# taz.de -- Essay zu Architekt Werner Düttmann: Erinnerungen an Onkel Werner | |
> Der Architekt Werner Düttmann prägte das Stadtbild Westberlins – positiv | |
> wie negativ. Sein 100. Geburtstag wird mit einer Ausstellung gefeiert. | |
Bild: Stapeln für die Stadtlandschaft: Abriss und Neubau am Berliner Mehringpl… | |
Wer? – Düttmann? … Werner Düttmann? … Ja, Moment … das war doch der | |
Architekt von … und jetzt fängt das Dilemma an: Ja, das war doch der | |
Architekt der bis in die europäischen Nachbarländer, also weit über Berlin | |
hinaus berühmt-berüchtigten „Sozialbauten“ am Kottbusser Tor, im Märkisc… | |
Viertel und am Mehringplatz. – Wenn man gemein und böswillig ist, fängt man | |
mit diesen Bauten an. Oder man verfährt großzügiger: Düttmann? Das war doch | |
der Architekt des Brücke-Museums, der [1][Akademie der Künste und der | |
Bücherei im Hansa-Viertel]. | |
Dieses Dilemma, zwischen Gutmensch und Bösewicht, Heiligenschein und | |
Teufelswerk, das sich der Bandbreite seines Schaffens verdankt, haftet wie | |
ein Etikett am Anzug des ewig rauchenden und gut gelaunten und lächelnden | |
Mannes, dem man nachsagt, er habe „wie kein Zweiter die Geschicke der | |
Architektur und der Stadtplanung im Berlin der Nachkriegsjahre geprägt“ und | |
er sei „zu Lebzeiten eine der zentralen Persönlichkeiten im Stadt- und | |
Kulturleben von West-Berlin“ gewesen. | |
Held oder Antiheld, am Aufbau Beteiligter oder beteiligter Zerstörer von | |
bewahrenswerter Bausubstanz, Architekt oder Erfüllungsgehilfe eines | |
rigorosen „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ – Werner Düttmann bediente vie… | |
Rollen. | |
Zu seinem 100. Geburtstag am 6. März war die Eröffnung einer breit | |
angelegten Ausstellung zu seinem Leben und Werk geplant. Und zwar in einem | |
seiner wohl gelungensten Bauten, nämlich dem Brücke-Museum in Dahlem. Im | |
Jahr 1967 eröffnet, bietet es jederzeit eine intime Atmosphäre für die | |
ausgestellten Werke. Eine Architekturausstellung hat dieses Haus noch nicht | |
erlebt. Wir dürfen gespannt sein. Denn durch Corona bedingt wurde die | |
Eröffnung verschoben auf den kommenden Samstag, den 17. April – der Termin | |
wurde noch nicht dementiert. | |
Ein zweiter Teil der Ausstellung ist, dem Gegenstand entsprechend, ins | |
Freie verlegt worden: Zirka dreißig seiner Bauten (oder solche, an denen er | |
„beteiligt“ war) sind Teil dieser Freiluftausstellung, deren Lage im | |
Stadtbild auf einer Karte einer eigens eingerichteten Düttmann-Homepage | |
(wernerduettmann.de) einzusehen ist. | |
## Zum Teil ernüchternd | |
Vor 28 Bauten sind Infotafeln platziert, denen Daten zu den Objekten zu | |
entnehmen sind; ein Barcode führt zu weiterführenden Infos und Videos. In | |
der Summe ist dieser Teil der Ausstellung aber eher ernüchternd; der | |
ästhetische Mehrwert, ein, sorry, nicht zu unterschätzender Faktor in der | |
Baukunst, hält sich vor den 28 Bauten in Grenzen. Das Herz jedenfalls geht | |
einem nicht auf. | |
Eine dritte Möglichkeit, sich Person und Werk dieses „Strategen des Bauens“ | |
zu nähern, ist der „Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk.“ überschriebene | |
Katalog: Ein Teller Buntes. Oder, treffender, eine „Tüte Buntes“, denn | |
„Tüte“ war der Spitzname dieses Architekten zu seiner Zeit. Der Auftritt | |
dieses Katalogs schwankt zwischen Versandhauskatalog und dickem Bilderbuch | |
(365 Seiten) mit sehr, sehr großen Buchstaben, mit unangenehm | |
angeschnittenen Bildern am Rand und solchen, deren Informationsgehalt in | |
der mittigen Falz verschwindet (ärgerlich zum Beispiel auf der Doppelseite | |
66/67). | |
Die „Werkverzeichnis“ überschriebene Bautenliste ist lausig, sie | |
differenziert beispielsweise nicht zwischen singulären Düttmann-Bauten und | |
solchen, an denen er einen nur mäßigen Anteil hatte. Typografisch und | |
gestalterisch haben sich Verlag, Grafikteam und Herausgeber, um es | |
vorsichtig zu formulieren, nicht ins Zeug gelegt. Definitiv aber bei der | |
Suche nach Autoren, die einen Narren an der Person und dem Werk des | |
Geburtstagskindes gefunden haben respektive ihm Respekt zollen – ohne | |
kritische Distanz. Vieles ist anekdotisch, einiges hagiografisch grundiert. | |
Die Frohnatur von Werner „Tüte“ Düttmann scheint eine gewisse | |
Ansteckungsgefahr zu bergen, vor der sich die Autorinnen und Autoren nicht | |
wirklich zu schützen wussten. Einige flippen geradezu aus bei ihren | |
Ausführungen. Analog zu einem im Katalog abgedruckten Bildbericht, der | |
damit beginnt, wie der Autor „Onkel“ Werner kennenlernte, könnte man die | |
Katalogbeiträge zusammenfassen unter dem Rubrum: „Erinnerungen an Onkel | |
Werner“. | |
## Brücke-Museum als Ikone | |
Na ja, womit also anfangen? Die Chronologie ist in diesem Falle die | |
unbefangenste Methode: 1921 in Berlin geboren, 1942 Unterbrechung des | |
Architekturstudiums, 1948 Beendung des Studiums, ein Jahr England, 1950 | |
erste Heirat, ab 1951 Architekt im Entwurfsamt der Berliner Bauverwaltung. | |
Von 1956 an arbeitet er mehr oder weniger selbstständig in wechselnden | |
Rollen: Als Architekt und Senatsbaudirektor (1960–66), als Professor an der | |
Technischen Universität Berlin (1966–70) und als Präsident der Akademie der | |
Künste, Berlin (1971–83). 1983 stirbt Werner Düttmann. | |
Zu seinen „Ikonen“ gehören diese Akademie (1960) und das Brücke-Museum | |
(1967). Beides eher unaufgeregte und intime Bauten, mit (dem Ort und der | |
Funktion angemessenen) Raumfolgen, angenehmen Materialien, sicherer | |
Lichtführung. Im Maßstab wohltuend und nicht auftrumpfend. Dem Modell | |
Hofhaus folgend jeweils mit einem innenliegenden kleinen Gartenhof, der | |
Licht spendet und die Räume öffnet, belichtet und zugleich organisiert. | |
Es sind Bauten, die um diese präzise Leere quasi herumgebaut sind. Pate | |
standen die Hofhausentwürfe Mies van der Rohes und natürlich der Bungalow | |
als Bautyp. Fast zu klein im Maßstab, im Gegensatz zu den sie umstehenden | |
„Hochhäusern“, tritt dieser Bautyp auch auf in der Hansa–Bücherei, nicht | |
weit vom Akademiegebäude entfernt. | |
Der kleine Maßstab also: Mit den Häusern Salzenbrodt, Dr. Dienst und Dr. | |
Menne realisierte Düttmann drei private Wohnhäuser (1962–66), die als | |
Betonrahmenwerk mit Ziegelausfachungen oder weiß verputzt à la „Weiße | |
Moderne“ auftreten und dem Stil der Zeit entsprechen: nicht auffallend, | |
nicht aufregend (das ist hier positiv gemeint), aber auch nicht besonders | |
raffiniert oder innovativ. Bauen an der Naht der Zeitläufte entlang. | |
Aus seiner Zeit als Architekt in der Bauverwaltung stammt das Kleinod der | |
Verkehrsinselbauten an der Ecke Ku’damm/Joachimsthaler Straße mit der | |
Verkehrskanzel und einem Kiosk. In Berlin macht man daraus gleich | |
Weltwunder. | |
## Es geht auch anders | |
Berlin hing zu dieser Zeit am Tropf, am Tropf des Bundes. Dieser Umstand | |
zeitigte einen Subventionsschub vor allem für die Bauindustrie und die | |
Wohnungsbaugesellschaften. Ein Paradies für Haie, ein Becken für Meister | |
der Abschreibungsmodelle und für Rohrleger, die die entsprechenden | |
Richtungen kannten für die üppig fließenden Steuergelder. Mittendrin | |
„Tüte“. | |
Die städtebaulichen Visionen, auch die von Werner Düttmann, logierten unter | |
dem Mantel „Urbanität durch Dichte“, womit in der Regel gemeint war, auf | |
einer möglichst geringen Fläche möglichst viele Wohnungen zu stapeln. Man | |
benötigte im Berlin der Nachkriegszeit vor allem Wohnraum. | |
Für die Innenstadt entwickelte [2][Hans Scharoun], bei dem Düttmann | |
kurzzeitig an der TU studierte, das Modell der „Stadtlandschaft“ – die al… | |
gewachsene Stadt war das Feindbild, das es zugunsten „verdichteter“ Modelle | |
zu beseitigen galt. Statt an der Struktur (und Dichte!) dieser alten Stadt | |
weiterzubauen, riss man großflächig ganze Quartiere ab und ersetzte die | |
Flächen mit Großbauten, die von ihrer Typologie her an den Stadtrand | |
gehören. | |
Dieses „Flächensanierung“ genannte Vorgehen kann man rund um den | |
Mehringplatz studieren. Oder am Kottbusser Tor. In beiden Fällen ist | |
derjenige, der die Strategie (die Rahmenplanung) entwickelte und hier | |
einige entsprechend groß- beziehungsweise unmaßstäbliche Bauten entwarf, | |
Werner Düttmann. | |
Das alte Sozialgefüge zerstört, Umsiedlung der Bewohner in die | |
Stadtrandsiedlungen, Mietsteigerungen gegenüber dem Altbau, Anonymität | |
statt Nachbarschaft, Verlust kleinteiligen Handels und Gewerbes. Derart | |
entstandene Orte nennen wir heute städtische Unorte. Den kleinen Maßstab | |
beherrschte er – den großen nicht. | |
12 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kieren | |
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