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# taz.de -- Forschung zu Endometriose: Ist ein Bakterium die Ursache?
> Endometriose ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, aber
> ein Rätsel. Forschende haben einen möglichen Auslöser gefunden.
Bild: Bakterien in der Gebärmutterschleimhaut
Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, ein gestörter Zyklus, Schmerzen beim
Geschlechtsverkehr, starke Müdigkeit und Erschöpfung: Manche Frauen leiden
an verschiedensten Symptomen, die schnell mal auf Hormone geschoben oder
als Teil des normalen Menstruationszyklus angesehen werden. Dabei könnte es
auch eine Endometriose sein. Eine Erkrankung, die relativ unbekannt ist und
oft erst spät diagnostiziert wird, obwohl sie etwa 10 bis 15 Prozent aller
Frauen im gebärfähigen Alter trifft. In Deutschland leiden rund vier
Millionen Patientinnen darunter, jährlich kommen schätzungsweise 40.000
dazu.
Wie genau Endometriose entsteht, ist bisher nicht genau erforscht. Als
sicher gilt, dass sich dabei Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt,
an anderen Stellen im Körper ansiedelt, wie etwa am Bauchfell, in den
Eierstöcken und Eileitern, im Darm oder der Harnblase. Wie aber kommen sie
dort hin?
Eine gängige Theorie – bei Weitem jedoch nicht die einzige – hat die
[1][rückwärtsgerichtete Menstruation] im Verdacht. Dabei wandern Zellen aus
der Gebärmutter in den Körper hinein, statt mit der Regelblutung hinaus. So
etwas kommt tatsächlich bei neun von zehn Frauen vor, ist also nicht
ungewöhnlich. Meist erkennt der Körper die verirrten Zellen und baut sie
von selbst ab.
Warum sie sich stattdessen manchmal an ungeeigneten Orten festsetzen, ist
bislang eines der großen Rätsel der Endometriose. Möglicherweise müssen
dafür mehrere Faktoren zusammentreffen. Das Immunsystem könnte nicht
richtig funktionieren, eventuell gepaart mit genetischen Veranlagungen,
Entzündungen oder anderen ungünstigen Voraussetzungen. Sitzen die Zellen
dann erst einmal irgendwo fest, können sie auf das Hormon Östrogen
reagieren, das von den Eierstöcken ausgesandt wird, was wiederum zu
Entzündungen und Narbenbildung führen kann.
## Forschung mit der Maus
Eine Forschungsgruppe aus Japan hat nun [2][neue Idee]. Sie beobachteten,
dass Patientinnen deutlich häufiger eine bestimmte Sorte Bakterien in der
Gebärmutterschleimhaut aufwiesen als Frauen ohne Endometriose. [3][Diese
sogenannten Fusobakterien] kommen bei Menschen und Tieren etwa in der
Mundhöhle vor. Dort können sie sogar hilfreich sein und beispielsweise zur
Zahngesundheit beitragen. Im Falle der Endometriose schaden sie hingegen
eher, vermuten die Forschenden.
Solche Zusammenhänge gibt es bereits bei anderen Erkrankungen, erklärt
Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum
Erlangen: „Vom Bakterium Helicobacter wissen wir heute, dass es Magen- und
Darmkrebs verursachen kann.“ Ein weiteres Beispiel ist das Humane
Papillomavirus (HPV), das Gebärmutterhalskrebs und Geschlechtskrankheiten
auslösen kann.
Eindeutige Rückschlüsse liefert die neue Studie allerdings nicht. Denn sie
sagt nichts darüber aus, ob die Bakterien die Krankheit auslösen, als Folge
der Erkrankung in die Gebärmutterschleimhaut gelangen oder an sich gar
nichts damit zu tun haben.
Um mehr herauszufinden, nutzten die Forschenden zusätzlich ein Mausmodell.
Sie injizierten den Tieren Fusobakterien und verschlimmerten dadurch die
typischen Gewebeveränderungen, die bei Endometriose auftreten. Behandelten
sie die Mäuse daraufhin mit Antibiotika, verkleinerte das die Verletzungen
im Gewebe und sorgte dafür, dass keine Endometriose entstand.
Dass eine Antibiotikatherapie möglicherweise bei der Endometriose helfen
könnte, findet Valentina Auletta durchaus spannend. Sie arbeitet am
Endometriosezentrum der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und
Fortpflanzungsmedizin am Universitätsklinikum Jena. „Das heißt allerdings
nicht, dass wir sofort mit einer antibiotischen Therapie starten können“,
betont sie. Bevor das denkbar sei, müsse eine Menge weiterer Forschung
folgen, vor allem klinische Studien an Patientinnen.
Dabei solle zunächst geklärt werden, ob Antibiotika auch bei Frauen helfen.
Zumal die Arbeit an Tiermodellen schwer auf den Menschen übertragbar sei
und Mäuse nicht einmal eine Regelblutung haben – die Endometriose muss hier
künstlich herbeigeführt werden. „In jedem Fall glaube ich, dass Antibiotika
höchstens als begleitende Therapie oder zur Vorbeugung sinnvoll sind, aber
nicht als alleinige Behandlung“, so Auletta.
Dennoch: Fortschritte auf dem Gebiet sind generell hilfreich, denn lange
sei es ein unterfinanziertes Forschungsthema gewesen, sagt Matthias
Beckmann: „Bei der Erforschung der Endometriose ist in den vergangenen
Jahren wenig Geld geflossen. Jetzt gab es jüngst jedoch einmal eine
Finanzspritze des Bundes.“ Da kann es nur vorteilhaft sein, wenn neue
Theorien aufkommen, die irgendwann vielleicht zu einer Prävention oder
einer wirkungsvollen Therapie führen.
Bisher gibt es zwar einige Behandlungsmöglichkeiten. Je nach Ausprägung
können die verirrten Zellen wegoperiert werden. Auch hormonelle
Behandlungen, die beispielsweise den Östrogenspiegel verringern, können die
Symptome lindern oder sogar die Endometrioseherde verkleinern. Das hat
allerdings jeweils Nebenwirkungen zur Folge und kann vor allem bei einem
Kinderwunsch durchaus schwierig sein.
## Sport hilft immer
„Zudem gibt es verschiedene Untergruppen der Erkrankung“, erklärt Valentina
Auletta. „Die Behandlung muss also sehr individuell eingestellt werden.“
Oft kombiniere man mehrere Therapien, um die bestmögliche Wirkung zu
erreichen.
Viele Frauen werden zudem gar nicht erst ernst genommen. [4][Eine
Befragung] von australischen Endometriose-Patientinnen zeigte, dass sie
zwar häufig starke Schmerzen verspüren, die ihre Lebensqualität verringern.
In der Folge gehen sie kaum aus dem Haus und unternehmen wenig mit anderen
Menschen – das aber verstehen offenbar weder ihre Familien noch das
Gesundheitswesen.
Sich zu bewegen und gesund zu ernähren, kann unter Umständen die Symptome
lindern. Dazu raten Fachleute und folgen damit der Logik: [5][Sport hilft
gegen Entzündungsprozesse und senkt den Östrogenspiegel]. Und manche
Nährstoffe stärken das Immunsystem und vermindern ebenfalls Entzündungen,
während andere sich eher nachteilig auswirken. Die Studienlage bei
Endometriose ist allerdings dürftig: So logisch die Wirkungen scheinen,
sind sie doch bisher zu einem Großteil nicht wissenschaftlich nachgewiesen.
Was in welchen Fällen wirklich hilft, muss noch untersucht werden.
Valentina Auletta sieht die wissenschaftlichen Nachweise hierbei allerdings
nicht so kritisch: „Wenn ich bei Regen nach draußen gehe, muss mir keine
Studie zeigen, dass ich nass werde.“ Auf die Endometriose übersetzt
bedeutet das: Wenn sich Patientinnen durch eine gesunde Ernährung und
Bewegung besser fühlen, spricht nichts dagegen. Bei solchen Fragen sei es
sinnvoll, auf den eigenen Körper zu hören, so die Ärztin.
Wichtig für betroffene Frauen ist in jedem Fall, ärztliche Hilfe zu suchen,
eine Diagnose zu bekommen und dann gemeinsam mit den Ärzten eine genau auf
sie zugeschnittene Behandlung zu finden. Und das klappt am besten, wenn die
Menschen im Umfeld nicht mit einem „Nun hab dich nicht so“ auf eine
Erkrankung reagieren, die scheinbar harmlos ist, in Wirklichkeit aber
starke und chronische Schmerzen verursacht.
14 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.cmaj.ca/content/195/10/E363.long#-1
[2] https://www.science.org/doi/10.1126/scitranslmed.add1531#-1
[3] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6589823/#-1
[4] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jan.15745#-1
[5] https://rbej.biomedcentral.com/articles/10.1186/1477-7827-12-4#-1
## AUTOREN
Stefanie Uhrig
## TAGS
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