# taz.de -- Filmfestspiele von Venedig: Pinochet als Vampir | |
> Lidokino 3: Bei den Filmfestspielen von Venedig geht es bei Pablo | |
> Larraíns „El Conde“ ans Ende der Welt. Es zeichnet den Werdegang des | |
> chilenischen Diktators Pinochet. | |
Bild: Edoardo Leo und Ksenia Rappoport sitzen am Strand. Szene aus „L'Ordine … | |
Chile ist ein Land, das von einem Geist heimgesucht wird: Augusto Pinochet. | |
Vor 50 Jahren begann die Diktatur des Generals, der eine | |
Schreckensherrschaft mit Morden und Folter ausübte. Da er zwar angeklagt, | |
aus gesundheitlichen Gründen aber nicht vor Gericht erscheinen musste, kam | |
es nie zu einer Verurteilung. | |
Dieses Erbe hat sich der [1][chilenische Regisseur Pablo Larraín] für | |
seinen jüngsten Spielfilm [2][„El conde“] vorgenommen, der bei den | |
Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb läuft. | |
Pinochet lebt darin abgeschieden auf einer entlegenen Ranch, buchstäblich | |
am Ende der Welt, genau genommen lebt er gar nicht richtig, er führt | |
vielmehr ein Untotendasein als Vampir. Quer durch die Geschichte zieht sich | |
seine Blutspur, beginnend im absolutistischen Frankreich Ludwigs XVI. | |
Später zieht es ihn nach Südamerika, wo seine Wahl auf Chile fällt. | |
Den Werdegang Pinochets, als gebrechlicher Mann von Jaime Vadell gespielt, | |
schildert eine Frauenstimme auf Englisch aus dem Off. Ansonsten sprechen | |
die Figuren des Films in der Regel Spanisch, gegen Ende gibt es eine | |
Auflösung, wer hinter der englischen Stimme steckt. | |
## Satire in Schwarz-Weiß | |
Das Ganze präsentiert sich als Satire in Schwarz-Weiß, wobei man die Farbe | |
eher als Grau in Grau charakterisieren müsste. Da es einigermaßen blutig in | |
dem Film zugeht, erspart einem dies allzu explizite Darstellungen davon, | |
wie dieser „Graf“ auf Jagd geht, um seinen Durst zu stillen. | |
Die Kinder Pinochets wollen dem Treiben ein Ende setzen, da ihr Vater | |
ohnehin den Wunsch zu sterben geäußert hat. Eine Tochter lässt daher eine | |
Nonne kommen, die, als Buchhalterin getarnt, einen Exorzismus an Pinochet | |
ausüben soll. Diese Carmen (Paula Luchsinger) verhält sich bei ihren | |
Untersuchungen jedoch immer unberechenbarer. Nicht ohne zuvor ein Inventar | |
der kriminellen Aktivitäten Pinochets und der Verstrickungen seiner Familie | |
zu erstellen. | |
Schrecken soll bei Larraín mit Schrecken ausgetrieben werden, ergänzt um | |
eine Komik, deren Bitterkeit weniger wütend als zynisch wirkt. Die | |
Abrechnung mit Pinochet gerät darüber etwas zahnlos. | |
## Ehrenlöwe fürs Lebenswerk | |
Ebenfalls mit Witz und nicht weniger ernst im Anliegen geht die | |
italienische Regisseurin Liliana Cavani in ihrem außer Konkurrenz gezeigten | |
neuen Spielfilm „L’ordine del tempo“ (Die Ordnung der Zeit) vor. Die | |
90-jährige Cavani erhielt zur Eröffnung zudem einen Ehrenlöwen für ihr | |
Lebenswerk, als erste Frau in der Geschichte des Festivals. | |
Die Laudatio auf Cavani hielt die britische Schauspielerin Charlotte | |
Rampling, sie spielte in Cavanis „Der Nachtportier“ von 1974 eine | |
KZ-Überlebende, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihrem früheren Peiniger und | |
Geliebten wiederbegegnet. Die Handlung sorgte seinerzeit für einen Skandal, | |
bis heute verstört Cavanis furchtloser Film – im positiven Sinn. | |
[3][„L’ordine del tempo“] gibt sich weniger skandalträchtig. Vielmehr | |
stellt Cavani darin, inspiriert vom gleichnamigen Sachbuch des Physikers | |
Carlo Rovelli, eine Meditation über die Zeit an und wie sie von einzelnen | |
Personen unterschiedlich wahrgenommen wird: Eine Gruppe von Freunden trifft | |
sich in einem Haus am Meer zu einer Geburtstagsfeier. Als promovierte | |
Altphilologin lässt Cavani eine ihrer Figuren zunächst über die | |
Zeitbegriffe bei Euripides sprechen, danach geht es bald an die eigentliche | |
Frage. | |
Enrico, ein Physiker, hat von einem Asteroiden erfahren, der sich mit hoher | |
Geschwindigkeit in Richtung Erde bewegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit | |
mit ihr kollidieren wird. Die Nachricht, die Enrico vor seinen Freunden | |
anfangs noch verbirgt, löst verschiedenste Reaktionen aus, von Verdrängung | |
bis zu folgenreichen Aussprachen unter den anwesenden Paaren. Der Sache | |
wegen ist es ein Film, in dem viel geredet wird. Und die Fragen, die er | |
verhandelt, bedürfen einiger Worte. Doch Komik gestattet Cavani genug. | |
31 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kristen-Stewart-als-Lady-Di-in-Spencer/!5825262 | |
[2] https://www.labiennale.org/en/cinema/2023/venezia-80-competition/el-conde | |
[3] https://www.labiennale.org/en/cinema/2023/out-competition/l%E2%80%99ordine-… | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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