# taz.de -- FDP beschließt Wahlprogramm: Ups, Drogen entkriminalisiert | |
> Beim digitalen Parteitag inszeniert sich die FDP als freiheitliche | |
> Partei. Beim Thema liberaler Drogenpolitik kommt es aber zu einem | |
> Missverständnis. | |
Bild: Abgesehen von kleinen Pannen – Ups, Drogen legal – läuft es gut für… | |
BERLIN taz | Eigentlich lief fast alles glatt. Christian Lindner, | |
dunkelblauer Anzug, rote Krawatte, stand zu Beginn des Parteitags am | |
Redepult, die Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet, er redete über Freiheit. | |
Hinter ihm prangte die gelbe Aufschrift: Nie gab es mehr zu tun. Es ist die | |
Überschrift des Wahlprogramms, mit dem die FDP in den Bundestagswahlkampf | |
ziehen will. Parteichef Lindner sprach in der „Station“, einer hippen | |
Location in Berlin-Kreuzberg. | |
Dort findet der [1][digitale FDP-Parteitag] von Freitag bis Sonntag statt. | |
Genauer gesagt: Die Parteispitze ist vor Ort, die anderen Delegierten | |
schalten sich virtuell zu, um das Parteiprogramm zu verabschieden und | |
Präsidium und Bundesvorstand neu zu wählen. | |
Doch auch bei der selbsternannten Digitalpartei läuft auf einem | |
Online-Parteitag nicht alles glatt. Für Verwirrung sorgte ein Beschluss zur | |
Drogenpolitik am Samstagabend, die neuen technischen Herausforderungen | |
trugen mit Sicherheit zum Mini-Chaos bei. Zunächst stimmte eine Mehrheit | |
der Delegierten für die Entkriminalisierung aller Drogen nach | |
portugiesischem Vorbild. Sie waren dem Antrag von Roman-Francesco Rogat | |
gefolgt, dem FDP-Bezirksvorsitzenden von Berlin-Marzahn. | |
Doch dann setzten sich kurz darauf Lindner, Generalsekretär Volker Wissing | |
und Partei-Vize Wolfgang Kubicki dafür ein, den Beschluss wieder zu | |
streichen. Was nach erneuter Abstimmung dann auch passierte. Vielen sei die | |
Tragweite des Beschlusses nicht klar gewesen, so die Parteiführung. | |
Innenpolitiker Konstantin Kuhle beruhigte die Gemüter: „Die deutsche | |
Drogenpolitik ist gescheitert. Wir brauchen eine komplette Neujustierung | |
des Verhältnisses von Strafrecht und Therapie.“ Das Thema will die Partei | |
zu einem späteren Zeitpunkt nochmal ausführlicher besprechen. | |
## Thema Bürgerrechte boomt in Coronazeiten | |
Von Drogen mal abgesehen – die FDP will sich als Partei profilieren, die | |
Freiheiten und Bürgerrechte verteidigt. „Die Bürgerrechte, meine Damen und | |
Herren, und die Idee der Freiheit sind in den vergangenen Monaten in die | |
Defensive geraten“, sagte Lindner am Freitag. Er machte das selbstsicher, | |
wohl wissend, dass der Unmut in der Bevölkerung über die Politik der | |
Bundesregierung wächst. | |
Zu Beginn der Pandemie waren die Liberalen in einer misslichen Lage, sie | |
übten zwar Kritik, forderten eine stärkere Beteiligung der Parlamente, | |
fragten nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, [2][klagten in | |
Karlsruhe gegen die Bundesnotbremse], die die umstrittene Ausgangssperre | |
enthält. Gleichzeitig war die FDP darauf bedacht, nicht in die Nähe von | |
Coronaverharmloser:innen gesteckt zu werden. Wurden sie trotzdem | |
manchmal. | |
Aber jetzt, ein paar Pandemiemonate und Maskenaffären später, hat sich die | |
Lage verändert. Nach einem spannend und zuweilen traurig anzusehenden | |
Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder ist die Union in den | |
Umfragen abgestürzt – und die FDP im Windschatten konsequent nach oben | |
geklettert. Lindner kann also selbstbewusst sagen: „Die Pandemie hat eines | |
bewiesen: Wenn es um Bürgerrechte geht, dann ist auf die Freien Demokraten | |
Verlass.“ | |
## Lindner will in die Regierung | |
In Umfragen liegt die FDP zwischen 10 und 12 Prozent, die Partei gewinnt | |
neue Mitglieder, die Finanzen können sich sehen lassen. Christian Lindner | |
wird mit 93 Prozent Zustimmung in seinem Amt bestätigt. Neu an seiner Seite | |
ist es jetzt Johannes Vogel. Der Sozialpolitiker, der in den Medien immer | |
wieder mal mit sozialliberalen Gedanken auftaucht, wird zu einem von drei | |
stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. | |
„Ich war niemals motivierter als jetzt, die FDP zurückzuführen in | |
Gestaltungsverantwortung für unser Land“, sagt Lindner. Er will regieren, | |
es ist seine letzte Chance. Das Trauma sitzt tief. Als die FDP nach der | |
Bundestagswahl 2017 die Jamaika-Verhandlungen abbrach, waren sie lange der | |
politischen Bedeutungslosigkeit nahe. | |
Im Ergebnis heißt das nun: Lindner äußert sich zurückhaltender, | |
staatstragender, er sendet neue Signale und überlässt bissige Töne | |
Parteivize Wolfgang Kubicki. Schließlich muss Lindner als | |
Regierungsmitglied in spe breitere Bevölkerungsgruppen ansprechen. Zu | |
Beginn seiner Rede verurteilt er den Terror der Hamas und erinnert daran, | |
dass das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Redet | |
über die Gefahr des Antisemitismus in Deutschland. Das Desaster in | |
Thüringen, als sich [3][FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD | |
zum Ministerpräsidenten wählen ließ,] erwähnt er lieber nicht. Die FDP hat | |
da keine gute Figur abgegeben. | |
## Beschäftigte mit Steuererleichterungen locken | |
Selbstverständlich beschwört Lindner auch die Kraft des Marktes, will | |
Innovationen, den Gründergeist entfesseln, alles entbürokratisieren und | |
Steuern senken. Aber auf dem Parteitag bemüht er eben auch den Markenkern | |
der FDP als Bürgerrechtspartei und präsentiert sich zurückgenommener. Keine | |
Altherrenwitze. Keine Häme gegenüber Bewegungen wie Fridays for future, | |
denen er einst riet, man solle Klimapolitik „doch den Profis überlassen.“ | |
Jetzt verteilt er zwar die ein oder andere Spitze gegen die anderen | |
Kanzlerkandidat:innen, aber alles in allem sehr moderat. CDU-Chef Armin | |
Laschet solle man nicht mit den Grünen alleine lassen, „denn am Ende | |
fusionieren die noch.“ An die Grüne-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat | |
er vor allem viele Fragen: Wie das Verständnis der Grünen von privatem | |
Eigentum ist zum Beispiel. Oder ob sie sich von der Linkspartei in das | |
Kanzleramt wählen ließe. Olaf Scholz nennt er eine „respektable | |
Persönlichkeit“, aber bedauert, dass das Programm von Saskia Esken und | |
Kevin Kühnert stammt. | |
Die FDP will nun vor den Werkstoren stehen, „um die stolze | |
leistungsorientierte technisch gebildete Belegschaft zu werben.“ Linder | |
will den „Facharbeiter“ ebenso wie „die Pflegerin“ ansprechen. Zuweilen | |
wirkt es fast unfreiwillig komisch, seine FDP ist nun wirklich nicht dafür | |
bekannt, für höhere Löhne und Arbeitsschutz von Arbeitnehmer:innen zu | |
kämpfen. Aber darum geht es auch nicht. Er will sie mit | |
Steuererleichterungen locken. Und er kämpft gegen das Image, dass die FDP | |
eine kaltherzige Partei ist, die nur die Reichen noch reicher machen will. | |
Dabei will sie genau das. | |
Zwar will die FDP für alle Einkommensschichten mehr Netto vom Brutto. Aber | |
während SPD, Grüne und Linke Einkommensmillionäre steuerlich stärker | |
belasten möchten, würde die FDP sie gerne entlasten. Den Spitzensteuersatz | |
will sie nach rechts verschieben, er soll erst bei einem Jahreseinkommen | |
von 90.000 Euro greifen. So steht es im Parteiprogramm, das die Liberalen | |
an diesem Wochenende verabschieden. Der Solidaritätszuschlag soll ganz weg, | |
die steuerliche Belastung von Unternehmen soll auf rund 25 Prozent gesenkt | |
werden. | |
## Liberale wollen Rundfunkbeitrag senken | |
„Leistung darf nicht wegbesteuert werden, das gilt gerade auch in | |
schwierigen Zeiten, weil es die Leistung der Menschen ist, die unseren | |
Staat trägt und auf die wir angewiesen sind, wenn wir die großen | |
Herausforderungen unserer Zeit stemmen wollen“, findet auch Generalsekretär | |
Volker Wissing. Nötig seien solide Staatsfinanzen, keine Generation dürfe | |
von Schuldenbergen erdrückt werden. „Deshalb ist neben der Frage der | |
Steuerbelastung auch die Frage solider öffentlicher Haushalte für die | |
Freien Demokraten nicht verhandelbar“, betonte Wissing. Eine Aufweichung | |
der Schuldenbremse lehnt er ab. Die Antwort, wie diese umfassenden | |
Steuererleichterungen nach den ganzen Coronaschulden finanziert werden | |
sollen, bleibt die Partei den Wähler:innen schuldig. | |
Beim Klimaschutz setzt die FDP vor allem auf innovative Technologien und | |
marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel, die zulässige | |
CO2-Emissionsmenge soll gesetzlich festgelegt werden. | |
Zum vorgelegten Entwurf des Wahlprogramms standen über 540 Änderungsanträge | |
zur Abstimmung, die stoisch abgearbeitet wurden, allein Sonntag früh waren | |
noch mehr als 300 übrig. | |
Ein weiterer Aufreger: Die Liberalen einigten sich darauf, den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden und den Rundfunkbeitrag zu | |
senken. Der entsprechende Antrag wurde mit knapper Mehrheit (185 zu 179) | |
angenommen. Im Programm heißt es nun: „Wir Freie Demokraten wollen einen | |
moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der sich | |
primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen | |
konzentrieren soll. Damit wollen wir den Rundfunkbeitrag absenken.“ Vorher | |
war vom Dämpfen die Rede. FDP-Generalsekretär Volker Wissing riet noch | |
vergeblich, den Antrag abzulehnen. | |
Der [4][Streit um die Höhe von Rundfunkgebühren,] so zeigt es sich auch in | |
Sachsen-Anhalt, ist ein brisantes Thema. Und das Ergebnis auf dem Parteitag | |
macht deutlich, dass es auch in der FDP Kräfte gibt, die in manchen Fragen | |
weit auseinanderdriften. | |
Korrekturhinweis: In einer früheren Version wurde von einer „Freigabe aller | |
Drogen nach portugiesischem Vorbild“ geschrieben. Das Wort Freigabe ist so | |
nicht korrekt. In Portugal gilt der Besitz von bis zu zehn Tagesdosen | |
Drogen zum persönlichen Gebrauch nicht als Straftat, sondern als | |
Ordnungswidrigkeit. Die portugiesische Drogenpolitik setzt auf Therapie und | |
Aufklärung statt auf harte Bestrafung. Drogenhandel ist aber nach wie vor | |
strafbar. | |
16 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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