# taz.de -- Filmfestspiele von Venedig: Judo gegen den Feind | |
> Lidokino 5: Eine „israelisch-iranische“ Zusammenarbeit und ein erster | |
> Höhepunkt bei den Filmfestspielen von Venedig. | |
Bild: Trainerin Maryam (Zar Amir Ebrahimi) und Kämpferin Leila (Arienne Mandi) | |
In fast allen Ländern der Welt steht Fußball als Sport an erster Stelle. | |
Dass auf dem zweiten Platz Judo folgt, erscheint eher exotisch. Diese | |
unerwartete Gemeinsamkeit verbindet Israel und Iran, so der israelische | |
Regisseur Guy Nattiv bei der Premiere des Films „Tatami“ in der Reihe | |
„Orizzonti“ der Filmfestspiele von Venedig am Samstag, wo es am frühen | |
Abend auf dem roten Teppich zudem einen Flashmob gab, aus Solidarität mit | |
den in Iran für Freiheit kämpfenden Menschen. | |
Um den Kampf für Freiheit geht es auch in „Tatami“ – die mutmaßlich ers… | |
israelisch-iranische Zusammenarbeit zweier Regisseure. Wobei man | |
präzisieren muss, dass Nattivs iranische Kollegin, die [1][Schauspielerin | |
Zar Amir Ebrahimi], in Iran Berufsverbot hat und im Exil in Frankreich | |
lebt. | |
In „Tatami“ reist die Judokämpferin Leila (Arienne Mandi) mit dem | |
iranischen Team nach Kanada zur Judoweltmeisterschaft. Kurz nach der | |
Ankunft und dem Zusammentreffen mit den Teams der anderen Länder begegnet | |
sie einer ihrer potenziellen Kampfgegnerinnen, der israelischen Judoka Shir | |
(Lir Katz), mit der sie heimlich befreundet ist. Als Leila Runde um Runde | |
siegreich vorankommt, erhält ihre Trainerin Maryam, von Zar Amir Ebrahimi | |
selbst gespielt, bald Drohungen vom iranischen Judoverband. Da Leila im | |
Finale dem „Feind“ Israel gegenüberstehen könnte, soll sie vorzeitig | |
ausscheiden, eine Verletzung vortäuschen. | |
Das Drama, das sich fortan am eingeschränkt neutralen Austragungsort des | |
Wettkampfs entwickelt – die iranischen Geheimdienste finden ihren Weg auch | |
auf dem Sport vorbehaltenes Terrain –, haben Nattiv und Ebrahimi in | |
kontrastreichem Schwarzweiß gefilmt. Dazu wählten sie das „enge“ Bildform… | |
4:3, wie es alte Fernseher mit Bildröhren einst hatten. Gerade die aus der | |
Nähe gefilmten Kampfszenen wirken so schmerzlich unmittelbar, ebenso wie | |
die Szenen, in denen Maryam und später auch Leila am Telefon bedrängt | |
werden. | |
## Feministische Frankenstein-Version von Yorgos Lanthimos | |
In Schwarzweiß, in Teilen zumindest, hat auch der [2][griechische Regisseur | |
Yorgos Lanthimos] seinen Wettbewerbsbeitrag „Poor Things“ gehalten. Seine | |
Adaption des gleichnamigen Romans des schottischen Schriftstellers Alasdair | |
Gray empfiehlt sich als feministische Version des Frankenstein-Motivs, | |
totes Fleisch zu neuem Leben zu erwecken. Willem Dafoe gibt darin den | |
äußerlich entstellten, skrupellos dem Forscherethos verschriebenen Arzt | |
Godwin Baxter, der die von ihm „behandelte“ Bella bei sich zu Hause | |
aufzieht. Diese Bella hat den Körper einer jungen Frau, nämlich den von | |
Emma Stone, diese bewegt und artikuliert sich jedoch zunächst sehr | |
unbeholfen. „Ihr Geist und ihr Körper sind nicht aufeinander abgestimmt“, | |
fasst Baxter die Lage zusammen. | |
Um nicht zu viel vorwegzunehmen: Bella hat nicht ihr ursprüngliches Gehirn | |
im Leib und muss sich vieles im Leben erst aneignen. Was unter anderem zu | |
einem unbefangenen Umgang mit der eigenen Sexualität und der anderer führt. | |
Dies möchte sich Baxters windiger Anwalt Duncan Wedderburn, herrlich | |
schmierig gegeben von Mark Ruffalo, zunutzemachen. Er wird bekommen, wonach | |
er fragt. Bloß nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. | |
Lanthimos hat den gesamten Film in extremen Weitwinkeln gefilmt, die | |
Fischaugenobjektive lassen seine seltsamen Steampunk-Interieurs mit | |
futuristisch-viktorianischer Anmutung umso stärker andersweltlich | |
verschoben erscheinen. In dieser Welt findet sich Bella, wie die mit | |
höchstem Einsatz agierende Emma Stone verstörend wandelbar herausarbeitet, | |
auf ihre Weise bestens zurecht. Sogar dann noch, als sie herausfindet, wer | |
sie wirklich ist. Ein erster Höhepunkt im bisher durchwachsenen Wettbewerb. | |
Großes Lob auch für die Filmmusik von Jerskin Fendrix, der vertraute | |
Instrumente wie Fagott mit verfremdet tiefen Frequenzen angemessen | |
unbehaglich klingen lässt. | |
3 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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