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# taz.de -- Flucht in der Region Sahel: Kein Ende des Terrors in Sicht
> Für die zwei Millionen Vertriebenen in Burkina Faso ist humanitäre Hilfe
> rar. 40 Prozent des Landes werden nicht mehr vom Staat kontrolliert.
Bild: Der Militärherrscher Ibrahim Traoré wollte 50.000 Zivilist*innen im Kam…
Ouagadougou taz | Idrissa Konfé ist erleichtert. Die Verteilung der 50
Kilogramm schweren Maissäcke kommt genau richtig. „Heute früh habe ich
einen Anruf bekommen. Es hieß, dass ich kommen und Lebensmittel abholen
kann. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Konfé steht auf einem sandigen Schulhof
in Ouagadougou mit Dutzenden anderen Menschen zusammen. Die Mehrzahl sind
Frauen. Alle sind in den vergangenen Monaten aus dem Ort Popé-Mengao im
Nordwesten von Burkina Faso in die Hauptstadt Ouagadougou geflüchtet. Im
ganzen Land sind rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht, fast zehn
Prozent der Bevölkerung.
Konfé kam Ende April mit seiner Familie. Die Flucht war die Rettung. In der
Provinz Soum hatten sich islamistische Terrorgruppierungen, die al-Qaida
und dem „Islamischen Staat“ nahestehen und vor Ort Mitglieder rekrutiert
haben, stark ausgebreitet. Djibo, größte Stadt der Provinz, war vom Rest
des Landes abgeschnitten. Neben Idrissa Konfé sprechen zwei Frauen darüber,
wie sie beim Angriff bewaffneter Kämpfer auf ihr Dorf beobachten mussten,
dass Menschen in ihren Häusern erschossen wurden und niemand ihre Leichen
begraben konnte. Sie werden diese Bilder nicht vergessen.
Soldaten, die den Ort möglicherweise verteidigt hätten, waren längst
abgezogen. Idrissa Konfé betont, dass Gewalt auch von der
Selbstverteidigungsmiliz „Anhänger des Vaterlandes“ (VDP) ausging.
Selbstverteidigungsbündnisse als Schutz vor Viehdieben haben Tradition in
Burkina Faso; in den letzten Jahren bekamen sie aufgrund der sich
verschlechternden Sicherheitslage Aufwind und [1][Zulauf zum Schutz vor
Terroristen]. Seit 2020 erlaubt ein Gesetz die Rekrutierung von
Freiwilligen. Ende Oktober hieß es, die neue [2][Übergangsregierung unter
Militärherrscher Ibrahim Traoré], der sich wenige Wochen zuvor an die Macht
geputscht hatte, wolle 50.000 Zivilist*innen im Kampf gegen den
Terrorismus rekrutieren.
Kritiker*innen werfen den Gruppierungen Selbstjustiz vor. Ihre
Ausbildung dauert gerade einmal zwei Wochen. Aktuell werden Armee und VDP
Angriffe auf Dörfer bei Djibo vorgeworfen, bei denen im November offenbar
Dutzende Zivilist*innen starben. Das UN-Menschenrechtskommissariat
OHCHR forderte eine Untersuchung. In Ouagadougou sind sich die
Binnenvertriebenen einig: [3][Seit Jahresbeginn, als das Militär erstmals
die Macht in Burkina Faso ergriff], hat sich die Krise weiter verschärft,
obwohl die Soldaten im Januar und erneut Ende September putschten, um die
Unsicherheit zu beenden.
Rund um die Hauptstadt ist die Sicherheitslage besser, der Alltag ist
jedoch eine große Herausforderung. „Ich habe zwei Frauen und bin insgesamt
für 16 Personen verantwortlich“, sagt Konfé. Ihnen hat er einen
provisorischen Unterschlupf gebaut. Staatliche Hilfe gibt es nicht, sondern
nur private Spenden. Das Geld für diese Verteilung von Lebensmitteln kommt
aus Polen.
Die wichtigsten Helfer*innen sind Familienangehörige. Sie würden Enormes
leisten und seien die Ersten, die Binnenflüchtlinge versorgen, sagt Maurice
Azonnankpo, stellvertretender Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks
UNHCR in Burkina Faso. Auch er beobachtet: „Die Lage verschlechtert sich.
Gleichzeitig erhöhen sich die Ausgaben.“ Für das laufende Jahr seien 110
Millionen US-Dollar für die Versorgung notwendig. Bis Ende Oktober waren
davon nur 42 Prozent finanziert. Ein Jahr zuvor lag die Finanzierung im
gleichen Zeitraum bei 67 Prozent. Die wachsende Finanzierungslücke hängt
mit dem Krieg in der Ukraine zusammen, gleichzeitig haben sich Lebensmittel
und Benzin weltweit verteuert.
In Burkina Faso wird geschätzt, dass 40 Prozent des Staatsgebietes nicht
mehr vom Staat kontrolliert werden. Das macht den Zugang für humanitäre
Hilfe schwierig bis unmöglich. Neben den Regionen Sahel und Zentrum-Nord,
aus denen mehr als die Hälfte der Binnenflüchtlinge stammen, gibt es auch
Gegenden im Osten, die nicht mehr erreicht werden. „Mitunter verüben die
bewaffneten Gruppierungen auch Anschläge auf Brücken“, sagt Maurice
Azonnankpo. Was die Arbeit ebenfalls erschwere, sei die politische
Instabilität – zwei Putsche in einem Jahr. „Jedes Mal müssen wir neuen
Personen unsere Art der humanitären Arbeit erklären.“ Das kostet Zeit.
Idrissa Konfé hofft, dass die Staatsstreiche nun ein Ende haben und endlich
Ruhe einkehrt. In Ouagadougou kann er diese bisher nicht finden. Vor allem
das Warten und Hoffen auf Unterstützung nervt ihn. „Mein großer Wunsch ist
es, zurück nach Popé-Mengao zu gehen. Dort arbeite ich als Farmer. Das Land
wartet doch nur darauf, bestellt zu werden.“
11 Dec 2022
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## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Sahel
Burkina Faso
Schwerpunkt Flucht
UNHCR
GNS
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Burkina Faso
Lesestück Recherche und Reportage
G7-Gipfel in Elmau
Mali
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