# taz.de -- Expertin über die US-Demokratie: „Ich mache mir große Sorgen“ | |
> Trump setzt in LA das Militär gegen die Zivilbevölkerung ein. Die | |
> Demokraten müssen jetzt Verantwortung übernehmen, sagt Cathryn Clüver | |
> Ashbrook. | |
Bild: Los Angeles, 8. Juni: Die Proteste gegen Trumps Migrationspolitik gehen… | |
taz: Frau Clüver Ashbrook, wie interpretieren Sie, was gerade in Los | |
Angeles passiert? Und warum passiert das gerade jetzt? | |
Cathryn Clüver Ashbrook: In den letzten Wochen, und vor allem in den | |
letzten Tagen, ist klar geworden, dass Donald Trump Schwierigkeiten hat, | |
sein großes Haushalts- und Steuergesetz tatsächlich durch den Kongress zu | |
bekommen. Nur mit diesem Gesetzespaket sind seine Umbaupläne für das | |
amerikanische Wirtschafts- und Sozialsystem gesichert – die Funktion seiner | |
Präsidentialdekrete wird immer wieder gerichtlich ausgehebelt. Er braucht | |
diesen Erfolg zur Machtsicherung. Jetzt schickt er gegen den Willen des | |
Bundesstaats Kalifornien Nationalgarde und Marines nach Los Angeles – in | |
eine Situation, die sich in den letzten Tagen beruhigt hat und ohnehin nur | |
sehr kleine Bereiche von Los Angeles betrifft. Man suggeriert einen | |
faktischen Notstand, um von anderen innenpolitischen Problemen abzulenken. | |
taz: Das heißt, Sie glauben, dass die Entsendung von Nationalgarde und | |
Infanteriesoldaten der Marines schon vor Beginn der Razzien oder | |
irgendwelcher Proteste geplant war? | |
Clüver Ashbrook: Diese Art des Eingriffs in die Funktionalität einzelner | |
Bundesstaaten schwebt Donald Trump schon seit der ersten Amtszeit vor. | |
Schon damals wollte Trump den Insurrection Act von 1807 bemühen bemühen und | |
das Militär verpflichten, gegen Zivilisten im eigenen Land vorzugehen. Das | |
haben ihm damals Verteidigungsminister Mark Esper und der oberste | |
US-General Mark Milley versagt. Milley ist dadurch auch persönlich zu | |
Beginn der zweiten Amtszeit zur rachegetriebenen Zielscheibe von Donald | |
Trump geworden. Der amerikanische Verfassungskontext lässt Protest und | |
zivilen Ungehorsam zu, sogar bis zum öffentlichen Verbrennen der US-Flagge. | |
Das gehört zum essenziellen Staatsverständnis. Diese demokratischen | |
Freiheiten, die der erste Verfassungszusatz garantiert, stellt Donald Trump | |
in Frage. | |
taz: So ähnlich sagt das auch Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, der | |
Trump eklatanten Machtmissbrauch vorwirft. Wie sehen Sie seine Rolle? | |
Clüver Ashbrook: [1][Newsom prangert richtigerweise die Übergriffigkeit der | |
nationalen Regierung an] und klagt auch dagegen, genau wie die | |
Bürgermeisterin von Los Angeles. Aber natürlich hat er auch große | |
politische Ambitionen. Newsom ist kein klassisch progressiver Demokrat. Im | |
Gegenteil. Auch er hat Politik gegen illegale Migration gemacht. Das gibt | |
ihm jetzt das Argument zu sagen: Wir haben die Situation im Griff und | |
brauchen keine Einmischung. | |
taz: Sowohl Joe Biden als auch Kamala Harris haben einen Wahlkampf mit der | |
Warnung vor dem kommenden Faschismus geführt. Jetzt passieren all diese | |
Dinge. Finden die Demokraten die richtige Antwort und Ansprache? | |
Clüver Ashbrook: Wenn die Mehrheiten in einem Zweiparteiensystem so sind | |
wie jetzt, dann sind der Oppositionspartei in der eigentlichen politischen | |
Gestaltung die Hände gebunden, solange die Mehrheit die Reihen geschlossen | |
halten kann. Aber während etwa Verteidigungsminister Pete Hegseth 700 | |
Marines nach Los Angeles schickt, werden genau diese Aktionen vom | |
Haushaltsausschuss sehr kritisch geprüft, wird die rechtmäßige Belegung für | |
einen solch drastischen Schritt gefordert – von Demokraten und | |
Republikanern. Hier wird die demokratische Arbeit noch gemacht, und die | |
Öffentlichkeit hat Zugang zu diesen Informationen. Aber dafür gibt es in | |
den Medien kaum Platz – und gleichzeitig arbeitet die Trump-Regierung | |
permanent daran, die Rechte des Kongresses einzuschränken, die Macht des | |
Präsidenten zu stärken – so wenn zum Beispiel vom Kongress bewilligte | |
Gelder gestrichen werden. Da wird dann Oppositionsarbeit kaum noch | |
öffentlich wahrgenommen. | |
taz: Es scheint so, als ob die Idee des [2][autoritären Staatsumbaus, wie | |
sie im Project 2025 vorgezeichnet war], jetzt systematisch umgesetzt wird. | |
Wie unaufhaltsam ist dieser Prozess? | |
Clüver Ashbrook: Die Umsetzung der Pläne aus dem Project 2025 ist massiv | |
beschleunigt worden, aber genau deswegen ist vieles nicht so ordentlich | |
gemacht worden, wie der Leitfaden es selbst fasst. Beispiel | |
Bürokratieabbau: Der ging durch Elon Musk mit DOGE sehr schnell. Umgekehrt | |
sind aber über das letzte Jahr 47.000 Menschen vorrekrutiert worden, um sie | |
– je nach Bedarf – in eine ideologisierte Bürokratie wieder einzuspeisen. | |
Da aber das Edikt zu Sparen plötzlich über der Effizienz stand, sehen wir | |
in vielen Teilen des Apparats absoluten Stillstand, mit den entsprechenden | |
Auswirkungen auf das öffentliche Leben in den USA, von Flugsicherheit, bis | |
Lebensmittelsicherheit, bis zur Veteranenversorgung – mit tiefen | |
Konsequenzen, die sich noch vollständig abzeichnen werden. Wichtigster | |
Meilenstein für Trump ist derzeit die Steuer- und Haushaltsgesetzgebung, | |
die aber viel mehr beinhaltet. Gravierende Veränderung in der | |
wirtschaftlichen und sozialen Umverteilung im Land, neue Machtbefugnisse | |
für das Weiße Haus – auch die Funktion sich über gerichtliche | |
Entscheidungen hinwegsetzten zu können – der [3][Big Beautiful Bill]. Die | |
MAGA-Republikaner wissen, was für ein revolutionäres Paket sie da um 3 Uhr | |
morgens durchs Repräsentantenhaus gepeitscht haben. Denn es beinhaltet die | |
Ermächtigungen, die Trump sich wünscht. Die werden dann zu Gesetzen – und | |
wir haben in Polen und in Ungarn gesehen, wie schwer radikale, | |
Demokratie-schädliche Gesetze wieder zurückzunehmen sind. | |
taz: Und in diese Situation kommt dann der Showdown in Los Angeles. Was | |
wird es für Auswirkungen haben, wie das jetzt ausgeht? | |
Clüver Ashbrook: Amerika versteht sich als eine sich selbst korrigierende | |
Demokratie. Diesem Verständnis stehen jetzt regressive Energien gegenüber – | |
die im Übrigen nicht wirklich einen vollständig durchdachten Plan haben, | |
wie zum Beispiel diese vermeintliche Reindustrialisierung der USA wirklich | |
aussehen soll, von der die MAGA-Strategen sprechen – mit eingeschränktem | |
Zugriff auf neue Arbeitskräfte aus der ganzen Welt, mit beschnittener | |
wissenschaftlicher Freiheit. Amerika hat seine Stärke erst als diverse | |
Nation entwickelt. All das steht in der ältesten verfassungsrechtlich | |
gesicherten Demokratie jetzt auf dem Prüfstand. Ironischerweise ein Jahr | |
vor dem 250-jährigen Jubiläum der amerikanischen Verfassung, das Donald | |
Trump auch wieder mit einer Militärparade begehen möchte.Die kognitive | |
Dissonanz zwischen den Zivilrechtlichen Errungenschaften einer | |
Verfassungsordnung und den Bildern einer Militärparade sind kognitiv schwer | |
in Einklang zu bringen.Das ist ein den eigentlichen Absichten der | |
amerikanischen Verfassung diametral entgegengesetztes Verständnis. | |
taz: Aber damit steht Trump doch nicht mehr alleine da? | |
Clüver Ashbrook: Nein, wenn 32 Prozent der amerikanischen Bevölkerung in | |
einer Umfrage aus dem letzten Februar angeben, sie würden sich eine starke | |
Staatsführung oder die Staatsführung durch das Militär wünschen, dann sind | |
da gesellschaftlichen Bewegungen im Gange, die von den MAGA-Strategen gut | |
gelesen worden sind und für eine längerfristig angelegte politische | |
Machtergreifung instrumentalisiert werden. Wir erleben eine | |
Instrumentalisierung von tiefen Spaltungen und Verwerfungen in der | |
amerikanischen Gesellschaft,die sich langsam über Jahrzehnte angebahnt | |
haben, um die gesamte Gewaltenstruktur in den USA zu verändern mit | |
verheerenden Auswirkungenfür die Funktionalität der Demokratie im Land. | |
taz: Glauben Sie, dass von Los Angeles jetzt doch der Beginn einer großen | |
Protestbewegung ausgeht, die ja bislang seit Trumps zweitem Amtsantritt | |
nicht zu sehen war? | |
Clüver Ashbrook: Die Konsequenzen der Migrationspolitik, der | |
Wirtschaftspolitik, der möglichen Kürzungen in den Bereichen | |
Sozialversicherung, Altenversorgung, Rentenversorgung, Versorgung der | |
Ärmsten werden langsam sichtbar, und Trumps Politik wird sich nicht für | |
jene auszahlen, mit denen MAGA in den vergangenen Jahren Koalitionen | |
gesucht hat. Unmut entlädt sich im amerikanischen Kontext immer auf der | |
Straße, und dort können sich auch neue Koalitionen bilden. | |
taz: Das müsste sich dann aber im Zweifelsfalle auch spätestens bei den | |
Midterm Elections 2026 in Wählerstimmen kanalisieren lassen. Hat die | |
Demokratische Partei tatsächlich aus ihren Niederlagen genug gelernt? Oder | |
steht sie noch bei der Klage, Biden hätte bloß früher abtreten sollen? | |
Clüver Ashbrook: Die Aufarbeitung der Demokraten muss weit über die | |
Biden-Regierung zurückgehen. Die beschleunigte Deindustrialisierung über | |
die 80er und 90er Jahre und dann die Auswirkungen der Finanzkrise, die für | |
viele Amerikaner das Ende des amerikanischen Traums darstellte – so groß | |
waren die Verluste. Ganze Lebenspläne gingen dort verloren, die natürlich | |
in der Kürze der Zeit, 2008 bis jetzt, nicht mehr reklamiert werden | |
konnten. Und selbst da, wo sie reklamiert worden sind, war das Gefühl der | |
Sicherheit weg. Das war die emotionale Grundlage im Land, auf der ein | |
Donald Trump hat aufbauen können. Die Demokraten haben diese Entwicklungen | |
in der amerikanischen Gesellschaft unterschätzt und sie zum Teil | |
intellektualisiert, haben auf Nischenthemen gesetzt, die eine vornehmlich | |
urbane Wählerklasse motiviert – nicht aber die Fläche erreicht. Unterm | |
Strich fühlen die Menschen sich dann allein gelassen und entrechtet. Und | |
das ist das, was die Demokraten zurückholen müssten. | |
taz: Haben Sie das Gefühl, dass daran ernsthaft gearbeitet wird? | |
Clüver Ashbrook: Es geht um Wählermotivation und um Zugehörigkeit. MAGA hat | |
es geschafft Nichtwähler und Wechselwähler zu motivieren. Diese wählen | |
seltener in Zwischenwahlen – eine Chance für die Demokraten. Aber noch ist | |
die Strategie unklar: Sollte die Partei wie Elissa Slotkin, die Senatorin | |
aus Michigan, vorschlägt, versuchen, Stimmen aus der Mitte, der | |
Wechselwähler zurückzugewinnen? Dann bräuchte es eine Politik der Mitte. | |
Links-Populisten wie Bernie Sanders verlangen nach einer radikaleren | |
Antwort, die stärker mit Emotionen arbeitet. Oder gibt es doch einen | |
Zwischenweg? Das ist der Findungsprozess, in dem sich die Demokraten gerade | |
befinden. Und er muss schnell gehen. | |
taz: Bis zu den Midterm elections sind es nicht einmal mehr zwei Jahre. | |
Clüver Ashbrook: Die große Sorge, die viele haben, ist, dass das Wahlsystem | |
in der Fläche bis zur Zwischenwahl 2026 so geschwächt und beeinflusst | |
worden ist, dass es nicht mehr zu einer klassisch funktionalen Wahl kommen | |
wird, was dann wiederum Einfluss darauf hat, wie sich bestimmte | |
Mehrheitsverhältnisse weiter gestalten. | |
taz: Wie pessimistisch sind Sie, dass das amerikanische System diese | |
Trump-Präsidentschaft nicht übersteht? | |
Clüver Ashbrook: Ich mache mir große Sorgen. Amerikanische Historiker | |
weisen derzeit immer darauf hin, wie zersetzende Tendenzen sich durch die | |
Geschichte des Landes ziehen – von denen sich die USA immer wieder erholt | |
hat. Aber wir befinden wir uns jetzt an einem anderen Punkt. Heute spielen | |
Interessen, Geld und Macht, Information und Technologie auf eine derart | |
beschleunigte Weise zusammen, wie wir es in der Menschheitsgeschichte noch | |
nie gesehen haben. Und während mich die vermeintlichen Erfolge der | |
amerikanischen Geschichte optimistisch machen und mir ein Grundvertrauen in | |
etwas geben, was man vielleicht „Resilienz der amerikanischen Seele“ nennen | |
würde, ist die versuchte, politische Manipulierung tatsächlicher | |
schwerwiegender gesellschaftlicher, sozialer, aber auch medialer | |
Veränderungen nicht etwas, dem man tatenlos zuschauen kann, das wird von | |
Amerikanern und Amerikanerinnen eine neuartige Anstrengung abverlangen. Ob | |
sie das, wie vergangene Generationen, bereit sind zu leisten, ist noch | |
unklar. | |
14 Jun 2025 | |
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