# taz.de -- Fehlende Barrierefreiheit: Verfassungswidrige Bahnsteigkante | |
> Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, heißt es im | |
> Grundgesetz. Klingt gut, doch der Alltag im Bahnverkehr beweist das | |
> Gegenteil. | |
Bild: Hürden überwinden: Wer Bahn fahren will, darf wie hier in einer Skating… | |
Kennen Sie den schon? BER! Und dann lachen sich alle schlapp. Weil das | |
Meisterland der Ingenieurskunst es seit sieben Jahren nicht hinbekommt, den | |
Hauptstadtflughafen fertigzustellen. Schlimmer geht’s nimmer? Doch! Etwa | |
wenn es um die simple Höhe von Bahnsteigkanten geht. | |
Die wurde per Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung auf 76 Zentimeter | |
festgelegt. Und zwar im Jahre 1904. Ergebnis heute, also exakt 115 Jahre | |
später: mal so, mal so. Hier nur 55, dort satte 96 Zentimeter. Das klingt | |
nach einer Petitesse, ist es aber nicht. Denn es ist einer der Gründe, | |
warum Menschen im Rollstuhl nicht einfach in die an den Bahnsteigen | |
haltenden Züge einsteigen können. | |
Theoretisch wäre es denkbar, dass Züge mit variablen Einstiegshöhen gebaut | |
werden. Doch [1][in der Realität sind ja nicht mal die Waggons | |
barrierefrei], die in der Norm entsprechenden Bahnhöfen halten. Zwar muss | |
man der Bahn zugutehalten, dass sie Rollifahrer mit Hubwagen in ihre Züge | |
hievt. Aber erstens nur nach langer Voranmeldung. Zweitens müssen die | |
KundInnen stets damit rechnen, doch draußen stehen zu bleiben, weil das | |
Personal fehlt. Und drittens müssen dann ja auch noch alle Aufzüge | |
funktionieren. | |
Mit anderen Worten: BahnkundInnen werden nicht transportiert, sondern aktiv | |
behindert. Es ist zum Verzweifeln. Und es kommt noch schlimmer. Denn was | |
öffentlichen Transport angeht, steht die Bahn nicht allein da. Ja, es gibt | |
Busse mit ausklappbaren Rampen. Manchmal sogar mit Fahrern, die sie ohne | |
Murren bedienen. Ja, es gibt Niederflurstraßenbahnen. Manchmal halten sie | |
sogar an Bahnsteigen, die man als barrierefrei bezeichnen könnte, wenn man | |
darüber hinwegsieht, dass auch ein paar Zentimeter Höhenunterschied für | |
viele Rollifahrer ein Hindernis sind. Kurz: Es ist Murx. | |
Andernorts klappt es besser: In Bordeaux zum Beispiel fahren alle | |
Straßenbahnen überall mit Rollstuhlzugang. Oder in Madrid: Dort kann man in | |
5 Prozent aller Taxen mit dem Rollstuhl reinrollen. Das liegt nicht nur an | |
der Ingenieurskunst dort, sondern an klaren politischen Vorgaben. | |
[2][Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden]. So steht | |
es seit 1994 im Grundgesetz. Die Novelle wurde also gerade 25 Jahre alt. | |
Hätte das seither jemand ernst genommen, gäbe es heute deutlich weniger | |
Barrieren. Tatsächlich aber werden immer noch Züge, Busse, Taxen | |
angeschafft, die nicht rollstuhlgerecht sind. Das Schlimmste daran ist: Da | |
sie so langlebig sind, werden diese Menschen behindernden Fahrzeuge noch | |
zum 50. Jubiläum der Grundrechtsänderung durchs Land rollen. Der Flughafen | |
in Berlin wird dann kein Witz mehr sein, sondern ein Altbau. | |
23 Dec 2019 | |
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Gereon Asmuth | |
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