# taz.de -- Ukrainische Fußball-Liga: Alarm auf der Tribüne | |
> In der Ukraine wird wieder vor Zuschauern gekickt. Auch wenn das zur | |
> Ablenkung dienen soll, ist der Krieg bei den Spielen allgegenwärtig. | |
Bild: Duell vor Zuschauern im Stadion: Riwnes Witalij Dachnowskyj im Zweikampf … | |
RIWNE taz | Die Zuschauer sind zurück in den Stadien der Ukraine. Zwei | |
Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine gab es erste | |
Spiele, bei denen wieder Zuschauer zugelassen waren. Eine der ersten | |
Partien, zu denen Fans zugelassen wurden, fand in Riwne in der Westukraine | |
statt. „So viele Zuschauer haben wir das letzte Mal 2019 vor der | |
Coronapandemie im Stadion gesehen“, meint Alexander Kutscherenko, Fußballer | |
beim Erstigaklub Weres Riwne. In der Tat galten für die Spiele der Saison | |
2020/21 noch Coronabeschränkungen. Dann flogen schon Raketen und Bomben auf | |
ukrainische Städte. | |
Als im August 2022 der Spielbetrieb wieder aufgenommen worden ist, wurden | |
Fangesänge bei Weres Riwne vom Band eingespielt – so wie man es auch zu | |
Coronazeiten gemacht hat. Vor zwei Wochen nun wurden die Spieler vor der | |
Partie gegen den FK Kolos, einen Dorfklub aus der Gegend um Kyjiw, wieder | |
von echten Fans mit ihren Trommeln im Stadion begrüßt. Doch nicht überall | |
konnte man sich dazu durchringen, Fans wieder zuzulassen. Beim Spiel Dnipro | |
gegen Minaj in Frontnähe ließen die örtlichen Behörden keine Zuschauer zu. | |
Das war wohl auch besser so: das Spiel musste zweimal wegen Luftalarm | |
unterbrochen werden. | |
Etliche Fußballklubs fordern schon seit der Wiederaufnahme des | |
Spielbetriebs, zumindest einen Teil der Tribünen mit Zuschauern besetzen zu | |
dürfen. Ums Geld geht es dabei nur am Rande. Die Einnahmen aus | |
Eintrittsgeldern decken gerade einmal die Betriebskosten am Spieltag | |
selbst. | |
Die Vereine wollten einfach, dass die Stadien in Kriegszeiten nicht still | |
und leer sind. Sie erinnerten daran, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj | |
[1][den Restart der Liga] als Versuch einer teilweisen Rückkehr zum | |
„normalen Leben“ bezeichnet hatte. Weres Riwne gehörte von Anfang an zu den | |
Klubs, die sich für Fans auf den Tribünen ausgesprochen haben. | |
## Bedenken der Militärs | |
Es ist der erste Verein in der Ukraine, der eine Aktiengesellschaft | |
gegründet hat, dessen Anteile frei gehandelt werden können. Weres hat es | |
sogar geschafft, einen Teil seines neuen Stadions mit 10.000 Sitzplätzen | |
während des gerade tobenden Krieges fertigzustellen. „Wenn große Konzerte | |
stattfinden dürfen, Theater und Kinos geöffnet sind, warum gibt es dann ein | |
Zuschauerverbot im Fußball?“, fragte Klub-Präsident Igor Nadein und | |
stellte fest: „Fußballer spielen für ihre Fans.“ | |
Vor allem Militärs und Beamte aus der Verwaltung hielten nichts von solchen | |
Ideen. Einige Spielorte in der Eliteliga wie Dnipro, Kryvyi Rih, | |
Olexandrija, Odessa, Kyjiw oder Poltawa können von russischen Raketen | |
innerhalb von 10 bis 15 Minuten erreicht werden. Spieler und Schiedsrichter | |
lassen sich dann schnell und problemlos in einen Luftschutzbunker | |
evakuieren. Wie aber ist das dann bei mehreren Hundert oder gar Tausenden | |
Fans möglich? Diese Frage stand im Raum. | |
Und doch kam man Nadein und anderen Klubpräsidenten entgegen. Im Winter | |
2024 hat das Sportministerium neue Regelungen für die Durchführung von | |
Sportwettkämpfen erarbeitet. So soll ein Luftschutzkeller nicht weiter als | |
500 Meter vom Stadion entfernt liegen. Er sollte in 10 Minuten in normalem | |
Schritttempo zu erreichen sein. Es werden nur so viele Zuschauer | |
zugelassen, wie in dem Schutzraum Platz haben. Werden mehr als 1.000 | |
Zuschauer erwartet, müssen alle Fans durch Metalldetektoren ins Stadion | |
geschleust werden. Und ohne Zustimmung der örtlichen Militärverwaltung geht | |
sowieso gar nichts. | |
Weres Riwne durfte 1.200 Tickets für das Spiel gegen Kolos verkaufen. Die | |
Karten für umgerechnet 5 Euro waren schnell verkauft. Die Spieler meinten | |
nach der Partie, sie seien überwältigt gewesen von der Stimmung. Der Krieg | |
hat natürlich auch seine Rolle gespielt an jenem Nachmittag. | |
## Gedenkminute für die Gefallenen | |
Die Spieler liefen in Nationalflaggen gehüllt aus dem Tunnel aufs Feld und | |
wie mittlerweile vor jedem Spiel wurde die Nationalhymne gespielt. Auch | |
eine Gedenkminute für die im Krieg mit Russland Gefallenen wurde | |
abgehalten. Den symbolischen Anstoß führte der ehemalige Weres-Torhüter | |
Swjatoslaw Sirota aus. Der wurde an der Front verwundet und lief in Uniform | |
aufs Feld. [2][Auftritte von Veteranen] gehören bei Spielen in der Ukraine | |
mittlerweile zum Alltag. | |
Doch in Riwne gab es noch mehr Symbolik. In der 24. Minute sang das ganze | |
Stadion das Lied „Two Colors“, die inoffizielle Hymne des Klubs, [3][dessen | |
Farben – wie im Lied – Rot und Schwarz sind]. Rot und Schwarz, das waren | |
auch die Farben der Ukrainischen Aufständischen Armee, die sich in den | |
1940er Jahren zunächst den deutschen Besatzern angeschlossen und später | |
gegen die Wehrmacht und die Sowjetarmee auch in der Gegend um Riwne für | |
eine unabhängige Ukraine gekämpft hat. Einen Luftalarm hat es gottlob an | |
diesem Tag nicht gegeben. | |
Am Ende hat Weres Riwne mit 0:2 gegen die Gäste verloren. Dennoch war sich | |
Jewgenyj Kutschin, der Pressesprecher des Klubs, nach dem Spiel sicher: | |
„Nächstes Mal werden nicht weniger Leute ins Stadion kommen als heute. Die | |
Leute vermissen Fußball.“ | |
Aus dem Russischen: Andreas Rüttenauer | |
12 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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