# taz.de -- Energiewende in Deutschland: Als Bayern auf den Wasserstoff kam | |
> In Sachen Energiewende will sich Bayern nichts vormachen lassen. Der | |
> letzte Schrei im Freistaat ist momentan Wasserstoff. | |
Bild: Im bayerischen Pfeffenhausen soll ab nächstem Sommer grüner Wasserstoff… | |
PFEFFENHAUSEN taz | Dorthin, wo die Zukunft beginnt, kommt man derzeit nur | |
zu Fuß. Tobias Brunner holt einen vorne an der Landstraße ab. Denn die | |
Zufahrt zur Baustelle wird gerade asphaltiert. Brunner, der neben der | |
dampfenden Asphaltschicht durch die Böschung stapft, legt gleich los: Alles | |
im Zeitplan, berichtet er, in Rekordgeschwindigkeit werde hier gerade der | |
zweite bayerische Elektrolyseur hochgezogen. Wobei: Ein Rekord ist es | |
natürlich nur nach deutschen Maßstäben. | |
Von 2016 bis 2019 habe er ein Projekt in der Nähe von Peking umgesetzt, | |
erzählt Brunner, da gehe alles doppelt so schnell. Aber wir sind hier nicht | |
in China, sondern in der niederbayerischen Provinz, und da erfüllt es ihn | |
doch mit Stolz, dass an dieser Stelle schon im nächsten Sommer grüner | |
Wasserstoff hergestellt werden wird. | |
Brunner ist promovierter Ingenieur, seit gut 20 Jahren beschäftigt er sich | |
beruflich mit nichts anderem als Wasserstoff. Rund zehn Jahre war er bei | |
BMW, zuletzt als Gesamtentwicklungsleiter für das Technologieprojekt | |
Wasserstoffbrennstoffzelle. | |
Der 50-jährige Oberbayer ist einer, dem es nie schnell genug gehen kann. | |
Ganz grundsätzlich im Leben, besonders aber in Sachen Wasserstoff. „Wir | |
haben keine Zeit zu verlieren“, sagt er. 2015 hat er BMW verlassen – „weil | |
ich die Geduld nicht hatte“. Mit einer Partnerin gründete er die Firma | |
Hynergy und betätigt sich mit dieser vor allem an der „Schnittstelle | |
zwischen erneuerbarer Energie und Wasserstoff“. Brunner ist ein zu 100 | |
Prozent Überzeugter. Sein Auto: ein Hyundai Nexo, eines der wenigen | |
Wasserstoffmodelle. | |
## Die CSU hat den Wasserstoff für sich entdeckt | |
Jetzt also: Pfeffenhausen statt Peking, eine 5.000-Einwohner-Gemeinde | |
mitten in der Hallertau, dem berühmten Hopfenanbaugebiet, gelegen. Hier | |
errichtet nun die Firma Hy2B, eine Hynergy-Ausgründung, an der auch drei | |
bayerische Landkreise und drei Energiegenossenschaften beteiligt sind, | |
einen der Elektrolyseure, mit denen die Staatsregierung den Freistaat | |
übersäen will. Es ist der zweite, nur das oberfränkische Wunsiedel war noch | |
schneller und produziert bereits. | |
Viel ist von der Anlage noch nicht zu erahnen. Ein knapper Hektar planierte | |
Fläche, die Baugrube der künftigen Halle und ein riesiges Baustellenschild | |
– mehr kriegt man hier, rund einen Kilometer von der Ortsausfahrt | |
Pfeffenhausens entfernt, nicht zu Gesicht. Auf dem Weg hierher hat man | |
zuvor einen mobilen Hühnerstall und ein abgeerntetes Hopfenfeld passiert; | |
hinter dem Grundstück liegt ein kleines Wäldchen. Am Rand steht noch ein | |
Jägerstand. | |
Brunner zeigt in Richtung Wald: Dahinter, Luftlinie etwa 1,8 Kilometer von | |
hier, entsteht gerade die Solaranlage. Sie wird schon fertig sein, wenn der | |
Elektrolyseur im Juli oder August den Betrieb aufnimmt. Zwei Windräder | |
sollen das Ensemble spätestens in drei Jahren komplettieren. Die Leitungen | |
zur Photovoltaikanlage sind bereits verlegt, auf der Baustelle schauen die | |
Kabel aus dem Boden. | |
Im September waren sie hier, Ministerpräsident Markus Söder, | |
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, Vertreter des | |
Bundesverkehrsministeriums und der Investoren. Zu dreizehnt haben sie sich | |
fürs Bild aufgereiht, elf Männer und zwei Frauen, mit dem Spaten in der | |
Hand, Söder selbstverständlich in der Mitte. Es geht schließlich um ein | |
Vorzeigeprojekt. | |
440 Tonnen grüner Wasserstoff sollen hier jährlich produziert werden, in | |
einem zweiten Schritt aufrüstbar auf bis zu 1.000 Tonnen. Vor allem | |
Wasserstoff-Tankstellen für Busse und Lastwagen werden von hier aus | |
beliefert. So baut man im Münchner Süden eine Tankstelle, bei der sich | |
künftig zehn Linienbusse der Hauptstadt ihren Stoff holen. Mit dem | |
Wasserstoff aus Pfeffenhausen lassen sich schon in der ersten Ausbaustufe | |
bis zu 4.500 Tonnen CO2 jährlich einsparen. | |
## Verzicht ist nicht so Aiwangers Ding | |
Der Elektrolyseur ist jedoch nur der Anfang. Gleich daneben entsteht eines | |
von vier Technologie- und Anwenderzentren für grünen Wasserstoff in | |
Deutschland. Die anderen drei Standorte sind in Chemnitz, Duisburg und im | |
Raum Hamburg. Hier sollen Firmen ihre Entwicklungen testen können. | |
Seit einigen Monaten haben auch die CSU und allen voran ihr Chef Söder den | |
Wasserstoff für sich entdeckt: Ob beim Parteitag in Augsburg oder der | |
Haushaltsklausur des Kabinetts, das Thema, das bisher eher unter „ferner | |
liefen“ im Gesamtpaket der Söder’schen „Hightech-Agenda“ auftauchte, i… | |
mittlerweile omnipräsent. Vom „Energie- und Klimaturbo“ spricht der | |
Ministerpräsident dann. Den Bau von bayernweit 50 Elektrolyseuren will er | |
vorantreiben, 150 Millionen Euro sollen in das Projekt fließen. | |
Gleichzeitig reist er etwa nach Kroatien, um die Möglichkeiten künftiger | |
Wasserstoffimporte auszuloten. Das Ziel: unabhängig von Russland werden – | |
und von Norddeutschland. Klotzen, nicht kleckern, das ist Söders Devise. | |
Es ist ja auch eine schöne Vorstellung: Man nehme etwas Wasser, trenne es | |
mithilfe des Elektrolyseurs in Wasser- und Sauerstoff, und schon erhält man | |
einen Energieträger, der ohne CO2-Ausstoß Motoren antreiben kann. Eine | |
Rechnung, die freilich nur aufgeht, solange auch der Elektrolyseur [1][mit | |
grüner Energie] betrieben wird. | |
Na und? Ist doch kein Problem, findet der bayrische Wirtschaftsminister | |
Hubert Aiwanger: „Solange es Wasser, Sonne und Wind gibt, ist Wasserstoff | |
unbegrenzt verfügbar.“ Und in Sachen Windkraft werde es nun einen | |
gewaltigen Sprung geben. Die umstrittene bayerische 10-H-Regel sei auf sein | |
Betreiben hin massiv gelockert worden. In Wäldern, an Autobahnen oder an | |
Bahnlinien würden die Windräder künftig nur so aus dem Boden sprießen. | |
Aiwanger ruft gerade aus dem Auto heraus an. Er ist unterwegs zu einer | |
Diskussionssendung des Bayerischen Rundfunks, bei der er den [2][Einsatz | |
von Schneekanonen] verteidigen wird. Verzicht ist nicht so sein Ding, | |
stattdessen setzt er auf technischen Fortschritt. So ist es auch beim | |
Wasserstoff. Mit seiner Hilfe werde Sonnen- und Windenergie speicherfähig, | |
und so könne man „dekarbonisieren, ohne zu deindustrialisieren“. | |
Aiwanger ist Chef der Freien Wähler, Söders Koalitionspartner. Spricht man | |
mit ihm über sein Lieblingsthema, kann man schnell mal vergessen, dass der | |
Mann nicht selbst die Elektrolyse erfunden hat. Was jedoch unbestritten | |
ist: Aiwanger hat Wasserstoff weit früher als andere zu seinem großen Thema | |
gemacht. Für ihn steht fest, dass grüner Wasserstoff die Zukunft ist: Lkws, | |
Pkws, Flugzeuge, Fernwärme, Gaskraftwerke, energieintensive Industrien – | |
das ganze Programm. „Es gibt keinen Energiebereich, wo Wasserstoff nicht | |
einsetzbar wäre.“ Und nur mithilfe von Wasserstoff, davon ist Aiwanger | |
überzeugt, werde man von fossilen Energieträgern loskommen. | |
Der Vorteil des regional produzierten Wasserstoffs: „Der nimmt Druck von | |
der Leitung“, erklärt Aiwanger. „Heute sagen einem die Netzbetreiber oft: | |
‚Komm in fünf Jahren wieder mit deinem Windrad!‘ Mit einem Elektrolyseur | |
lässt sich die überschüssige Energie jedoch abfangen, bevor sie das Netz | |
überlastet.“ | |
Für die ganz große Energiewende allerdings werde der heimische Wasserstoff | |
nicht genügen. Hier setzt Aiwanger auf Importe: „Bevor die Sonne ungenutzt | |
in die Wüste ballert, holen wir sie nach Deutschland.“ Schon 2025 könnte | |
der erste Wasserstoff durch umgewidmete Gaspipelines zu uns fließen. „So | |
versorgen wir uns aus allen Himmelsrichtungen mit Wasserstoff.“ | |
Energiewende leicht gemacht – mit Wasserstoff? Nicht alle können mit | |
Aiwangers überbordendem Optimismus mithalten. Kasimir Buhr etwa, Experte | |
für Energiepolitik am Umweltinstitut München, sieht die Sache wesentlich | |
kritischer. | |
Er glaube zwar schon, dass Wasserstoff in der Zukunft [3][eine wichtige | |
Rolle spielen könne], viele der Hoffnungen halte er aber für überzogen. So | |
sei beispielsweise der Einsatz als Treibstoff für Pkws nicht sinnvoll. | |
„Wasserstoffautos sind einfach deutlich ineffizienter als Elektroautos“, | |
sagt Buhr. Während Wasserstoffautos nur 36 Prozent der ursprünglich | |
eingesetzten Energie nutzen könnten, seien es bei E-Autos immerhin 70 | |
Prozent. „Das zeigt, wie viel mehr Windräder man da bräuchte.“ Ähnlich | |
verhalte es sich bei Heizungen. Mittels Wärmepumpen könne mit derselben | |
Menge an Strom viel mehr Wärmeenergie produziert werden. | |
„Was in der politischen Debatte oft untergeht, ist, dass Wasserstoff ein | |
Energieträger ist und keine Energiequelle.“ Sprich: Die Energie muss erst | |
einmal erzeugt werden, bevor sie gespeichert werden kann. In Buhrs Augen | |
hat daher der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien die höchste | |
Priorität. „Aktuell kommt etwa die Hälfte des Stroms in Bayern aus | |
erneuerbaren Quellen, hier müssen wir perspektivisch auf 100 Prozent kommen | |
– und das bei steigendem Verbrauch.“ | |
Erst im zweiten Schritt könne Wasserstoff dann die Energienutzung | |
optimieren – als Puffer, der überschüssige Energie für Phasen speichert, in | |
denen Wind und Sonne nicht genügend liefern. Auch in der Industrie sieht | |
Buhr Einsatzmöglichkeiten, wenn grüner Wasserstoff fossile Brennstoffe oder | |
den klimaschädlichen sogenannten grauen oder blauen Wasserstoff ersetzen | |
könne. Das bayerische Chemiedreieck um Burghausen hätte hier beispielsweise | |
Bedarf – allerdings in Dimensionen, die durch die heimische | |
Wasserstoffproduktion nicht abgedeckt werden könnten. Aber auch | |
Wasserstoffimporte seien nicht so unproblematisch wie von Aiwanger | |
dargestellt, warnt Buhr – beispielsweise wegen des hohen Energieaufwands | |
beim Transport per Schiff. „Man stellt sich das alles zu einfach vor.“ | |
Auch Tobias Brunner sieht die Importe im großen Stil noch in weiter Ferne. | |
Frühestens in 10 bis 15 Jahren könne man damit rechnen. Aber gerade deshalb | |
sei es so wichtig, mit den Elektrolyseuren möglichst schnell eine | |
Grundinfrastruktur zu schaffen. Die Zufahrtsstraße in Pfeffenhausen ist da | |
schon mal ein Anfang. | |
3 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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