| # taz.de -- Feindbilder des Staatsschutzes: Das Phantom | |
| > Wer als angeblicher Anhänger des Salafismus ins Fadenkreuz der Behörden | |
| > gerät, der hat es schwer: Das zeigt der Fall des Bremers Bilal M. | |
| Bild: Unschuldig, wenn es nach den Grundsätzen des Rechtsstaats geht: Bilal M. | |
| BREMEN taz | Es ist ein trüber Samstagnachmittag, 20 Stunden nach dem | |
| Beginn der Terrornacht in Paris. An der Wohnungstür von Bilal M. in | |
| Bremen-Aumund stehen zwei Polizeibeamte, Staatsschutz. Ist Bilal M. da? | |
| Nein. Seine Frau mit den vier Kindern ist da, sie telefoniert nach ihrem | |
| Mann, der kommt nur ein paar Minuten später. Nur zur Kontrolle, sagen die | |
| Männer vom Staatsschutz. Nur zur Sicherheit. Bilal M. ist aufgebracht, weil | |
| die Beamten mit Schuhen seine Wohnung betreten haben. Aber eigentlich ist | |
| er erregt wegen der monatelangen Schikane: „Mein Name ist gebrandmarkt. Was | |
| wirft man mir vor?“, fragt er. „Gibt es irgendwann vielleicht eine | |
| öffentliche Klarstellung, mit der mein Name reingewaschen wird?“ | |
| Für die Polizei ist Bial M. ein „registrierter Salafist“. Zum Vorwurf | |
| gemacht wird ihm seine religiöse Überzeugung, sonst letztlich nichts. | |
| Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, SPD, erklärte nach den Anschlägen in | |
| Paris, es gebe in Bremen „Hintergrundaktionen“, über die er sich aber | |
| öffentlich nicht äußern werde. Offenbar waren solche Hausbesuche bei | |
| Verdächtigen gemeint, Hausbesuche wie bei Bilal M. Der Sicherheitsapparat | |
| ist also beschäftigt, aber warum ist Bilal M. ein Verdächtiger? Auch acht | |
| Monate nach dem Bremer Terroralarm Ende Februar (siehe Kasten) gibt es | |
| keinerlei Indiz für irgendetwas. Der Verfassungsschutz hat ein Phantombild | |
| von Bilal M., aber keine Vorstellung, hat keine Ahnung, wie Männer wie er | |
| ticken. | |
| ## „Ich liebe den Koran“ | |
| Die taz hat Bilal M. besucht, mehrfach, auf seinem Sofa gesessen, den Tee | |
| getrunken, den seine Frau servierte. Was heißt Salafist? „Ich liebe den | |
| Koran, ich liebe Mohammed“, sagt Bilal M. „Salafi“ heiße Vorfahren. | |
| Eigentlich seien alle Muslime, die sich an den „Vorfahren“ orientieren, | |
| Salafisten. Gleichzeitig betont der Mann, der in Neukölln geboren ist und | |
| die libanesische wie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, dass seine | |
| Familie „auf eine moderne Art religiös“ sei – „alle meine Schwestern h… | |
| das Gymnasium besucht“. Hamsa, der kleine Sohn, springt vom Sofa: „Ich bin | |
| Spider-Man!“, ruft er. Überall liegen Handys, das scheint das wichtigste | |
| Spielzeug der Kinder zu sein. Die größere Tochter hilft im Haushalt. An der | |
| Wand hängen zwei Tafeln mit arabischen Schriftzeichen. Im Zentrum schmückt | |
| ein moderner großer Flachbildschirm die Wand, auf dem gerade das Video | |
| einer traditionell arabischen Hochzeit läuft. | |
| Der Verfassungsschutz hat Bilal M. als einen der beiden „Haupttäter“ des | |
| 28. Februar 2015 ausgemacht. Des Tages, an dem angeblich französische | |
| Terroristen auf dem Weg nach Bremen waren, um hier die Synagoge, den Dom | |
| und anderes in die Luft zu sprengen. 60 Maschinenpistolen der Marke „Uzi“ | |
| sollen in der Gemeinde des „Islamischen Kulturzentrus“ (IKZ) verteilt | |
| worden sein. Der Innensenator ließ Polizeibeamte mit schussbereiten | |
| Kriegswaffen auf dem Marktplatz aufmarschieren und den IKZ-Gebetsraum | |
| stürmen. Kein Franzose wurde angetroffen, bis heute keine Uzi in Bremen | |
| gefunden. | |
| Die Durchsuchung der Moschee am Breitenweg ist inzwischen von einem Gericht | |
| für rechtswidrig erklärt worden. In der Ermittlungsakte gegen Bilal M. | |
| stehe nichts drin außer den Hirngespinsten des Verfassungsschutzes, sagt | |
| der Rechtsanwalt Eberhard Schulz. Man werde die Ermittlungen möglicherweise | |
| noch in diesem Herbst abschließen, das immerhin bestätigt die | |
| Staatsanwaltschaft. Also reicht es offenbar nicht einmal zu einer | |
| Anklageschrift. | |
| ## Hausdurchsuchung mit Playmobil | |
| Bilal M. ist also unschuldig, jedenfalls nach den Grundsätzen eines | |
| Rechtsstaates. Über Monate wurde er dennoch vom Verfassungsschutz | |
| beobachtet, auch Jasmin, seine selbstbewusste junge Frau. „Das nervt“, sagt | |
| sie, permanent dieses Gefühl der Überwachung. Und sie ist besorgt wegen der | |
| Wirkung auf die Kinder: „Der Kleine spielt schon im Kindergarten mit | |
| Playmobil Hausdurchsuchung.“ | |
| Bilal M. hat einen Realschulabschluss und zwei handwerkliche Ausbildungen. | |
| Seinen Job als Elektroinstallateur aber hat er verloren: Der Chef hatte | |
| mehrfach Besuch von den Fahndern bekommen, die erklärten, was für einen | |
| gefährlichen Mann man da beschäftige. Bilal M. wurde arbeitslos, bekam neue | |
| Arbeit als Sicherheitsmann und Dolmetscher in einer Flüchtlingsunterkunft. | |
| Da er fließend Deutsch und Arabisch spricht, war er bestens qualifiziert | |
| für diese gut bezahlte Arbeit. Bis er rausflog – nach einem Anruf des | |
| Staatsschutzes. Dann wollte er in Schwanewede, Kreis Osterholz, bei der | |
| Flüchtlingsbetreuung anheuern – wieder intervenierten die Bremer Behörden. | |
| Seit einigen Wochen hängen in Bremer Flüchtlingsunterkünften | |
| steckbriefartige Fotos von fünf Männern. Einer davon ist Bilal M. Der | |
| Leiter der Unterbringung in der Gerhard-Rohlfs-Straße zeigt das Foto den | |
| Flüchtlingen und sagt, sie sollten sich besser von diesem Mann fernhalten. | |
| Ein Hausverbot wurde aber nicht ausgesprochen, dafür gibt es auch gar | |
| keinen Grund. Aber das arabische Wort für „Hausverbot“ steht neben dem | |
| Foto, handgeschrieben. „Das ist das Foto, das die Polizei von mir während | |
| der zweistündigen Verhaftung im Februar aufgenommen hat“, sagt Bilal M. An | |
| jenem Samstag kam er wieder frei, weil es keine konkreten Vorwürfe gab. | |
| Freigelassen wurde er offenbar aber nur zur weiteren Observation. | |
| Anfrage bei der Polizei: Was war in dem Flüchtlingswohnheim passiert? Warum | |
| hängt da dieses Steckbrief-Foto? Die Polizei hält sich bedeckt: „Die | |
| genannten Hausverbote sind hier bekannt und werden seitens der Abteilung | |
| für Staatsschutz befürwortet“, so lautet die offiziöse Auskunft. Aber wie | |
| kommt ein Foto aus einer Fahndungsakte in der Gerhard-Rohlfs-Straße an die | |
| Wand? „Wenn wir ein Foto der Polizei aushängen, dann steht da Polizei | |
| drüber.“ Also kann nicht sein, was nicht sein darf – und das Foto hängt | |
| doch da. Weitere Auskünfte gibt es keine, es gehe um ein laufendes | |
| Ermittlungsverfahren. Wird denn wegen irgendeines Vorfalls in dem | |
| Flüchtlingsheim ermittelt? Nein. Die Polizei mauert. Das Foto zu überlassen | |
| wäre möglicherweise rechtswidrig. | |
| Im Haus der Bremer Sozialsenatorin, zuständig für Flüchtlingsunterkünfte, | |
| ist zu erfahren, dass die Polizei auf solche Hausverbote „dränge“, weil es | |
| für das Instrument eines „Betretungsverbots“ keine gerichtsfeste Begründu… | |
| gebe. Beim Träger, dem Arbeiter-Samariter-Bund, heißt es ganz schlicht: Die | |
| Fotos hängen in allen Übergangseinrichtungen – angebracht habe sie | |
| „irgendwie die Polizei“. Das deckt sich mit dem, was die privaten | |
| Sicherheitsleute sagen. | |
| ## Nächstenliebe unter Verdacht | |
| Vor acht Wochen war Bilal M. tatsächlich mal in der Gerhard-Rohlfs-Straße. | |
| Er hat geholfen, 20 blaue Plastiksäcke mit Kleiderspenden ins Büro zu | |
| bringen. „Das war meine Idee“, sagt Lisa D., „ich habe im Kreis meiner | |
| Freundinnen gesagt, sie sollten doch mal ihre Kleiderschränke aufräumen. | |
| Berge sind zusammengekommen.“ Die Leute von der Flüchtlingsunterkunft seien | |
| erfreut gewesen. Und Bilal M. hat übersetzt, als Lisa D. Frauen und Kinder | |
| fragen wollte, ob sie spezielle Wünsche hätten, Spielzeug vielleicht, | |
| Kosmetika. „Wir haben zusammengelegt, für mehr als 100 Euro | |
| Hula-Hoop-Reifen, Hygieneartikel und anderes gekauft“, erzählt Lisa D. | |
| Alles wurde mit ihrem Auto zum Flüchtlingsheim geschafft. Bilal M. hat | |
| geholfen, auch seine Frau: Sie erklärte einer schwangeren Syrerin, welche | |
| Medikamente ihr der Arzt verschrieben hat, dass das in Deutschland üblich | |
| sei und überhaupt nicht schlimm. | |
| Wurde dabei auch missioniert? „Quatsch“, sagt Lisa D., „ich bin deutsch u… | |
| christlich. Wir haben überhaupt nicht über Religion gesprochen.“ Zumal: | |
| „Die meisten Flüchtlinge sind Kurden.“ Auch für Christen und Yeziden unter | |
| den Flüchtlingen haben Bilal M. und seine Frau gedolmetscht, | |
| selbstverständlich, „viele meiner Freunde sind Yeziden“, sagt er. | |
| Auch Lisa D., die Christin, nennt er seine Freundin. Sie bekam zwei Wochen | |
| nach der Hilfsaktion einen Anruf vom Staatsschutz: Sie sei doch in der | |
| Flüchtlingsunterkunft gewesen: Was sie da gemacht habe, mit wem, und so | |
| weiter. Sie erzählte der Polizei von der gut gemeinten Aktion. Wenige Tage | |
| später hingen die Steckbriefe im Flur der Unterkunft. | |
| ## „Das schadet vor allem den Muslimen“ | |
| Was denkt so ein „registrierter Salafist“, dem die Polizei unterstellt, er | |
| habe eine große Terroraktion in Bremen geplant, über die Terrornacht in | |
| Paris? „Mein erster Gedanke galt den Opfern und ihren Angehörigen“, sagt | |
| Bilal M. „Es gibt in so einem Krieg keine Sieger.“ Es sei eine „große | |
| Katastrophe, wer kann eine so böse Phantasie haben“? Und dann stellt er die | |
| Frage, wem so was nutzt und schadet. Klar: „Das schadet den Muslimen. Wir | |
| sind die Geschädigten.“ Die Muslime würden noch weiter in die Ecke | |
| gedrängt. Aber warum macht der „Islamische Staat“ das? „Das waren nicht | |
| Muslime, sie werden nur ausgenutzt“, sagt Bilal M. „Anders kann ich mir das | |
| nicht erklären.“ Solche Morde seien mit seinem Verständnis von Islam | |
| unvereinbar. | |
| Eigentlich will Bilal M. nur in Ruhe mit seiner Familie leben. Dazu gehört, | |
| seinen Glauben zu praktizieren. „Jedem seine Religion“, sagt er. Und fragt | |
| wieder: „Warum muss ich mich immer rechtfertigen für etwas, womit ich | |
| nichts zu tun habe? Habe ich acht Monate nach diesem Tag im Februar nicht | |
| ein Recht auf eine öffentliche Klarstellung? Auf eine Entschuldigung?“ | |
| 30 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Wolschner | |
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