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# taz.de -- Eurovision Song Contest: Zwiespältige eurovisionäre Illusion
> Beim ESC wird der Ausschluss Israels gefordert, Vergleiche mit Russland
> werden gezogen. Doch die greifen zu kurz.
Bild: Yuval Raphael präsentiert Israel auf dem 69. ESC in Basel
Als Yuval Raphael von Israels öffentlich-rechtlicher TV-Station KAN als Act
für den diesjährigen ESC in Basel ausgesucht wurde, stand ihr
Trainingsprogramm längst fest. Ein zentraler Punkt: Das stark vermutete
Buhkonzert während der Liveauftritte aushalten können. Und das mit gutem,
beziehungsweise schlechtem Grund: Im Vorjahr war die israelische Kandidatin
Eden Golan während ihrer Performance mit lärmenden Buhrufen gestört
worden. Das sollte Yuval Raphael nicht passieren.
Beim ESC in Malmö im Mai 2024 war dem Mobbing damals eine Kampagne des
antiisraelischen Bündnisses BDS vorangegangen, einschließlich lautester
Proteste gegen die Israelin, ihr Land und dessen Präsenz beim ESC
schlechthin. Nicht nur das, auch etliche ESC-KollegInnen – darunter
[1][Nemo, später siegreiche Künstlerperson aus der Schweiz] – hatten sich
dem Bashing angeschlossen, angestachelt durch Millionen
Social-Media-NutzerInnen.
Darauf musste sich Raphael also vorbereiten. Dass die 24-Jährige ausgewählt
wurde, sei ihr eine Ehre, sagt sie. Ihre Rolle beim ESC verstehe sie als
eine Botschafterin. Die Sängerin war am 7. Oktober 2023 beim
Supernova-Festival dabei. Sie ist eine Überlebende, weil sie sich während
der Hamas-Terrorattacke unter einem Berg von bereits Ermordeten wie leblos
zu verhalten wusste. Am vorigen Sonntag beim Gala-Walk über den türkisenen
Teppich in Basel überging sie irritationslos, dass einer aus dem Publikum
ihr per Geste die Hölle wünschte, als [2][er mit den Fingerspitzen über
seinen Hals strich] – lächelnd.
## Petition fordert Israels Ausschluss
Ebenso wird Raphael wohl auch besonders zwiespältig auf die Illusion vom
kollegialen Miteinander beim ESC schauen: Die meisten wünschen einander
zwar Glück, so war es immer, so ist es auch dieses Jahr.
Andere frühere SängerInnen, darunter abermals [3][Nemo und auch Salvador
Sobral], der portugiesische Gewinner von 2017, unterzeichneten jedoch eine
Petition der [4][„Artists for Palestine“], die Israels Ausschluss vom ESC
fordert. Die Begründung: Israel führe Krieg gegen seine palästinensischen
Nachbarn – und Russland und Belarus seien ja nach dem Beginn des Kriegs
gegen die Ukraine suspendiert worden.
Die EBU, die europäische TV- und Radio-Union der öffentlich-rechtlichen
Sender, wies diese Petition zurück – einleuchtenderweise. Denn obwohl es
häufig so scheint, nehmen am ESC keine Länder teil, sondern unabhängige
TV-Stationen. Das sei in Russland und Belarus spätestens seit dem Krieg
gegen die Ukraine nicht der Fall. In Israel jedoch sei KAN vom Staat
unabhängig – Raphael trete also nicht als Regierungschanteuse an.
## Hält sich die EBU naiv zurück?
Die EBU, mag eingewandt werden, halte sich naiv zurück, um sich politisch
nicht einmischen zu müssen und lege dabei unterschiedliche Maßstäbe an –
hier das gebannte Russland, dort das geduldete Israel. Doch obwohl sich ein
Millionenpublikum den ESC als eine Art politische Europameisterschaft der
Pop-Künste vorstellt, kann für die eurovisionäre Oberinstanz nur eine
Abwägung gelten. Arbeitet ein TV-Sender vom Staat in, zumindest
geringfügiger, Distanz?
Diese Herangehensweise hatte zur Folge, dass Russland etwa nach der
Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim nicht verbannt wurde, auch der
britische Falkland-Krieg in den frühen Achtzigerjahren führte zu keinen
Sanktionen. Fragen wirft allerdings die Teilnahme autokratisch geführter
Länder wie Aserbaidschan auf: Auch diese werden nicht sanktioniert, obwohl
dessen zur EBU gehörender TV-Sender keinen unabhängigen Journalismus
produziert.
Israel nimmt seit 1973 an ESCs teil, weil die EBU auch viele
Mitgliedssender außerhalb der politischen Kartografie hat,
nichteuropäische, etwa auch solche aus nordafrikanischen oder nahöstlichen
Ländern, die allerdings seit jeher ein Mitmachen davon abhängig machen,
dass Israel ausgeschlossen wird, was die Genfer ESC-Verantwortlichen
selbstverständlich immer als Ansinnen ignorierten.
## Hoffen auf den üblichen Festivalmodus
Die EBU hofft weiter, dass ihr 69. ESC im üblichen Festivalmodus verläuft –
und hat dafür verfügt, dass auf der Bühne nur noch die eigene offizielle
Landesflagge gezeigt werden darf. Im Publikum sind Länder- und andere
Flaggen sexualidentitären Inhalts erlaubt. Auch palästinensische, obwohl
der (momentan noch imaginierte) Staat weder einen Sender hat, der
EBU-Mitglied ist, noch an einer künstlerischen Teilhabe bislang Interesse
zeigte. Für die ESC-Tage raten Baseler Sicherheitskräfte Jüdinnen und
Juden, sich unauffällig zu verhalten. Für den Samstag sind antiisraelische
Demonstrationen geplant.
Yuval Raphael, die zu den Favoritinnen dieses Jahres zählt, tritt mit einer
Botschaft an, die zeitgenössischer nicht sein könnte. „Ich habe diesen
Horror nicht überlebt, um nicht mehr zu leben“, sagt sie. Am Donnerstag
muss sie sich im Semifinale erst noch mit ihrer [5][Ballade „A New Day Will
Rise“] und ihrer klasse Stimme für das Grand Final am Samstag
qualifizieren. Landet sie weit vorn, muss dies nichts mit prozionistischem
Einvernehmen zu tun haben. Die Israelverwünschenden werden damit leben
müssen, am Samstag an den 7. Oktober 2023 erinnert zu werden.
15 May 2025
## LINKS
[1] /ESC-2024/!6009688
[2] https://www.facebook.com/reel/1701846977877316
[3] https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/eurovision-winner-nemo-backs-israel_…
[4] https://artistsforpalestine.org.uk/2025/05/06/former-eurovision-contestants…
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Q3BELu4z6-U
## AUTOREN
Jan Feddersen
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