# taz.de -- Frauenfußball mit Investorinnen: Mit Spirit zur Revolution | |
> Der Investorinnenklub Viktoria Berlin will den Fußball der Frauen | |
> aufmischen. Gegen den Hamburger SV geht es nun um den Aufstieg in die | |
> Zweite Liga. | |
Bild: Revolutionärer Kick vor historischer Kulisse im denkmalgeschützten Vikt… | |
Aus der Distanz schaut es nach geregeltem Fußballalltag auf der | |
Carl-Schuhmann-Sportanlage ganz im Süden von Berlin aus. Etwa 12-jährige | |
Jungs vom FC Viktoria 89 Berlin haben hier gerade ein einseitiges Ligaspiel | |
ausgetragen. Der gegnerische Torhüter verlässt heulend den Platz. Jetzt um | |
19 Uhr ist das Frauenteam des Vereins mit Training auf dem Kunstrasen an | |
der Reihe. Mit Fußballalltag wollen diese Frauen jedoch nichts am Hut | |
haben. | |
„Revolution im Fußball“, so war vor etwa elf Monaten die Pressemitteilung | |
überschrieben, welche die Übernahme dieses Teams durch sechs Gründerinnen | |
verkündete. Als Ziel wurde ausgegeben, binnen fünf Jahren das Drittligateam | |
in die erste Bundesliga zu führen. Die formulierte Vision: „Nicht nur den | |
Fußball, sondern auch den Sport in Deutschland nachhaltig zu verändern.“ | |
Das Alleinstellungsmerkmal: Nur Frauen auch in der Führung sollen die | |
Sichtbarkeit und den Wert ihres Fußballs vorantreiben. Ein Gegenmodell zur | |
alltäglichen Praxis, bei der die hochklassigen Klubs immer [1][stärker am | |
Tropf der Männerprofivereine hängen]. | |
Es war ein perfekt getimter, forscher Auftritt direkt vor der Frauen-EM in | |
England, der obendrein von der Bekanntgabe prominenter Investorinnen in das | |
Projekt, wie etwa der ehemaligen Schwimmerin [2][Franziska van Almsick], | |
Fernsehmoderatorin Dunja Hayali oder der ehemaligen Fußballtorhüterin und | |
-funktionärin Katja Krauss, unterfüttert wurde. | |
Ein knappes Jahr später ist dieser Schwung auf dem | |
Viktoria-Trainingsgelände immer noch zu spüren. Geschäftsführerin und | |
Mitgründerin Lisa Währer, einst bei der Marketingagentur Jung von Matt | |
Sports tätig, sagt: „Was wir im letzten Jahr auf die Beine gestellt haben, | |
das ist für mich immer noch Wahnsinn.“ | |
## Zehnfache Zuschauerzahl | |
Die Energie hier ist nach einer perfekten Saison, Meisterschaft und | |
Pokalsieg, allein schon wegen des bevorstehenden Relegationsduells um einen | |
Platz in der zweiten Bundesliga gegen den Hamburger SV mit Händen zu | |
greifen. Am Sonntag muss Viktoria in der Hansestadt antreten, genau eine | |
Woche später fällt die Entscheidung im Rückspiel in Berlin. Zu sprechen | |
sind hier nur verletzte Spielerinnen, die einsatzfähigen haben schon seit | |
zweieinhalb Wochen Medienverbot. Die Spielerinnen, erklärt Währer, setzten | |
sich selbst schon genug unter Druck. | |
Für Dilara Agac hat diese Saison nur bis zur 13. Minute im ersten Spiel | |
gedauert – wegen eines Kreuzbandrisses. Aber ihre Begeisterung über die | |
Veränderungen im Verein mindert das nicht im Geringsten. Die Tage habe sie | |
mit ihren Eltern darüber gesprochen. Früher seien selbst gegen Union Berlin | |
nur 70 Zuschauer gekommen. Jetzt, seien es auch mal über 1.000. Im Schnitt, | |
sagt Währer, habe sich der Besuch verzehnfacht. | |
Das war bereits seit der ersten Partie so. Mit ihrer Herangehensweise | |
stellen sie bei Viktoria übliche sportliche Gesetzmäßigkeiten (erst der | |
Erfolg, dann die Aufmerksamkeit und Zugehörigkeitsgefühl) auf den Kopf. | |
Dank des medialen Powerplays der Gründerinnen war das Team schon eine | |
Marke, bevor der erste Ball gespielt wurde. Der Zulauf bei den Mädchenteams | |
ist mittlerweile so groß, dass Absagen erteilt werden müssen. | |
Diese noch nie erlebte Anerkennung, hebt Agac hervor, sei für sie das | |
Wichtigste. Angst, dass sie bei dem rasanten Fahrplan den Anschluss | |
verpassen könnte, hat sie nicht. Wenige Meter entfernt von ihr gibt gerade | |
die zweifache Weltmeisterin Ariane Hingst einem Kamerateam ein Interview. | |
Auch sie ist Gründerin und seit Mai als sportliche Geschäftsführerin voll | |
für den Verein im Einsatz. | |
„Ich wollte schon immer nach oben“, sagte die 21-jährige Agac, „jetzt ha… | |
ich die Möglichkeit, mit Viktoria dahin zu kommen. Das wäre ein Traum. Ich | |
bin sehr ehrgeizig.“ | |
## „Wollen niemand vor die Tür setzen“ | |
Investorenklubs haben nicht den Ruf, allzu viel Rücksicht auf persönliche | |
Schicksale zu nehmen. Fußballromantiker, räumt Lisa Währer ein, begegnen | |
der neuen Viktoria mit einer gewissen Skepsis. Bislang ist das Projekt aber | |
erstaunlich inklusiv. Vor der Saison wurde der Kader nur um fünf | |
Spielerinnen ergänzt. Für Viktoria entschieden hatten sich die | |
Gründerinnen, weil das Fundament bereits tragfähig war. Selbst im Falle | |
eines Aufstiegs möchte man das Team nur sparsam ergänzen. „Vonseiten der | |
Spielerinnen wollen alle mit an Bord bleiben, wir wollen niemanden vor die | |
Tür setzen“, sagt Geschäftsführerin Währer. | |
In einem ersten Durchgang haben 87 Investorinnen rund eine Million Euro | |
Kapital zur Verfügung gestellt. Genutzt werden die Mittel vornehmlich, um | |
die Bedingungen zu professionalisieren. Alle Spielerinnen erhalten erstmals | |
eine einheitliche Aufwandspauschale. Alejandr Pietro wurde als | |
hauptamtlicher Trainer eingestellt, nachdem man sich zwei Monate, wie | |
Währer erzählt, vergeblich um eine Frau bemüht hatte. Auch Viktoria muss | |
Kompromisse mit der Realität schließen. | |
Zudem wurde das Trainerteam um einen Videoanalysten ergänzt. Die | |
medizinische Betreuung wurde verstärkt. Die Laufwege der Spielerinnen | |
werden mit einem Trackingsystem analysiert, um die individuelle Förderung | |
zu optimieren. Währer sagt, man sei überzeugt, dass das Team selbst ohne | |
personelle Verstärkungen großes Verbesserungspotenzial habe. Gerade im | |
Athletikbereich sei noch viel Luft nach oben. | |
Auf diese Weise konnte Viktoria schon einen Verein [3][wie Türkiyemspor | |
Berlin] hinter sich lassen, der seit Jahren mit Nachhaltigkeit und großem | |
Ehrgeiz, aber wenig Geld den Frauenfußball vorantreibt. Aber kann man so | |
auch Frauenteams mit Männerprofilizenzverein im Hintergrund die Stirn | |
bieten, die eh schon professionelle Bedingungen haben und seit dem von der | |
EM 2022 in England ausgelösten Hype zunehmend Kapital in die Hand nehmen? | |
Union Berlin etwa, die in der Regionalliga Viktoria im Nacken saßen, haben | |
sich für kommende Saison deutlich verstärkt. | |
Hertha BSC wird dort künftig ebenfalls mitmischen. Die nicht vorhersehbare | |
dynamische Entwicklung des Frauenfußballs im vergangenen Jahr setzt | |
Viktoria trotz der großen Erfolge dieser Saison unweigerlich unter Druck. | |
Sollte der Aufstieg gegen den HSV nicht gelingen, wird es nächste Saison | |
gewiss nicht einfacher werden. | |
Lisa Währer reagiert recht entspannt auf die Frage. „Es würde definitiv | |
vieles einfacher machen, wenn wir den Aufstieg schon jetzt schaffen“, räumt | |
sie ein. „Wenn es nicht klappt, sind wir aber immer noch in unserem | |
Zeitplan und geben auch dann wieder Vollgas für den zweiten Versuch.“ | |
## Vorbild aus den USA | |
Das große Vorbild von Viktoria, [4][der US-Klub Angel City FC], der ebenso | |
von prominenten Frauen wie der Schauspielerin Natalie Portman oder der | |
Tennisspielerin Serena Williams gegründet wurde, konnte sich seine | |
Erstklassigkeit erkaufen. Der US-Profisport eröffnet Unternehmen und | |
Eigentümern ganz andere Möglichkeiten. | |
Übertragbar aber, sagt Währer, sei der Spirit hinter der Gründung. „Es ist | |
diese Idee, was zu schaffen, was es vorher nicht gab, und zu hinterfragen, | |
warum ist das eigentlich so bei einer Sportart, die mehr und mehr | |
Aufmerksamkeit bekommt. Es ist diese Vision, Sport gleichberechtigter zu | |
machen.“ | |
Schon gegen den Hamburger SV kann sich in dieser Woche zeigen, ob dieser | |
Spirit im Duell zweier gegensätzlicher Modelle ein Vorteil sein kann. | |
10 Jun 2023 | |
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[1] /Abstieg-von-Turbine-Potsdam/!5931708 | |
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[4] /Frauenfussballprojekt-in-den-USA/!5867934 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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