| # taz.de -- Erdbeben in der Türkei und in Syrien: Eine Katastrophe auch hierzu… | |
| > Zehntausende Hamburger*innen haben familiäre Wurzeln in der Türkei | |
| > und in Syrien. Deshalb ist das Erdbeben auch ein Hamburger Thema. | |
| Bild: Die Katastrophe betrifft viele Hamburger*innen direkt: Gedenkveranstaltun… | |
| Nach den gewaltigen Erdbeben in der Türkei und in Syrien habe ich sehr viel | |
| dazu gelesen und gehört. Zum Beispiel einen Tweet einer Frau in | |
| Deutschland, deren Familie in der Türkei vom Erdbeben betroffen ist. Sie | |
| schrieb, sie fühle sich verletzt, weil keine ihrer Kolleg*innen sich | |
| nach ihrer Familie erkundigt hat. | |
| Das Ausmaß der [1][Katastrophe] ist unfassbar groß und schmerzvoll. Die | |
| Schätzungen, wie viele Menschen gestorben sind, steigen immer noch. Auch | |
| für mich persönlich waren die Wochen seit dem 6. Februar von diesem Thema | |
| bestimmt. Aber warum ist das auch ein Hamburger Thema? | |
| Weil ungefähr 44.000 Menschen in Hamburg familiäre Wurzeln in der Türkei | |
| haben. Fast 18.000 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit leben in | |
| unserer Stadt, einer davon ich. Die allermeisten von ihnen, ihre | |
| Partner*innen, Verwandten und Freund*innen, werden von den Beben | |
| betroffen sein. | |
| Wie in anderen Notfällen hat die Hamburger [2][Zivilgesellschaft] schnell | |
| und hilfsbereit reagiert. Es gab große [3][Spendenaktionen], es sind | |
| Lastwagen mit Hilfsgütern in die Türkei gefahren und auch Einzelne haben | |
| Hilfe geschickt. Es gab eine Gedenkveranstaltung auf dem Rathausplatz, an | |
| der doppelt so viele Menschen teilgenommen haben wie erwartet. | |
| Gleichzeitig fällt mir jetzt im Nachhinein auf, dass mich nur drei | |
| Freund*innen, die selbst nicht betroffen sind, nach der Situation meiner | |
| Familie gefragt haben. | |
| Vielleicht, weil viele in meinem sozialen Umfeld wissen, dass meine Familie | |
| nicht im Erdbebengebiet lebt. Vielleicht, weil ich noch in derselben Woche | |
| einen Artikel für [4][kohero] geschrieben habe. Da habe ich unter anderem | |
| erwähnt, dass meine Familie nicht direkt betroffen ist. Vielleicht haben | |
| auch nur wenige in meinem Umfeld diese Verbindung zwischen dem Erdbeben und | |
| mir persönlich gesehen. | |
| Doch ich frage mich: Wie viele nicht-betroffene Hamburger*innen haben | |
| sich um das Wohl ihrer Freund*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen, oder | |
| Bekannten gesorgt? Wie viele haben nachgefragt: „Geht es dir gut? Wie geht | |
| es deiner Familie? Wenn du etwas brauchst, ich bin für euch da.“ | |
| Es geht mir hier nicht darum, die Reaktion von Einzelnen schlecht zu | |
| machen. Ich suche nur nach Aufmerksamkeit für die persönliche Ebene, nach | |
| Anteilnahme von Hamburger*innen für Hamburger*innen. | |
| Viele Syrer*innen haben hier ihr Exil gefunden und leben doch in | |
| Einsamkeit. Viele sind in den vergangenen Jahren zu deutschen | |
| Staatsbürger*innen geworden, haben hier neue Leben aufgebaut. Und nun | |
| sehen sie, wie ihre ehemaligen Schulen, ihre früheren Lieblingsorte, oder | |
| die Heimaten ihrer Familien ausgelöscht sind. Facebook ist der Ort, an dem | |
| sie Kontakt mit anderen finden und sich austauschen. Auch im Kontext des | |
| Erdbebens war Facebook ein wichtiger Kanal, um sich einerseits umeinander | |
| zu kümmern und Hilfe zu suchen oder anzubieten. Es war auch ein Ort, um | |
| ihren Schmerz und ihre Enttäuschung zu teilen. | |
| Für das [5][Forschungsprojekt „becoming a minority“] wurden Menschen ohne | |
| Migrationshintergrund in sechs europäischen Großstädten befragt. In einem | |
| Interview erzählte einer der Projektleiter, dass Hamburger*innen zwar | |
| sehr positiv auf kulturelle Vielfalt und Migration in ihren Nachbarschaften | |
| reagierten, aber gleichzeitig kaum Freund*innen mit Migrationsgeschichte | |
| hatten. Es gab deutlich weniger sogenannte „interethnische“ Freundschaften | |
| und Partnerschaften als in den anderen Städten. | |
| Neben den vielen anderen Herausforderungen, die dieses Erdbeben gebracht | |
| hat, zeigt es für mich, dass wir untereinander mehr Kontakt, mehr | |
| Freundschaften, mehr Nachbarschaft brauchen. | |
| 2 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erdbeben-in-der-Tuerkei-und-Syrien/!t5914521 | |
| [2] /Erdbeben-in-Tuerkei-und-Syrien/!5915433 | |
| [3] /Anlaufstellen-in-Berlin/!5914489 | |
| [4] https://www.kohero-magazin.de/ | |
| [5] https://bamproject.eu/de/project | |
| ## AUTOREN | |
| Hussam Al Zaher | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Hamburger, aber halal | |
| Erdbeben in der Türkei und Syrien | |
| Hamburg | |
| Solidarität | |
| Offene Gesellschaft | |
| Türkei | |
| Ägypten | |
| Türkei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Türkei und Syrien: Das Erdbeben traf nicht alle gleich | |
| Die Mittel- und Oberschicht hat das Katastrophengebiet in der Türkei | |
| verlassen. Zurück bleiben die Mittellosen, darunter die Geflüchteten aus | |
| Syrien. | |
| Syrien nach dem Erdbeben: Assad wird wieder salonfähig | |
| Ägyptens Außenminister besucht Syriens Diktator. Auch Oman und die | |
| Vereinigten Arabischen Emirate nähern sich Damaskus an– das Beben macht's | |
| möglich. | |
| Erdbeben in Türkei und Syrien: Alleingelassen | |
| Die türkische Regierung beschlagnahmt Hilfsgüter, die deutsche Regierung | |
| macht Visa kaum erreichbar. Wie können wir den Menschen jetzt helfen? |