# taz.de -- Erste Unesco-Auszeichung für Haiti: Suppe der Freiheit | |
> Die Unesco hat die haitianische Neujahrssuppe Soupe Joumou als | |
> Weltkulturerbe klassifiziert. Das ist kulturell und politisch | |
> hochinteressant. | |
Bild: Port-au-Prince 2019: Straßenverkäuferinnen bieten Ingredienzien der Sou… | |
Bis die gute Nachricht aus Haiti verkündet werden kann, erst noch zwei | |
schlechte: Auch das neue Jahr hat auf der von einer Katastrophe zur | |
nächsten taumelnden Karibikinsel mit Gewalt begonnen. Dem amtierenden | |
Premierminister Ariel Henry, Nachfolger des ermordeten Jovenel Moïse, wurde | |
in der Stadt Gonaïves am Neujahrstag nach dem Leben getrachtet. In deren | |
Kathedrale hatte Henry zuvor eine Messe zur Feier der [1][Unabhängigkeit | |
von Frankreich am 1. Januar 1804] besucht. Eine „bewaffnete Gang“ hatte den | |
Politiker ausdrücklich davor gewarnt, seinen Fuß in die Stadt zu setzen. | |
Vor der Kirche entbrannte während der Messe eine Schießerei, in deren | |
Verlauf ein Mensch getötet wurde. Der Premier und sein Konvoi mussten | |
Schutz hinter einer Mauer suchen, blieben unverletzt. Für den kommenden | |
Juli hat Henry, der interimistisch sein Amt ausübt, Wahlen in Haiti | |
angesetzt. Ob sie angesichts von grassierender Armut und Ganggewalt | |
überhaupt abgehalten werden können, erscheint fraglich. | |
Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die USA einen kolumbianischen | |
Staatsbürger in Panama haben verhaften lassen. Er soll zu einer Gruppe von | |
26 Sicarios und zwei Haitianern gehören, die dringend der Ermordung von | |
Jovenel Moïse verdächtigt werden. Jene Personengruppe hatte sich am 7. Juli | |
2021 als US-Drogenbehörde DEA ausgegeben und mit der Behauptung, eine | |
Razzia durchzuführen, Zugang zum Anwesen des haitianischen Präsidenten | |
verschafft, wo sie ihn dann mit mehr als 20 Schüssen hingerichtet haben | |
sollen und seine Frau schwer verletzten. | |
## Wann kommt es zum Prozess? | |
Inzwischen sind zwar alle Verdächtigen, so sie nicht selbst bei der | |
Schießerei getötet wurden, in Haft. Wann den Söldnern der Prozess gemacht | |
werden kann, steht noch nicht fest, und wie die haitianische Justiz diese | |
Verhandlung bewerkstelligen kann, auch nicht. | |
Am 1. Januar, dem haitianischen Unabhängigkeitstag, wird traditionell am | |
Morgen Soupe Joumou serviert: Familie, Nachbarn und Freunde sind | |
eingeladen, die „Suppe der Freiheit“ zu löffeln. Sie besteht aus | |
mariniertem Rindfleisch, Möhren, Kohlrabi und Grünkohl und wird mit | |
reichlich Knoblauch und scharfem Scotch-Bonnet-Chili gewürzt. | |
Wichtig für den Sud ist ein pürierter Kürbis der Sorte Kabocha und die | |
Malangawurzel (Cocoyam), deren Stärke auch die Textur der Suppe bestimmt. | |
Einst den weißen Plantagenbesitzern zum Essen vorbehalten, ist Soupe Joumou | |
längst zum Symbol für die [2][Befreiung Haitis] von der französischen | |
Kolonialherrschaft geworden. Heute symbolisiert diese Neujahrstradition | |
für Haitianer und eine immer größer werdende haitianische Diaspora in | |
aller Welt zudem Einheit. | |
## Kosten zu hoch? | |
Die Unesco hat der Soupe Joumou nun den Status [3][Weltkulturerbe] | |
verliehen, zum ersten Mal überhaupt, dass ein Kulturgut aus Haiti in die | |
Liste aufgenommen wurde, und die Freude auf Haiti ist groß. Dass sich | |
gewöhnliche Haitianer:Innen die Suppe momentan leisten können, scheint | |
angesichts der verheerenden Lage allerdings unwahrscheinlich. Umso | |
wichtiger ist es, an die vielfältigen Traditionen zu erinnern, die mit der | |
Soupe Joumou verbunden sind. So sind in ihr Rezept afrikanische, | |
französische und karibische Ideen eingeflossen. | |
Über Jahrhunderte hat die aus Afrika stammende kommunenartige | |
Ackerbaustruktur „Koumbite“ den Menschen auf Haiti trotz aller | |
Naturkatastrophen und Gewaltdiktaturen das Überleben durch Gemüseanbau | |
gesichert. Die ehemals reichste französische Kolonie hatte sich vor 218 | |
Jahren nach einer verlustreichen Revolution als erste schwarze Republik | |
unabhängig erklärt und die Sklaverei beendet. Hohe Reparationen an die | |
einstige Kolonialmacht trieben die Insel im 19. Jahrhundert in den Ruin. | |
Heute gilt Haiti als eines der ärmsten Länder der Welt. | |
Seitdem der Schriftsteller [4][Hubert Fichte] in den 1970ern das Land für | |
seine „Xango“-Studien bereist hat, interessierte sich kaum mehr jemand in | |
Deutschland für Haitis Schicksal. „Ich gehe aus Haiti nicht als Sieger | |
hervor“, hat Fichte damals geschrieben. „Meine Aufzeichnungen sind die | |
Aufzeichnungen von Irrtümern, Fehlschlüssen und Kurzschlusshandlungen.“ | |
7 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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