# taz.de -- Erdbeben in Türkei und Syrien: Alleingelassen | |
> Die türkische Regierung beschlagnahmt Hilfsgüter, die deutsche Regierung | |
> macht Visa kaum erreichbar. Wie können wir den Menschen jetzt helfen? | |
Bild: Menschen stellen sich an um Hilfsgüter zu erhalten in einem behelfsmäß… | |
Fast drei Wochen ist nun das erste von [1][einer Reihe verheerender | |
Erdbeben in der Türkei und Syrien] her, noch immer gibt es Menschen, die | |
auf der Straße ausharren müssen. Betroffene aus der Südosttürkei bitten auf | |
Social Media verzweifelt um Zelte, weil die Nächte so kalt sind draußen. | |
Auch ihre Toten scheinen bislang nicht alle geborgen zu sein. Die türkische | |
Regierung aber weist alle Vorwürfe zurück. „Schufte“ nannte Erdoğan | |
kürzlich im Fernsehen jene Betroffenen, die behaupteten, der staatliche | |
Katastrophenschutz helfe ihnen nicht. | |
Derweil häufen sich Berichte über beschlagnahmte Hilfsgüter. Die Regierung | |
in Ankara wolle die Verteilung zentral organisieren, heißt es, in der | |
Praxis aber verzögert das die Ankunft von Lebensmitteln, warmer Kleidung | |
und Unterkünften in den betroffenen Gebieten. Das Gegenteil von gut ist | |
auch nicht gut gemeint, sondern gleichgültig. Recherchen legen nahe, | |
[2][dass kurdische und alevitische Dörfer systematisch benachteiligt | |
werden] bei der Verteilung. Die Zivilbevölkerung ist somit in weiten Teilen | |
des Gebiets auf sich allein gestellt und versucht, an den Verwaltungen und | |
Beschlagnahmungen vorbei zu helfen. So gut wie es eben mitten in einer | |
schweren Wirtschaftskrise geht. | |
Um mich herum beobachte ich immer mehr Menschen in der Diaspora, die mit | |
relativ kleinen, aber originellen Initiativen versuchen, Geld zu sammeln, | |
weil auch hier die bloße Spendenbereitschaft mit der steigenden Inflation | |
sinkt. Mal wird für einzelne Orte gesammelt, zu denen ein direkter Kontakt | |
besteht, mal für Vereine, die versuchen an die schwerer zugänglichen Orte | |
beispielsweise in Nordsyrien zu gelangen. | |
KüFas (Küchen für alle) werden aus dem Boden gestampft, Konzerte | |
organisiert, Märkte veranstaltet, Fundraiser-Partys geschmissen, T-Shirts | |
gedruckt, Schreib-Coachings gegen Spenden angeboten. Aus der Ferne mag sich | |
ein drei- bis vierstelliger Betrag, der mit so einer Initiative bestenfalls | |
zustande kommt, nichtig anfühlen angesichts der großflächigen Verwüstung. | |
Bedenkt man aber, dass der monatliche Mindestlohn in der Türkei bei 425 | |
Euro liegt, kann wirklich jeder Euro eine warme Mahlzeit für jemanden | |
bedeuten. | |
## Immer noch strenge Auflagen | |
Was kann man aber derzeit mehr tun, als Geld rüberzuschicken? Die | |
Bundesregierung [3][machte den syrischen, türkischen und kurdischen | |
Communitys Hoffnungen], als nach dem ersten Erdbeben Visa-Erleichterungen | |
angekündigt wurden. Viele Betroffene haben Verwandtschaft in Deutschland, | |
bei der sie unterkommen könnten, bis es wieder bewohnbare Häuser und eine | |
lebenswerte Infrastruktur gibt. Ernüchterung folgte, als die | |
„Erleichterungen“ konkreter wurden, die alles sind, bloß nicht leicht: Für | |
syrische Staatsbürger_innen ist es praktisch immer noch unmöglich, Visa zu | |
beantragen, wenn sie nicht in der Türkei leben. | |
Für alle anderen hat das Visa-Verfahren derweil [4][immer noch strenge | |
Auflagen] für Bürgschaften (500 Euro pro Gast pro Monat müssen vom | |
Einladenden über die eigenen Fixkosten hinaus garantiert werden). Es bleibt | |
auch die bürokratische Auflage, eine hier im Amt erstellte | |
Verpflichtungserklärung im Original per Post in die Türkei zu senden, damit | |
dort überhaupt ein Antrag gestellt werden kann. | |
Der einzige Unterschied zum bisherigen Verfahren ist, dass es beschleunigt | |
werde und das Visum in fünf Tagen bereitstehe. Dafür muss man aber erst an | |
einen Termin beim Landesamt für Einwanderung kommen, wo die | |
Verpflichtungserklärungen abgegeben werden. In Berlin etwa gibt es erst | |
wieder Mitte April Termine. | |
Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete wird Jahre dauern, unsere | |
Aufmerksamkeit möglicherweise in ein paar Wochen schon einer anderen Krise | |
gelten. Insofern ist jede Initiative derzeit von großer Bedeutung. Esst in | |
KüFas, kauft bei Soli-Märkten. Wenn schon die Regierungen ihre Bürger_innen | |
alleinlassen, sollten wir für einander da sein. | |
25 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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