# taz.de -- Flüchtlingshilfe in Großbritannien: Ein Rabbi für die Ukraine | |
> Jonathan Romains Mutter entkam Nazideutschland einst mit den | |
> „Kindertransporten“. Ähnliches organisiert der Rabbi nun für Ukrainer. | |
Bild: Wenn er nicht gerade Geflüchteten hilft: Rabbi Jonathan Romain bei einer… | |
LONDON taz | Er habe nur begrenzt Zeit, entschuldigt sich der Rabbiner der | |
jüdischen Reformsynagoge in Maidenhead in der südenglischen Grafschaft | |
Berkshire. Sein E-Mail-Postfach laufe voll, das Telefon klingele | |
durchgehend. Seit einigen Tagen gehe das nun schon so – seit Jonathan | |
Romain bekannt gemacht hat, dass er einen sogenannten Ukrainetransport | |
organisieren wolle. | |
Mit seiner Aktion orientiert sich der 67-jährige Rabbiner am sogenannten | |
Kindertransport, der einst jüdische Kinder und Jugendliche vor | |
Nazideutschland rettete. Zwischen 1938 und 1939 wurden durch ein Abkommen | |
mit dem Dritten Reich vor allem aus Deutschland und Österreich an die | |
zehntausend jüdische Kinder in das Vereinigte Königreich gebracht. | |
Die spezielle Einreisegenehmigung der britischen Regierung wurde nach der | |
Reichspogromnacht ins Leben gerufen. Auch einigen jüdischen Kindern aus | |
Ländern wie Polen und der damaligen Tschechoslowakei und Ungarn gelang so | |
die Ausreise nach Großbritannien. Nach ihrer Ankunft wurden sie meist von | |
Gastfamilien aufgenommen. Die Einreiseerlaubnis galt jedoch nur Kindern und | |
Jugendlichen, nicht ihren Eltern oder Verwandten, von denen später viele in | |
der Schoah ums Leben gekommen sind. | |
Eines der Mädchen, die damals gerettet wurden, war Romains Mutter Gabriele | |
Hertzberg aus Leipzig. „Sie war damals alleine ohne Begleitung gekommen und | |
hatte Glück“, erzählt Romain. „Sie kam bei einer Quäkerfamilie (christli… | |
Reformbewegung, Anm. d. Red.) im englischen Devon unter, mit der sie auch | |
später im Kontakt blieb.“ | |
## Freundliche Gesichter statt Aufnahmezentrum | |
Als nun Russland die Ukraine angriff und plötzlich [1][Tausende Menschen | |
flüchten] mussten, überkam es Romain, wie er es beschreibt. „Ich fühlte, | |
das es an der Zeit war, dass ich etwas tue, was der Hilfe, die meiner | |
Mutter dargeboten wurde, gleichkommt.“ | |
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Romain für Geflüchtete einsetzt. Mit | |
Baron Alf Dubs, der selbst mit einem Kindertransport aus Prag kam, besuchte | |
Romain vor einigen Jahren das französische Calais, um Flüchtlingen zur | |
Seite zu stehen. Dubs kämpft seit Jahren darum, dass die britische | |
Regierung – so wie im Zweiten Weltkrieg – mehr Flüchtlingskinder aufnimmt. | |
Romains Aktion aber hat einen anderen Ansatz. Er sucht vor allem nach | |
Menschen, die Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen können. Diese Helfer | |
bräuchten genauso wenig jüdisch zu sein, wie die Menschen aus der Ukraine | |
jüdisch sein müssten – Romain will, dass Flüchtlinge aus jeglichen | |
Krisenregionen aufgenommen werden. Auch soll nicht nur Kindern geholfen | |
werden. | |
Romain plädiert für den persönlichen Umgang anstatt einer Unterbringung in | |
Aufnahmezentren oder Hotels. „Es ist besser, wenn Flüchtende Menschen um | |
sich haben, die ein freundliches Gesicht haben, die Wärme ausstrahlen und | |
welche die Menschen, die oft traumatisiert sind, in ihre Gemeinschaften | |
integrieren.“ | |
## Kritik an Priti Patel | |
Um den vielen Angeboten gerecht zu werden, arbeitet Romain nun mit einer | |
Hilfsorganisation zusammen. Diese prüft die Angebote, bevor die Menschen | |
dort hingeschickt werden. „Es überwältigt mich, und das ist gleichzeitig | |
wundervoll“, sagt Romain. Manche Helfer würden sich aus persönlichen | |
Gründen engagieren, etwa weil sie, wie er selbst, einen jüdischen | |
Fluchthintergrund hätten. Andere handelten aus einem religiösen oder | |
mitmenschlichen Verantwortungsbewusstsein. Die Angebote kämen inzwischen | |
aus allen Teilen des Vereinigten Königreichs. | |
Doch noch haben kaum Menschen aus der Ukraine in Großbritannien [2][Asyl | |
erhalten]. Die britische Innenministerin Priti Patel musste sich Anfang der | |
Woche Kritik gefallen lassen, weil trotz der fast 9.000 Anträge von | |
Ukrainern erst 640 Einreisevisa ausgehändigt worden waren. Die britischen | |
Behörden prüfen nach wie vor alle Anträge genau, damit keine | |
[3][ungewollten Personen ins Land geraten]. Inzwischen ist ein vorläufiges | |
Bearbeitungszentrum in Lille in Frankreich geplant. | |
Insgesamt hat die britische Regierung der Aufnahme von bis zu 200.000 | |
Flüchtlingen aus der Ukraine zugestimmt. Einreisen dürfen derzeit nur | |
Personen, die Familienmitglieder in Großbritannien haben. Dazu zählen auch | |
Verwandte wie Cousinen, Schwägerinnen und Schwiegereltern. | |
10 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gefluechtete-aus-der-Ukraine/!5839669 | |
[2] /EU-nimmt-Menschen-aus-der-Ukraine-auf/!5839353 | |
[3] /Flucht-aus-der-Ukraine/!5837996 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
## TAGS | |
Juden in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Flucht | |
Großbritannien | |
Judentum | |
Film | |
Osteuropa | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Filmbiografie „One Life“ im Kino: Held im Stillen | |
Die Filmbiografie „One Life“ erzählt von Nicholas Winton, der kurz vor dem | |
Zweiten Weltkrieg Kinder aus der Tschechoslowakei retten ließ. | |
Institut sammelt Untergrundliteratur: Sicherer Hafen geheimer Schriften | |
Die Bremer Forschungsstelle Osteuropa wurde in der Polen-Krise von 1982 | |
gegründet. Sie hat ein riesiges Archiv und etliche Dissidentennachlässe. | |
Krieg in der Ukraine: Geflüchtete zweiter Klasse | |
Nicht-ukrainische Geflüchtete aus der Ukraine werden in Deutschland | |
teilweise von der Polizei aus dem Zug geholt. Pro Asyl sieht darin | |
Schikane. | |
Weiter dramatische Lage in der Ukraine: Bomben und Verhandeln | |
Vor dem Treffen der Außenminister der Ukraine und Russlands signalisieren | |
beide Seiten Zugeständnisse. Die Lage im Land bleibt katastrophal. | |
Therapeut über die aktuellen Ereignisse: „Aufmerksam sein und nachfragen!“ | |
Nicht alle reagieren gleich auf Nachrichten von Krise und Krieg. Manche | |
Menschen geraten in Stress und kapseln sich ab. Austausch kann hier helfen. | |
Reflexion über den Ukrainekrieg: Raus aus der Einbahnstraße | |
Kriege fordern schnelles Handeln und lassen wenig Raum zum Nachdenken. | |
Dennoch braucht es ein Reflektieren, wie es zum Ukrainekrieg kommen konnte. | |
Frauentag in der Ukraine: Ukrainische Heldinnen | |
Tausende Ukrainerinnen wollen ihr Land nicht verlassen. Mehr noch: Sie | |
verteidigen ihr Land auf ihre Weise. Zwei von ihnen im Porträt. |