# taz.de -- Festival für Maschinenmusik in Berlin: Das Unbehagen vor dem Surren | |
> In Berlin findet das erste Festival für Maschinenmusik statt. Warum sind | |
> musizierende Roboter so faszinierend – und zugleich so befremdlich? | |
Bild: Marion Wörle und Maciej Śledziecki können gut mit Robotern | |
Knarzende Dielen, viel Licht, viel Raum, im Treppenhaus der Geruch nach | |
Staub und Putz: ein Ort, der gut zu zwei Berliner KünstlerInnen passen | |
will. In der Wohnung von Marion Wörle und Maciej Śledziecki, sie | |
Computermusikerin, er Komponist, erinnert nichts an ein futuristisches | |
Klanglabor. Doch genau das ist es. | |
Wörle und Śledziecki arbeiten hier mit einem Roboter-Ensemble. Ihre | |
Formation heißt „Gamut Inc“, gegründet vor fünf Jahren. Seit 2013 | |
konstruieren sie ihre Musikroboter gar selbst, gemeinsam mit dem | |
Instrumentenbauer Gerhard Kern. Wenn Wörle und Śledziecki von ihrem | |
Ensemble sprechen, dann meinen sie: sich und ihre Musikmaschinen. | |
Ihr jüngstes Projekt ist ein dreitägiges Festival. Auf der Convention „Wir | |
sind die Roboter“ versammeln Wörle und Śledziecki in der Berliner | |
Musikbrauerei AvantgardistInnen, die sich der Robotermusik verschrieben | |
haben. | |
Im Wohnzimmer wirken die Musikmaschinen unter der hohen Altbaudecke fast | |
verloren, kaum größer als handelsübliche Instrumente sind die meisten von | |
ihnen. Manche Roboter gleichen Requisiten aus früheren | |
Science-Fiction-Filmen. Etwa der C3, ein automatisches Carillon, das eher | |
an eine Schaltzentrale als an ein Glockenspiel erinnert; andere muten an | |
wie verspult-futuristische Versionen bekannter Instrumente – so wie das | |
BowJo, eine Art Banjo, dem man die Holzhaut bis aufs Skelett abgezogen hat. | |
## Die Maschinenmusik ist älter als Computer | |
Seit das Wort „Roboter“ 1920 zum ersten Mal in Karel Čapeks Schauspiel | |
„Rossums Universal-Robots“ auftauchte, arbeiten sich KünstlerInnen am | |
Mythos Menschmaschine ab. Vom humanoiden Überwesen, wie es etwa die | |
Popsängerin Björk im Video zu ihrem Song „All Is Full of Love“ | |
präsentierte, über die Musikautomaten von Gamut Inc bis zur | |
Kompositionssoftware: Künstliche Intelligenz ist in Alltag und Popkultur | |
angekommen. Roboter treten auf als freundliche Androiden – oder als | |
„Transformers“, als seelenlose Apparate, die ihre eigenen ErfinderInnen | |
unterwerfen wollen. Warum bereiten Maschinen, die den Alltag erleichtern | |
und Wünsche erfüllen können, dem Menschen so viel Unbehagen? | |
Begonnen hat die Geschichte der Roboter – und so auch der Maschinenmusik –, | |
lange bevor die Computer entstanden sind. Die Vorläufer späterer | |
Musikautomaten beschrieb bereits Heron von Alexandria, der zwischen 200 vor | |
und 100 nach Christus lebte. Ihre Blütezeit erlebten die Apparate im Zuge | |
der Mechanisierung im 19. Jahrhundert. Vor hundert Jahren verkaufte man in | |
den USA mehr selbstspielende als konventionelle Pianos. | |
Mit der Erfindung des Radios kamen Pianolas und Orchestrions wieder aus der | |
Mode, doch ihren Platz in der Popkultur hatten sich die Maschinen | |
spätestens 1978 zurückerobert. „Wir sind die Roboter“, sang damals die | |
Düsseldorfer Band Kraftwerk mit wächsernen Gesichtern. Noch, so wussten die | |
HörerInnen, schlagen Herzen unter den uniformen roten Hemden. Und so fand | |
man die maschinegewordenen Musiker seltsam berührend – aber auch berührend | |
seltsam. | |
Jenes Unbehagen begründete der japanische Robotiker Masahiro Mori in den | |
1970ern mit einem Effekt, den er als „Uncanny Valley“ („Unheimliches Tal�… | |
bezeichnete: die Furcht, die einsetzt, wenn wir es mit Wesen zu tun | |
bekommen, die dem Menschen ähnlich sind, dabei aber etwas gänzlich | |
Unnatürliches, Unvertrautes an sich haben – so wie humanoide Roboter und | |
Avatare. Eine Akzeptanzlücke in der Wahrnehmung, die dafür sorgt, dass | |
ZuschauerInnen den klar als Maschine erkennbaren Star-Wars-Roboter R2D2 | |
sympathisch finden. Die hyperrealistischen, aber doch knapp an der Realität | |
vorbeischrammenden Figuren aus dem Animationsfilm „Der Polarexpress“ – sie | |
sind der Physiognomie Tom Hanks’ nachempfunden – muten hingegen unheimlich | |
an. | |
## Keine transhumanen Golems | |
Die Musikroboter von Gamut Inc sind nicht humanoid, und auch auf ihrem | |
Festival soll es menschenähnliche Roboter nicht zu sehen geben. Mit ihren | |
Schrauben, wirren Kabeln und bunten Drähten geht von Robotern des Ensembles | |
eher eine Art analoge Wärme aus. Und tatsächlich sind Maschinen näher an | |
„alter“ Musik als an den Musikprogrammen der TechnoproduzentInnen: Die | |
Hauptquelle ihres mal außerirdisch-sphärischen, mal harschen Surrens, | |
Flirrens und Pfeifens ist kein Lautsprecher. Wörle und Śledziecki steuern | |
die Instrumente per Computer; Mikrofone nehmen den Klang der Maschinen ab, | |
anschließend wird das akustische Signal zurück in den Computer gejagt und | |
kann dort moduliert und verstärkt werden. „Unsere Roboter sind hybride | |
Maschinen, verortet zwischen der elektronischen und der akustischen Welt“, | |
sagt Wörle. | |
Musikroboter sehen selten aus wie transhumane Golems. Doch irritieren | |
Maschinenklänge auch aus anderen Gründen. Musik ist identitätsstiftend, nie | |
nur Klang, sondern immer auch Projektionsfläche. Wer Pop liebt, sehnt sich | |
auch nach Menschen, die auf der Bühne leiden, schwitzen, posen. Nach | |
Identifikationsfiguren, die einem einerseits nahe sind, andererseits aber | |
„larger than life“. Auch fast 40 Jahre nachdem Kraftwerks Roboter die | |
Künstlichkeit zur Kunstform geadelt haben, sind für viele Musikfans | |
Prädikate wie „handgemacht“ die höchste Anerkennung. | |
Umso größer die Verunsicherung, wenn Musik vom Subjekt gelöst wird. Als | |
etwa Hatsune Miku, ein virtueller Popstar aus Japan, im Februar dieses | |
Jahres im Rahmen des Festivals Transmediale erstmals in Deutschland | |
„auftrat“, generierte das Interesse, aber auch Befremdung – denn die | |
Musikerin existiert nicht, sondern wird als Hologramm auf die Bühne | |
projiziert, während ihre Stimme aus dem Computer kommt. Sollte mit der | |
Kunst die letzte Bastion des Nicht-Automatisierbaren fallen? | |
## Roboter können in der Musik Neues leisten | |
Eine Antwort könnte ein jüngst vom Sony Computer Science Laboratory | |
lanciertes Projekt geben. Mithilfe der Software Flow Machines, die auf eine | |
Datenbank mit Songs unterschiedlicher Musikrichtungen zurückgreifen können, | |
ließen die ProgrammierInnen einen Computer Lieder im Stil großer Vorbilder | |
komponieren: „Daddy’s Car“ erinnert an die Beatles, „The Ballad of Mr | |
Shadow“ an Duke Ellington. | |
Zwar schrieb ein Musiker die Texte, arrangierte und produzierte die | |
Computerkomposition; die desillusionierende Botschaft des Experiments | |
bleibt dennoch: Was geniale Seelen wie John Lennon geschaffen haben, könnte | |
irgendwann für alle reproduzierbar sein, die in der Lage sind, einen Laptop | |
aufzuklappen. | |
Für Unbehagen dürften die Maschinen auch bei InstrumentalistInnen sorgen – | |
denn viele Roboter können leisten, was ihnen selbst nicht möglich ist. Wenn | |
eine Percussion-Maschine im Gamut-Ensemble eine für Menschen unspielbare | |
Rhythmik erzeugt, drängt sich die Frage auf: Wozu MusikerInnen | |
beschäftigen? | |
Wörle und Śledziecki teilen diese Angst nicht: Sie treten vor ihren | |
Maschinen sogar freiwillig zurück. Saßen oder standen sie sich anfangs bei | |
ihren Performances gegenüber, haben sie sich nun entschlossen, die Computer | |
vom Publikum aus zu bedienen. „Es widerstrebt unserer Szene, eine | |
Galionsfigur ins Zentrum zu stellen“, sagt Wörle. Im Gegensatz zu DJs und | |
ProduzentInnen elektronischer Musik – heute oft gottgleiche Rockstars am | |
Plattenteller – überlassen Wörle und Śledziecki den Maschinen das Feld. | |
Andere Ensembles gehen noch weiter. „Wenn die Logos Foundation Gent mit | |
einer Auswahl ihrer 60 Musikmaschinen zum Festival kommt, zahlt man am Ende | |
den Robotern die Gage“, sagt Śledziecki. Die Roboter übernehmen die Bühne: | |
Ist das der Tod des Popstars, das Ende des Genies? | |
## Die Roboter sind nicht allmächtig | |
Nein, sagen Wörle und Śledziecki: Ihre Roboter seien weit davon entfernt, | |
ohne Menschen zu funktionieren. „Unsere Maschinen sind nicht perfekt“, sagt | |
auch Śledziecki. „Uns interessiert, wo die Grenzen ihrer Vollkommenheit | |
liegen.“ Und überhaupt: Auch die Authentizität in der Musik sei letztlich | |
eine Illusion. „Popstars sind immer auch Kunstfiguren“, sagt Śledziecki. | |
In dieser Logik treiben Roboter und Avatare wie Hatsune Miku nur auf die | |
Spitze, was Popkultur ohnehin bedeutet. Die Roboter kommen, verändern, | |
perfektionieren – aber allmächtig sind sie nicht. Zu groß wird immer die | |
Sehnsucht nach Schweiß auf der Bühne sein. Eine spannende Aussicht. Und | |
eine beruhigende zugleich. | |
29 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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