dezember 2023 wurde | |
gemeldet, dass etliche Spieler des Erstligaklubs [3][Obolon Kyjiw] | |
Einberufungsbescheide zur Armee erhalten hätten. Alexander Resnitschenko, | |
der Manager von Obolon, erklärte daraufhin, dass die Kicker eigentlich | |
zurückgestellt worden seien, weil sein Klub den Status als eine Einrichtung | |
habe, die „für die Wirtschaft des Landes von entscheidender Bedeutung“ sei. | |
„Es ist doch so“, erklärte Resnitschenko, „dass man dann seine Mannschaft | |
gleich ganz aus dem Wettbewerb zurückziehen kann, wenn die Spieler | |
einberufen würden, ganz einfach weil dann keiner mehr da ist, der Fußball | |
spielen kann.“ | |
## Wachsender Unmut | |
Schnell verschwand dieses Statement über den Klub als „Unternehmen der | |
kritischen Infrastruktur“ wieder aus der öffentlichen Kommunikation von | |
Obolon. Doch die Äußerungen hatten bereits für Unmut bei vielen in der | |
Ukraine gesorgt. „Erzeugen die etwa Strom?“, fragten viele Ukrainer in den | |
sozialen Medien. | |
Andere machten darauf aufmerksam, dass Angehörige der Klubeigner oder | |
-manager Jobs als Trainer oder Betreuer angenommen hätten, um vor der | |
Einberufung sicher zu sein und ungehindert ins Ausland reisen zu können. | |
Auch wurde darauf hingewiesen, dass derartige Privilegien nur für Klubs der | |
Eliteliga, nicht aber für Zweit- und Drittligisten gelten. | |
Und so ist es nicht verwunderlich, dass etliche Klubs zum Gesetzesbruch | |
neigen, um in dieser Hinsicht auf Nummer sicher zu gehen. Im Herbst 2023 | |
wurde zum Beispiel bekannt, dass bei Prikarpatije Iwano-Frankiwsk, einem | |
Zweitligisten in der Westukraine, Spieler pro forma bei einem | |
Sicherheitsunternehmen angestellt wurden, um eine Einberufung zu | |
verhindern. | |
Ermittlungen haben ergeben, dass sieben Spieler des Geld für Dienste als | |
Objektschützer kassiert hatten, während sie nichts anderes taten, als für | |
ihren Klub Fußball zu spielen. Prikarpatije widersprach der Darstellung, | |
wonach Spieler kicken, während sie zur selben Zeit eigentlich Dienst bei | |
der Security schieben. Sie trügen echte Dienstkleidung und würden wichtige | |
Objekte in der Region bewachen. | |
## Verweigerte Auslandsreisen | |
Diskussionen über die Wehrgerechtigkeit im Sport kochten nun im Januar | |
wieder hoch. Da wurde dem Zweitligaklub Karpaty Lwiw von der Regierung | |
verboten, zu einem Wintertrainingslager nach Spanien zu reisen. Nun | |
bereitet sich der Klub in der Ukraine auf die Rückrunde der Meisterschaft | |
vor. Grundlage für die Entscheidung war eine Regelung, nach der es nur | |
Erstligisten erlaubt ist, im Ausland zu trainieren. | |
Die Einschränkungen der Reisefreiheit von Fußballern erscheinen vor dem | |
Hintergrund etlicher Fluchtgeschichten ins Ausland nachvollziehbar. Sie | |
haben das Vertrauen in die Klubs erschüttert. Da ist zum Beispiel die | |
Geschichte des 19-jährigen Nachwuchsspielers Alexander Rasputko von | |
Schachtar Donezk. Der ist seit dem Spiel seines Teams gegen Royal Antwerpen | |
in der Youth League der Uefa im vergangenem Oktober verschwunden. | |
Bei der Suche nach dem Spieler fand man nicht mehr als ein sorgfältig | |
zusammengefaltetes Trikot. Raspukto stammt aus der Stadt Horlivka im von | |
den Russen okkupierten Teil des Donezker Gebietes. Er hat all seine | |
Postings in sozialen Netzwerken gelöscht und beantwortet keine Anrufe mehr. | |
Über seinen Aufenthaltsort ist nichts bekannt. Unbestätigten Behauptungen | |
zufolge könnte er sich in Russland aufhalten. | |
Eine andere Fluchtgeschichte hat ihren Ursprung im zentralukrainischen | |
Eisenerz- und Stahlrevier Kryvbas. Der Social-Media-Redakteur und ein | |
Fotograf des Klubs waren mit der Frauenmannschaft von Kryvbas Kryvyi Rih im | |
September des vergangenen Jahres nach Schweden zu einem | |
Qualifikationsturnier für die Champions League gereist und setzten sich | |
dort ab. | |
Um die Regulierung von Auslandsreisen sowie den Umgang mit Einberufungen | |
muss sich nun der neue Präsident des ukrainischen Fußballverbands Andrij | |
Schwetschenko kümmern. Der steht für das gleiche Recht für alle. Dazu | |
jedenfalls hat er am Vorabend seiner Wahl am 25. Januar bei einer Befragung | |
Auskunft gegeben. | |
Aus dem Russischen: Andreas Rüttenauer | |
3 Feb 2024 | |
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[3] https://fc.obolon.ua/ | |
## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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