# taz.de -- Ergebnisse des Schulbarometers: Immer mehr Gewalt an Schulen | |
> In einer Befragung berichtet fast jede zweite Lehrkraft von Gewalt | |
> zwischen Schüler:innen. Der Unterrichtsalltag werde immer | |
> herausfordernder. | |
Bild: Schule ist ein Ort, an dem es öfter Gewalt zwischen SchülerInnen gibt: … | |
BERLIN taz | An Schulen in Deutschland ist Gewalt unter Schüler:innen | |
weit verbreitet. Das ist ein zentraler Befund [1][des „Deutschen | |
Schulbarometers“], das die Robert Bosch Stiftung am Mittwoch veröffentlicht | |
hat. Demnach beobachtet bundesweit fast jede zweite Lehrkraft psychische | |
oder physische Gewalt an ihrer Schule. An Brennpunkt- sowie Förder- und | |
Sonderschulen erkennen sogar mehr als zwei Drittel der Befragten ein | |
Gewaltproblem. | |
Dazu passt, dass Lehrkräfte die größten Herausforderungen für ihren | |
Unterricht im Verhalten der Schüler:innen (35 Prozent) und im Umgang mit | |
heterogenen Klassen (33 Prozent) sehen – noch vor der eigenen | |
Arbeitsbelastung (28 Prozent) oder dem hohen Personalmangel (26 Prozent). | |
Auch hier zeigt sich: Bestimmte Schulen sind besonders stark betroffen: An | |
Haupt-, Real-, Gesamt- sowie Berufsschulen ist das Sozialverhalten der | |
Schüler:innen nach Eindruck der Lehrer:innen besonders auffällig. | |
Dagmar Wolf, die bei der Bosch-Stiftung den Bereich Bildung leitet, spricht | |
von „drastischen Zahlen, die miteinander zusammenhängen und sich | |
gegenseitig bedingen“. Besonders besorgniserregend ist aus ihrer Sicht, | |
dass bereits an Grundschulen fast die Hälfte der Lehrkräfte von | |
[2][Gewaltvorfällen] berichtet. „Bei diesem Thema haben wir auch als | |
Gesellschaft ein Problem“, so Wolf. | |
Die Entwicklung der vergangenen Jahre deute darauf hin, dass sich die | |
negativen Trends in Zukunft noch weiter verschärfen dürften. Als Beispiel | |
nennt Wolf die Heterogenität in den Klassen. So hätten das im | |
Schulbarometer 2023 noch 35 Prozent der Grundschullehrer:innen als | |
Problem wahrgenommen – in der aktuellen Erhebung sind es 45 Prozent. Drei | |
Viertel der Lehrkräfte sehen darin sogar ein großes Hindernis für | |
inklusiven Unterricht. | |
## Enormer psychischer Druck | |
Seit 2019 bringt die Bosch-Stiftung mit dem Schulbarometer regelmäßig eine | |
repräsentative Umfrage zum Arbeitsalltag an Schulen heraus. Für das | |
aktuelle Barometer wurden Ende 2023 mehr als 1.600 Lehrkräfte in allen | |
Bundesländern befragt. Neben den aktuellen Herausforderungen und der Gewalt | |
an Schulen fragten die Forscher:innen unter anderem auch nach | |
Förderangeboten im Unterricht, Fortbildungen, dringenden Maßnahmen an der | |
eigenen Schule sowie nach der Zufriedenheit der Lehrkräfte in ihrem Beruf. | |
Besorgniserregend ist aus Sicht der Autor:innen auch die psychische | |
Gesundheit der Lehrkräfte. So gab über ein Drittel der Befragten (36 | |
Prozent) an, mehrmals in der Woche emotional erschöpft zu sein. „Die | |
emotionale Erschöpfung ist ein zentrales Symptom von Burnout“, sagt die | |
Kieler Bildungsforscherin und Co-Autorin Uta Klusmann. | |
Das sei nicht nur eine wichtige Beobachtung für den Personalmangel – laut | |
Schulbarometer denkt jede vierte Lehrkraft über einen Berufswechsel nach. | |
Das Wohlbefinden der Lehrkraft wirke sich auch auf die Unterrichtsqualität | |
und die Stimmung im Kollegium aus. Deshalb müsse man die hohen Zahlen ernst | |
nehmen – und überlegen, wie man Lehrkräfte entlasten könne. | |
Insgesamt sprechen die Autor:innen von den „dramatischen Auswirkungen | |
der Bildungskrise in den Schulen“. Sie fordern unter anderem mehr | |
Anstrengungen bei der Inklusion und beim Erreichen der gewünschten | |
Kenntnisse an Grundschulen sowie eine neue Fortbildungs- und Feedbackkultur | |
für Lehrkräfte. | |
## „Mehr Zeit für das Wesentliche“ | |
Aus Sicht des Deutschen Lehrverbands reicht das nicht aus: Er fordert mehr | |
Personal, attraktivere Arbeitsbedingungen für alle Schulbeteiligten sowie | |
„mehr Zeit für das Wesentliche“. Aus Sicht des Lehrerverbands sind das vor | |
allem Unterricht, Projekte, Fahrten und Fortbildungen: „Wenn Lehrkräfte in | |
der Schule einen großen Teil der eigentlichen Unterrichtszeit aufwenden | |
müssen, um sich mit problematischem Verhalten der Schülerinnen und Schülern | |
und mit der Schlichtung von Konflikten auseinanderzusetzen, bleibt weniger | |
Zeit für guten Unterricht“, sagte Lehrverbandschef Stefan Düll am Mittwoch. | |
Das gehe zulasten der Lernenden und zermürbe das Lehrpersonal. Düll fordert | |
deshalb mehr Personal für Sozial- und Jugendarbeit, Schulassistenz und | |
Schulpsychologie, sowie die langfristige Finanzierung von | |
Präventionsprogrammen gegen Mobbing und Gewalt. | |
Mit der Betonung langfristiger Förderung spielt Düll auf das Hin und Her | |
bei vom Bund geförderten Demokratieprojekten an. Deren Finanzierung für das | |
Jahr 2024 stand zwischenzeitlich auf der Kippe, was im vergangenen Jahr für | |
große Verunsicherung bei den Trägern sorgte. Zwar können die Förderzeiten | |
ab kommenden Jahr laut Ampelbeschluss erstmals auch acht Jahre betragen – | |
eine dauerhafte Finanzierung scheiterte aber am Veto der FDP. | |
Politiker:innen der Ampel verweisen auf [3][das beschlossene | |
„Startchancen-Programm“], über das Schulen im sozialen Brennpunkt ab | |
kommenden Schuljahr für zehn Jahre zusätzliches Geld erhalten, unter | |
anderem für die Schulsozialarbeit. | |
„Wenn sich Gewalt unter Schülern häuft, dann brauchen Schulen gezielte | |
Maßnahmen, mit geschultem Personal“, sagt die bildungspolitische Sprecherin | |
der FDP im Bundestag, Ria Schröder der taz. Lehrkräfte dürften dabei nicht | |
alleingelassen werden, sondern müssen von Sozialarbeitern und | |
Schulpsychologen unterstützt werden. Mit dem „Startchancen-Programm“ | |
fördere die Bundesregierung, [4][dass an Schulen mehr multiprofessionelle | |
Teams entstehen.] | |
## Viel mehr registrierte Gewaltvorfälle | |
Ähnlich äußert sich die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska | |
Krumwiede-Steiner: Die geplante Aufstockung der multiprofessionellen Teams | |
entlaste Klassen mit verhaltensauffälligen Schüler:innen und schaffe | |
Angebote im Bereich psychosozialer, emotional-sozialer Kompetenzen. | |
Die Bundesländer sehen sich aber auch jetzt schon gut gerüstet, wie eine | |
taz-Umfrage unter den Ländern zeigt. Niedersachsen etwa hat in diesem Jahr | |
60 Stellen für Schulsozialarbeit sowie 36 Stellen aus der Schulpsychologie | |
dauerhaft verstetigt. Zudem könnten sich Fachkräfte an Schulen landesweit | |
zu „mentalen Ersthelferinnen und Ersthelfern“ ausbilden lassen. Auch | |
Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Sachsen verweisen auf spezifische | |
Programme für die psychische Gesundheit an Schulen. Etwa das „Mindful | |
Teachers Program“, das aktuell an 30 sächsischen Schulen angeboten wird. | |
In Bayern gibt es laut dem dortigen Kultusministerium ein „flächendeckendes | |
Beratungsnetz“, zu dem rund 1.850 Lehrkräfte und 1.070 | |
Schulpsycholog:innen (bei insgesamt rund 5.500 Schulen) gehören. Der | |
Berliner Senat teilt mit, dass es bei den Schulpsychologen:innen | |
„sukzessive einen Aufwuchs“ gegeben habe. Und im Saarland wurde die Anzahl | |
der Schulsozialarbeit:innen seit 2019 verdoppelt, sodass | |
„grundsätzlich alle saarländischen allgemeinbildenden Schulen über | |
Schulsozialarbeit“ verfügen. | |
Gleichzeitig registrieren die Ministerien aber auch eine Zunahme der Gewalt | |
an Schulen. „Wir erleben insgesamt in der Gesellschaft, dass der Respekt | |
gegenüber Mitmenschen gesunken ist“, heißt es beispielsweise aus dem | |
saarländischen Bildungsministerium. Auch Schulen blieben von solchen | |
Entwicklungen nicht verschont. Das belegen auch die Statistiken zu | |
Gewaltdelikten an Schulen, die die taz bei den Innen- und Polizeibehörden | |
abgefragt hat. In vielen Bundesländern ist sie in den vergangenen Jahren | |
deutlich gestiegen. | |
In Sachsen-Anhalt beispielsweise gab es im Schuljahr 2022/23 insgesamt 164 | |
Gewaltvorfälle, im Schuljahr zuvor waren es noch 108. In Niedersachsen | |
zählte die Polizei im vergangenen Jahr 2.850 Delikte, rund 400 mehr als | |
noch 2019. Auch in Sachsen beobachtet das Ministerium, dass „Vorkommnisse | |
mit sprachlicher und körperlicher Gewalt zugenommen“ haben. Im Jahr 2022 | |
waren es insgesamt 1.976 Fälle von Straftaten an Schulen und auf | |
Schulhöfen. Besonders stark fällt der Zuwachs in Mecklenburg-Vorpommern | |
aus: Dort waren es im letzten Vorpandemie-Schuljahr 551 Gewaltdelikte – | |
zuletzt ist die Zahl auf 1.262 gestiegen. | |
Die Ministerien weisen allerdings darauf hin, dass die Zahlen nicht | |
bedeuten müssen, dass es heute auch zu mehr Gewalt an Schulen kommt. Der | |
Grund für den Anstieg könnte auch darin liegen, dass die Schulen | |
mittlerweile stärker sensibilisiert für das Thema Gewalt seien und heute | |
mehr Fälle zur Anzeige bringen als noch vor einigen Jahren. Ein Indiz für | |
diese Theorie liefert Brandenburg. Dort sind im vergangenen Jahr nach dem | |
rechtsextremen Vorfall in Burg deutlich mehr rechtsextreme Vorkommnisse | |
gemeldet worden als sonst. | |
Wahr ist aber auch: In vielen Ländern gibt es bis heute keine Pflicht, dass | |
Schulen Fälle von Gewalt oder Mobbing melden müssen. | |
24 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/das-deutsche-schulbarometer/lehrkr… | |
[2] /Demokratieexperte-ueber-rechte-Gewalt/!5998558 | |
[3] /Programm-fuer-mehr-Bildungsgerechtigkeit/!6004052 | |
[4] /Schule-im-Brennpunkt/!5988974 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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