| # taz.de -- Europawahl am 9. Juni: Es darf wieder geworben werden | |
| > In Berlin hängen wieder Wahlplakate – die Wahl fürs Europaparlament am 9. | |
| > Juni steht an. Erstmals dürfen die 16- und 17-Jährigen zur Urne gehen. | |
| Bild: Sie hängen wieder: Wahlplakate an einer Berliner Straßenlaterne | |
| Berlin taz | Wo auch immer in der Stadt noch letzte Plakate von der | |
| Wiederholung der Bundestagswahl im Februar hingen – sie dürften seit | |
| Sonntag verschwunden sein: Der Platz wird für die nächste Wahl und die | |
| Werbeplakate dafür gebraucht. Am 9. Juni ist Europawahl, seit Sonntag | |
| dürfen die Parteien ihre Werbung an von der Verwaltung freigegebenen | |
| Stellen platzieren, [1][wie stets ab sieben Wochen vor dem Wahltermin]. | |
| Einer Umfrage zufolge kannte jüngst allerdings noch nicht mal jeder Zweite | |
| den Wahltermin. Laut einer anderen gibt es hingegen mehr Interesse als bei | |
| der Europawahl 2019. | |
| Das Spezielle dieser Wahl ist von jeher ihr großes Manko: Es gibt keine | |
| Wahlkreise, keine direkt gewählten Kandidaten, keine Duelle um Berliner | |
| Mandate im EU-Parlament, wo Deutschland 96 Sitze zustehen. Fast alle | |
| Parteien treten mit einer bundesweiten Kandidatenliste an, auf der am | |
| Wahltag in Flensburg und Berchtesgaden dieselben Kandidaten stehen wie in | |
| Berlin. Nur bei der CDU ist das anders: Sie hat in jedem Bundesland eine | |
| eigene Landesliste, weil in Bayern nicht sie, sondern die CSU antritt. | |
| Von Nachteil ist das Fehlen von Wahlkreisen deshalb, weil es in der Regel | |
| solche Zweikämpfe sind, die für Interesse und starke Wahlbeteiligung | |
| sorgen. Die Partei, die von sich sagt, sie werde nicht wegen Personen, | |
| sondern wegen ihrer Inhalte gewählt, hat da naturgemäß einen Vorteil: Die | |
| Grünen schneiden bei Europawahlen traditionell gut in Berlin ab. [2][2019 | |
| wurden sie in Berlin klarer Wahlsieger] und holten mit fast 28 Prozent fast | |
| doppelt so viele Stimmen wie CDU (15,2) und SPD (14 Prozent). | |
| Die Grünen sind auch die Partei, für die im Europaparlament die meisten | |
| Berliner sitzen: Je nach Zählung waren das nach der jüngsten Wahl fünf | |
| Abgeordnete. Dieses Mal rechnet man in ihrem Landesverband selbst mit einem | |
| etwas schwächeren Ergebnis. | |
| ## Berliner Grüne gut vertreten | |
| Mindestens drei aus ihren Reihen sind dennoch sicher wieder im Parlament, | |
| allen voran Sergey Lagodinsky. Er steht auf der Grünen-Bundesliste auf | |
| Platz 2, schon auf Platz 5 folgt Hannah Neumann, auf Platz 8 Erik | |
| Marquardt. Auch Anna Cavazinni, dieses Mal von den sächsischen Grünen für | |
| die Bundesliste nominiert, ist auf Platz 3 sehr gut positioniert – 2019 | |
| gewannen die deutschen Grünen 21 Sitze. Käme es ähnlich gut wie damals, | |
| wäre neu auch Jan-Denis Wulff auf Platz 18 im Europaparlament, [3][Polizist | |
| und Sohn eines türkischen Einwanderers]. | |
| Zu wissen, dass sie weiter im EU-Parlament sitzen werden, haben die | |
| genannten Grünen gemeinsam mit Gaby Bischoff (SPD) und Martin Schirdewan – | |
| der Ostberliner Bundesvorsitzende der Linkspartei ist sogar | |
| Spitzenkandidat. Beide werden aber mutmaßlich die einzigen Vertreter ihrer | |
| Berliner Landesverbände im Europäischen Parlament sein. | |
| Hildegard Bentele von der CDU hingegen musste 2019 in der Wahlnacht länger | |
| zittern. Bei den Christdemokraten hängt es vom Ergebnis des jeweiligen | |
| Landesverbands ab, wann und ob ihre dortigen Kandidaten bei der Verteilung | |
| der insgesamt gewonnenen Mandate berücksichtigt werden. Weil Benteles | |
| Berliner CDU 2019 schwächelte, war nicht klar, ob es für sie ausreichen | |
| würde. „Jetzt ist die Ausgangslage deutlich besser als beim vergangenen | |
| Mal“, sagte Bentele der taz – die CDU hat in Berlin in der jüngsten Umfrage | |
| fast doppelt soviel Rückhalt wie vor fünf Jahren. | |
| Bentele hat einen grundsätzlich positiven Blick auf das Interesse der | |
| Wählerschaft an EU-Themen und am Europaparlament. Die Wahl 2019 sei aber | |
| eine besondere gewesen: „Beim letzten Mal hatten wir den Brexit, das hat | |
| die Leute schon besonders motiviert, zur Wahl zu gehen“, sagte sie. „Ich | |
| finde, der durch Russland ausgelöste Krieg in der Ukraine, einem | |
| EU-Beitrittskandidaten, müsste ein ähnliches proeuropäisches Moment | |
| auslösen, die Reaktionen in Ostdeutschland sind aber nicht durchgängig so.“ | |
| 2019 war die Wahlbeteiligung gegenüber der Wahl von 2014 bundesweit um fast | |
| ein Viertel gestiegen, und auch in Berlin von 46,7 auf über 60,6 Prozent. | |
| ## Kleinstparteien haben Chancen | |
| Das vorigen Dienstag veröffentlichte [4][Eurobarometer] zur Stimmung in der | |
| EU-Wählerschaft spricht von einem „positiven Aufwärtstrend bei den | |
| wichtigsten Wahlindikatoren“. Demnach interessieren sich in Deutschland | |
| aktuell 70 Prozent der Befragten für die bevorstehende Europawahl – 2019 | |
| seien es nur 57 Prozent gewesen. Mehr als drei Viertel gaben an, „dass das | |
| Handeln der EU Auswirkungen auf ihr tägliches Leben hat“. Das steht in | |
| gewissem Widerspruch zu einer [5][kurz vor Ostern veröffentlichten | |
| Umfrage], wonach zumindest in Nordrhein-Westfalen nur 41 Prozent den | |
| Wahltermin kannten. | |
| 2019 waren neben den Politikern von Grünen, SPD, Linkspartei und CDU auch | |
| mehrere Vertreter kleiner Parteien ins Europaparlament gekommen. Das war | |
| möglich, weil es bei der Europawahl anders als bei der Bundes- oder | |
| Landtagswahl keine 5-Prozent-Eingangshürde gibt – bei Piratenpartei, | |
| Familien-Partei und Volt reichten [6][schon jeweils 0,7 Prozent für eines | |
| der 96 deutschen Mandate]. Der Bundestag hat zwar 2023 beschlossen, | |
| [7][wieder eine sogenannte „Sperrklausel“ einzuführen], die zwei Prozent | |
| beträgt. Gelten könnte sie jedoch erst bei der Europawahl 2029. | |
| Die gegenwärtig dienstälteste Berliner EU-Parlamentarierin wird nicht mehr | |
| wie zuletzt 2019 für die Linkspartei auf dem Stimmzettel stehen: Martina | |
| Michels, im Dezember 68 geworden, war über 20 Jahre lang Mitglied im | |
| Abgeordnetenhaus und zeitweilig dessen Vizepräsidentin, bevor sie 2013 ins | |
| Europaparlament rückte. | |
| Eine echte Premiere wird die Wahl am 9. Juni für die 16- und 17-Jährigen: | |
| Erstmals überhaupt dürfen Jugendliche zur Abstimmung gehen. Große | |
| Auswirkungen auf das Ergebnis wird das nicht haben, ihr Anteil an den | |
| Wählerstimmen beträgt im Bundesdurchschnitt nur rund 2 Prozent. Stimmen sie | |
| ab wie die ihnen am nächsten liegende Alterskohorte der 18- bis 24-Jährigen | |
| dürften die Grünen etwas von den neuen Wählern profitieren. [8][Bei der | |
| letzten EU-Wahl votierten knapp 35 Prozent] dieser damals jüngsten | |
| Wählergruppe für die Ökopartei. Allerdings war 2019 auch das Jahr von | |
| Fridays for Future und globalen Klimastreiks. Dass die Klimakrise wieder | |
| ein Faktor bei der EU-Wahl wird, ist bisher nicht erkennbar. | |
| 22 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://service.berlin.de/dienstleistung/326063/ | |
| [2] https://www.wahlen-berlin.de/Wahlen/EU2019/afspraes/ergebnisse.html | |
| [3] https://www.jandeniswulff.de/ | |
| [4] https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/3272 | |
| [5] https://www.ksta.de/politik/nrw-politik/diese-partei-kann-in-nrw-bei-der-eu… | |
| [6] https://www.bundeswahlleiterin.de/info/presse/mitteilungen/europawahl-2019/… | |
| [7] https://www.europawahl-bw.de/wahlsystem#c45281 | |
| [8] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2019/Repr-Wahlstatistik… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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